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Nepotismus-Vorwürfe hin, Klischees her: Hinter einigen österreichischen Musikjournalisten stecken selbst Musiker. Und das ist okay so.

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Sie gehen für uns auf Konzerte, kriegen jedes neue Release als erste unter die Finger und interviewen unsere Teenie-Idole. Musikjournalistinnen und Musikjournalisten sagen uns nicht nur, was wir uns unbedingt anhören sollten, sondern versuchen uns auch Einblicke in die Innenwelt von Musikern und Bands zu verschaffen. Sie sind hautnah dran und brauchen mehr Verständnis für Musik als die durchschnittlichen Fan Boys und Girls. Eigentlich naheliegend, dass nicht wenige Musikjournalisten auch selbst ab und zu das Mikrofon oder ein Instrument in die Hand nehmen.

Das Spektrum der musizierenden Journalisten, abgebildet in der Foto-Galerie, ist dementsprechend weitgefächert: Von Christian Schachinger (Der Standard), der bei Shampoo Boy aktiv an seiner Musikkarriere bastelt, zu Jakob Kattner von Warda, der als Rapper Big J auftritt, hin zu Christian Fuchs von FM4, der aufgrund seines musikalischen Treibens sogar zum Filmjournalismus gewechselt hat und Klaus Totzler (ORF), der gerade einmal als Kind Bühnenluft schnuppern konnte und (trotzdem) einer der bekanntesten Musikjournalisten des Landes ist.

Steckt also in jedem guten Musikjournalisten ein Musiker und ist an dem Klischee, dass Musikjournalisten nicht selten gescheiterte Musiker sind, etwas dran? Weder noch. Die Palette an Beispielen von Musikjournalisten, die Musik machen, zeigt ganz gut: Musik machen und über Musik schreiben widersprechen sich eigentlich gar nicht.

"Du schreibst aber eh nur Gutes, gel?"

Ob immer noch aktiv oder nicht, die Frage, ob es für die journalistische Auseinandersetzung mit Musik von Vorteil ist, selbst Musik zu machen, steht wieder auf einem anderen Blatt. Einig sind sich die meisten zumindest darüber, dass die Einsicht ins Business prinzipiell kein Nachteil ist. Jonas Vogt (Chefredakteur bei Noisey) findet aber auch, dass es zu Kollisionen kommen kann: "Wenn du selbst noch Musik machst, wirst immer unter extrem kritischer Beobachtung stehen, jede Coverage steht unter dem Verdacht der Freunderlwirtschaft."

Muss man sich nun zwangsläufig den Nepotismus-Vorwurf gefallen lassen? Besonders bei FM4 sind einige musizierende Journalisten und Moderatoren an den Reglern. Christian Fuchs (FM4) sieht die Sache da schon eher umgekehrt: "Es ist kein Vorteil für einen Musiker, wenn man auch als Musikjournalist arbeitet. Weil alle skeptisch sind, weil der Verdacht auf Freunderlwirtschaft groß ist, weil etwa FM4 aus Angst vor Nepotismus-Anklagen mit musizierenden Mitarbeitern besonders vorsichtig umgeht."

Zumindest beim eigenen Genre kann es also durchaus problematisch werden, findet auch Jakob Kattner von Warda: "Journalisten, die selber Musik machen, haben mehr Insiderwissen, können als ‚Natives‘ Dinge besser beobachten und davon berichten. Jedoch ist auch von einer gewissen ‚Befangenheit‘ bei der Beurteilung des eigenen Genres auszugehen."

Du kennst dich also mit Musik aus?

Hinter dem Klischee steckt auch eine allgemeine Skepsis gegenüber Journalistinnen und Journalisten. Die Zeit des uneingeschränkten Vertrauens in das, was in Zeitungen geschrieben und im Fernsehen gesagt wird, ist, so sie je da war, einfach vorbei. Wenn hinter allem und jedem eine Lüge vermutet wird, dann wird auch die Legitimation von Musikjournalisten schnell bezweifelt. Denn über Musik haben wir doch alle eine Meinung – wo ist hier schon die Leistung?

