„Das mächtigste Tal der Welt“ wird das Silicon Valley genannt, Zentrum der IT-Branche. Wie lebt es sich, wenn man Google, Facebook, Apple, Amazon, eBay, Tesla, Yahoo, LinkedIn, Dell, Intel, Oracle, Cisco, Hewlett-Packard oder Adobe als Arbeitgeber und Nachbarn hat? Am besten erzähle ich Ihnen acht banale Kurzgeschichten.
1. Kinder lieben Telefone mit Wählscheibe
Das derzeit meistverkaufte Kinderspielzeug in Mountain View ist ein Plastiktelefon mit Wählscheibe. „The children are fascinated by the rotary dial“, sagt mir eine Verkäuferin. „They have never seen one before.“
2. Mäuse mögen iPhones
„If You Give a Mouse an iPhone“ ist eines der erfolgreichsten Kinderbücher im Silicon Valley. Inhalt: Eine gelangweilte Mause schnappt sich ein Smartphone und beamt sich weg. Auf dem Cover ist ANN DROYD als Autorin angegeben. Habe ich richtig gelesen: ANN DROYD? Ich google diesen stimmigen Namen – aha, nur ein Pseudonym, das sich der Autor David Milgrim ausgedacht hat. Der Mann hat Humor.
3. Ein Alien bei Starbucks
Most frequently asked questions at Starbucks: „Are you entrepreneur?“ „Are you developer?“ „Do you work for a startup?“ No, I’m an Alien, ähhh printman in Silicon Valley.
4. Oft ist man selbst der allergrößte Spinner
Auf den Straßen von San Franisco sieht man viele „Homeless People“. In der reichen Kleinstadt Mountain View ist der junge Mann, der seinen ganzen Besitz inklusive Zelt auf einem Fahrrad schiebt, ein Einzelfall. Matt ist überall dort zu finden, wo kostenlos WLAN angeboten wird. Er trägt auf dem Kopf eine Art Helm mit Plastikdrähten, Mikros, Kamera und Unmengen Isolierband. Stundenlang arbeitet er auf seinem Laptop. „Was für ein Freak“, denke ich mir.
Bis ich ihn frage, was er genau macht. „Ich habe eine Idee, die die Welt verändern könnte“, sagt er selbstbewusst. Plötzlich komme ich zur inneren Erkenntnis: Die meisten Silicon-Valley-Größen, allen voran Larry Page, wurden am Anfang ihrer Karriere als Verrückte abgetan. Warum sollte also Matt nicht auch eines Tages etwas Geniales erfinden – und wie der Google-Gründer 29,2 Milliarden Dollar auf dem Konto haben? Ich traue es Matt zu und gestehe: Oft ist man selbst der allergrößte Spinner, nämlich als Gefangener seiner Vorurteile. (Das Wort zum Sonntag.)
5. Ein Schloss für Startups ist das neue „Hotel California“
Bis vor Kurzem konnten junge Entrepreneure – nur wenige Minuten von der Stanford University entfernt – günstig in einem wunderschönen Schloss wohnen. Wegen der bizarren Aufnahmekriterien geriet das sogenannte „Startup Castle“ in die Schlagzeilen.
Die Bewohner DURFTEN
– nicht mehr als ein Tattoo haben,
– nicht länger als vier Stunden pro Woche vor dem Fernseher oder im Internet verbringen,
– nicht öfter als drei Mal in der Woche Makeup tragen,
– maximal zu einem Tinder-Date pro Woche gehen,
– nicht häufiger als drei Mal in der Woche Alkohol trinken,
– insgesamt nur zwei Mal in ihrem Leben Drogen konsumiert haben,
– höchstens ein Mal gegen oder für etwas demonstriert haben,
– keine Handtasche besitzen, die teurer als 500 Dollar ist.
Die Mitglieder der Schloss-WG MUSSTEN
– einen exzellenten Uni-Abschluss vorweisen können,
– mindestens 15 Stunden pro Woche Sport machen
– und gerne Hunde streicheln.
