Was haben Conchita Wurst und Andreas Gabalier gemeinsam? Politische Polarisierung. Stefan Sonntagbauer hat eine kleine Streifschrift dazu verfasst.
Nachdem man hierzulande die Null-Punkte-Schmach des diesjährigen Songcontests zu guter Letzt doch noch irgendwie verkraftet hat, kann man sich nun endlich wieder dem populärmusikalischen Tagesbetrieb widmen. Der hat mit Bilderbuch, Wanda und dem Nino aus Wien zurzeit zwar durchaus einiges Hocherfreuliches zu bieten, andererseits aber suchen uns dort aktuell auch zwei sogenannte Phänomene heim, die dem europäischen Wettsingen an Absurdität um nichts nachstehen. Die Rede ist natürlich von Conchita Wurst, die sich ja selbst erst so richtig in und um das Format Songcontest konstituiert hat, und von Andreas Gabalier, der mittlerweile derart zum Selbstläufer avanciert ist, dass ihn nicht einmal mehr kulturelle Kapitalverbrechen wie seine Single „Mountain-Man“ einbremsen können.
Auf den ersten Blick könnten die beiden unterschiedlicher kaum sein. Auf der einen Seite der patente Naturbursche, der mit obligat grobschlächtigem Stammtisch-Charme dem Volk seine durchweg blaustichigen Botschaften verkündet. Auf der anderen der knallbunte Travestiestern, der sich spätestens im Zuge des letztjährigen Songcontest erfolgreich als mutige Kämpferin für eine offenere Gesellschaft positionieren hat können.
Bei genauerem Hinsehen aber wird schnell klar, dass die Zwei doch weit mehr gemeinsam haben, als man vorerst annehmen würde. Was Gabalier und Wurst eint ist freilich, dass beide die politische Polarisierung als wirksames Marketingtool für sich entdeckt haben und so zu einer Popularität gekommen sind, die in Hinblick auf ihre künstlerischen Leistungen geradezu erschreckend ist.
Warum Pop heute zum Statement werden muss
Hier drängt sich natürlich die Frage auf, warum die beiden gegenwärtig in ihrer Branche so erfolgreich sein können, indem sie gezielt deren Kernbereich verlassen. Es bieten sich hier gleich zwei Antworten an.
So ist heute gerade die Musik als schönste, weil gleichsam welt- bzw. sprach- und bildfremdeste aller Künste unter dem heute universalen Primat der ökonomischen Rationalität in eine prekäre Lage gekommen. Sie büßt gegenwärtig zusehends ihre ehemalige Bedeutung als säkulares Jenseits ein, um auf dem Boden wirtschaftlicher Tatsachen einer radikalen Umdeutung unterzogen zu werden. Die Fragen: Wem nützt Musik? Was ist ihre Leistung? Oder, wenn sie schon nichts leisten will oder kann: Was will sie uns sagen?
Das ökonomische Prinzip schlägt sich heute nieder, wo man sich damit begnügt, die künstlerische Relevanz eines Acts rein über die von ihm erzielten Verkaufzahlen zu ermessen. Pop wird immer mehr als reiner Wirtschaftsfaktor behandelt, dem man mit Business-Facts, Diagrammen und Statistiken weit besser beikommen kann, als mit den sperrigen Kategorien der Ästhetik. Künstlerischer Wert wird dabei in der Zahl aber nicht annuliert, sondern dem Schein nach objektiviert. Wenn es heute überhaupt noch einen Diskurs gibt, dann ist einer seiner Hauptaufgaben sicherlich, die Zahlen zum sprechen zu bringen – immer seltener gelingt dabei der Spagat zwischen gelebter Utopie und blinder Geldmaschine.
Wo Pop nicht mehr heilig ist, sondern nur mehr seinen Gebrauchswert für sich hat, braucht er künftig auch eine Message, um noch etwas sagen zu können. Wo erst vor kurzem noch die Verweigerung einer diskursiv verortbaren Aussage oftmals die zentrale Aussage war, soll Pop heute bitteschön immer so sprechen, dass es möglichst jeder möglichst schnell versteht. Das Schweigen hat seine quasi-rituelle Bedeutung auch in der Kunst längst vollständig eingebüßt. So transzendiert Pop heute längst nicht mehr den Diskurs, sondern ist zumeist lediglich noch als dessen schnöde Spiegelung zu verstehen.
Die neuen Stars bedienen sich dabei des aktuell schwelenden Konflikts zwischen liberalen und rechtskonservativen Strömungen, der auf beiden Seiten zur Hauptsache vom populistischen Ressentiment gegen die jeweils andere Gruppe lebt. Genau so gelingt die Evokation gesellschaftlicher Relevanz. Der Facebook-Like, der Konzertbesuch und der Erwerb von Merchandise werden so wirksam zum demokratischen Akt hochstilisiert. Als Simulation politischer Partizipation versorgt Popmusik seine User mit Selbstachtung, wo er ihnen als Kunst längst nichts mehr zu sagen hat.
Es geht also heute längst nicht mehr darum, wie zu Omas Zeiten mit Pop die Gesellschaft im Sinne (oder zumindest im Rahmen) einer universalen ästhetischen Erfahrung zu politisieren. Ganz im Gegenteil wird Pop mittels ideologischer Aufladung ent-ästhetisiert und auf diesem Weg zurück in eine Gesellschaft gebracht, die mit Musik im eigentlichen Sinne als dezidiertes Jenseits der politischen Sphäre kaum noch etwas anzufangen weiß. Das heißt: wenn wir, die Menschen, uns überhaupt noch in der Musik treffen, dann nur, um dort einfach weiterzustreiten.