Misstrauen kommt nicht nur von der Leserschaft, sondern auch von den Musikern und Musikerinnen. In diesem Fall kann der eigene musikalische Background ein Stein im Brett sein, findet Amira Ben Saoud (The Gap): "Manche MusikerInnen stehen JournalistInnen von vorn herein kritisch gegenüber, entweder als Attitüde, oder weil man wirklich schlechte Erfahrungen gemacht hat – soll vorkommen. Ich denke, dass gerade solche ‚vorsichtige‘ MusikerInnen eher gewillt sind, sich Kritik von jemandem anzuhören, der nicht nur auf Papier (angeblich) Bescheid weiß, sondern der auch mal ein Instrument, sei es Gitarre oder Computer, in der Hand gehabt hat."

Fest steht aber auch: Kunstkritik ist immer subjektiv. Lisa Schneider – nie musikalisch tätig – schreibt seit Jahren über Musik. Mit ihren Texten für FM4, Noisey oder The Gap ist deswegen aber nicht an Grenzen gestoßen. Ein Entweder-Oder gibt es für sie ohnehin nicht. "Diversität, baby. Der Konflikt macht die Sache spannend – wobei ich natürlich meine Position verteidigen würde, der Theorie näherstehe und mir deshalb anmaße zu sagen, ich hätte den Überblick."

Ich bin gut und brauche das Geld

Vielleicht zeigt das Klischee aber einfach nur ein bisschen österreichische Mentalität in Form von Neidkultur. Eindeutige Worte zum Klischee des gescheiterten Musikers, dessen Wechsel zum Musikjournalisten eigentlich bloß Plan B ist, findet Trishes von FM4: "Das ist eigentlich vor allem ein beleidigter Spruch von Musikerinnen oder Musikern, die sich zu wenig oder schlecht wahrgenommen fühlen – am besten noch gefolgt von ‚Mach’s halt selbst besser!’"

Die Wirklichkeit ist eben komplex. Wenn sich im Journalismus etwa ein bezahlter Job anbietet, bei dem sich Leidenschaft und Beruf vereinen lassen, ist es einfach naheliegend, die Chance zu nutzen. "Bis auf ein paar wenige Ausnahmen ist es in Österreich einfach illusorisch, das gesamte Monatseinkommen von Plattenverkäufen und Live-Konzerten abhängig zu machen. Ein Job den man gerne macht und bei dem man nebenbei sein Musikwissen erweitern kann, nimmt auch viel Druck aus der Musiker-Tätigkeit", sagt auch Alexander Hertel (FM4).

Für Natalie Brunner, Moderatorin bei FM4, gibt es den Musikjournalisten als definierten Beruf gar nicht. "Es gibt gar keine definierten Methodiken, an denen sich MusikjournalistInnen orientieren. Mich interessieren Texte über Musik, die einerseits klar machen, wer da schreibt oder spricht und wie er/sie das Werk ästhetisch, sozial und politisch konzeptualisiert." Solange es also keine klaren Berufsvoraussetzungen gibt (also hoffentlich nie), wird es auch Musikjournalisten mit verschiedensten Hintergründen geben. Jeder und jede kann über Musik schreiben, und Notenlesen und Leidenschaft für Musik kann man eben nicht gegeneinander ausspielen.

Kurzum: Der Blickwinkel eines Musikers kann nicht nur Gutes bringen, sondern auch für ein besseres Verständnis der Praxis sorgen. Ob auf der Bühne, im Studio oder mit den (Laptop)-Tasten – was im Endeffekt zählt, ist die Leidenschaft für die Musik. Oder mit den Worten von Klaus Totzler: "Ich glaube, es ist besser, für Musik zu brennen, neugierig zu bleiben und gut und professionell schreiben zu können. Das Feuer sollte weitergetragen werden. Natürlich muss man auch kritisch sein dürfen. Und: Man ist definitiv nicht besserer MusikjournalistIn, wenn man vorher MusikerIn war. Aber auch nicht notgedrungen schlechter."

Für ein halbwegs repräsentatives Stimmungsbild haben wir einige Redaktionen des Landes angeschrieben, um festzustellen, wie viele musizierenden Journalisten es tatsächlich gibt. In der Fotogalerie geben acht österreichische Journalisten in einem Q&A Auskunft über ihre musikalische und journalistische Karriere.

Dieser Beitrag ist im Rahmen eines Praxis-Seminars am Institut für Journalismus & Medienmanagement der FHWien der WKW entstanden.

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