Ein Bewohner beschrieb seine Zeit im „Startup Castle“ so: „living in the Hotel California, except we can’t even drink wine here.“ Und meine OZY-Lieblingskollegin, die dort einmal eine Abendveranstaltung besucht hatte, spricht von einem „Ort des Grauens“.
Wegen des Medienwirbels warf der Schlossbesitzer die verhaltensauffälligen Pioniere vor zwei Monaten hochkant raus. Angeblich haben die asketischen Nerds bereits in Los Altos eine neue Bleibe gefunden (nur für den Fall, dass Sie hinziehen möchten).
6. Der Mentor mit der Radlerhose
In Palo Alto hilft die Organisation „German Accelerators“ deutschen Startups, den US-Markt zu meistern. Einer der Mentoren, ein hochangesehener Manger, fährt mit seinem Rennrad zu den meisten Business-Terminen und besucht die Meetings im Fahrrad-Trikot. Können Sie sich eine Vorstandssitzung von Siemens, VW oder Swarovski vorstellen, in der die Firmenbosse wie Fahrradboten aussehen? Im Silicon Valley ist Kleidung völlig nebensächlich.
7. Video on Demand, 1990
Vor 25 Jahren (mein Gott, da war ich 18) führte ich für das Magazin der „Tirol Werbung“ ein Interview mit dem Osttiroler Manager Michael Meirer, der ins Silicon Valley ausgewandert war. Wir sprachen über sein Fachgebiet: „Video on Demand“. Ich habe damals, 1990, alles brav mitgeschrieben, aber so gut wie nichts verstanden. Meirer war der österreichischen Zeit um Lichtjahre voraus. Wussten Sie, werte Digital-Natives, dass Österreich erst 2003 Privatfernsehen bekam, als letztes Land in Europa?
Vor wenigen Monaten kam Außenminister Sebastian Kurz mit Jungunternehmern nach Kalifornien. Der inzwischen 72-jährige Meirer, der unter anderem bei Oracle Karriere gemacht hatte, sagte ein paar kluge Worte: „Man darf keine Angst vor dem Scheitern und der Blamage haben. Das ist für Europäer ein kulturelles Hemmnis.“
8. Wieviele Liegestütz’ schafft der CEO?
Die OZY-Headquarters am frühen Morgen. Carlos Watson, CEO des besten Onlinemagazins der USA, und Bürochefin Tania stellen sich vor die Crew und sagen: „The best time for push-ups, come on!“ Dann legen die beiden im Großraumbüro los. Tania schafft 28 Liegestütz’, Carlos hört bei 39 auf. Die Redakteure klatschen. Gute Laune um 8.44 Uhr – in anderen Redaktionen darf man da noch niemanden ansprechen.
Verrückte und Aliens haben im Silicon Valley Platz, aber keine Morgenmuffel.
AD PERSONAM
Wolfgang Ainetter (hier auf Twitter) war Ressort-Leiter bei der Bild Zeitung, Chefredakteur der Gratis-Zeitung Heute und zuletzt Chefredakteur bei News – als längstdienender Chefredakteur nach dem Gründer. Diesen Sommer über bloggt Ainetter für The Gap über seine Hospitanz bei OZY im Silicon Valley.
WEITERLESEN:br />Erster Teil des Blogs – Die Bewerbung und die Vorgeschichte
Tag 4 Welcome To The Stone Age
Tag 5 Larry Page, Marissa Mayer und der Telefonzellenfabrikant
Tag 6 Anforderungsprofil für Silicon-Valley-Journalisten
Tag 7 Kann man mit Online-Journalismus Geld verdienen, Mister OZY?
Tag 8 Fingernägel, Nasenrotz und andere Erfolgsgeheimnisse
Tag 9 Friseure sind die besseren Schreiber
Tag 10 Nachts im Silicon Valley
Tag 11 The same procedure as every day and every week.
Tag 12 OZY = Apple = CNN = eBay = Google = Time Warner = White House
Tag 13 Redakteure Gates, Bush, Blair, Rice und Shriver
Tag 14 Gute Fotos sind die Feindbilder der Controller
Tag 15 Sind die Zeitungsverlage die „Chain Gangs“ der Google-Diktatur?
Tag 16 „The Voice“ und die Trommelfellkiller-Bosse