Mit „The Hateful Eight“ beglückt uns Quentin Tarantino wieder mit einem Western. Wer einen zweiten „Django Unchained“ erwartet, irrt.
In „The Hateful Eight“ versammeln sich die acht Titelhelden um den Henker John Ruth (Kurt Russell) und den Kopfgeldjäger Marquis Warren (Samuel L. Jackson) größtenteils in einer beschaulichen Hütte, irgendwo in der vollends verschneiten Prärie Wyomings. Das klingt nun erstmal nicht nach einer spannenden Ausgangshaltung für einen drei Stunden langen Spielfilm. Aber es ist Tarantino. Und es ist sein purster Film seit Langem.
Durchweg findet man für den Regisseur typische Merkmale – gelegentlich scheint gar das eigene Werk referenziert zu werden. Ob es nun kleine Details wie die „Red Apple“-Zigaretten, die Unterteilung in Kapitel oder der Hang zu Gore-ähnlichen Gewaltszenen sind.
Prunkstück Dialoge
Kernelement sind, wie schon bei seinen Meisterwerken „Reservoir Dogs“ und „Pulp Fiction“ die Dialoge. Wieder einmal wird scheinbar die meiste Zeit über unwichtige Dinge parliert. In „The Hateful Eight“ sind es beispielsweise die Qualitäten eines „Stews“ (Deutsch: Eintopf) oder ein „MacGuffin“ in Form eines Briefes von Abraham Lincoln an Marquis Warren, der im Laufe des Films unzählige Male thematisiert wird.
All diese scheinbar bedeutungsarmen, für manche gar sinnlos erscheinenden Dialoge, erfüllen jedoch einen höheren Zweck: Sie verraten uns viel über die Titelhelden, die „Hateful Eight“, denen man zuhört und dadurch mehr über ihre Belangen und ihre Art erfährt. Doch Tarantinos Helden sind oft nicht die, die sie zu sein scheinen: Seine Charaktere sind zwielichtig und meist unzuverlässig in ihrem Erzählen. Tarantino legt uns in „The Hateful Eight“ mit Belieben falsche Fährten und verwehrt uns den Blick auf den doppelten Boden – das macht „The Hateful Eight“ so fintenreich, so überraschend.
Everybody’s Talking
„The Hateful Eight“ ist ein Dialogwerk geworden – ein Werk, das aus seiner Schwäche, größtenteils nur an einem Ort zu spielen, eine Tugend macht. Die Hütte ist mehr als nur ein austauschbarer Schauplatz. Sie ist die Bühne für einen Film, der in seiner Art sehr an ein klassisches Theaterstück erinnert. Kameramann Robert Richardson, mit dem Tarantino seit „Kill Bill Vol. 1“ stets zusammenarbeitet, etabliert die Hütte durch seine toll eingefangenen Bilder als einen facettenreichen Ort des Geschehens.
Tarantinos Darsteller spielen fabulierend auf, ihre zahlreichen Dialoge entwickeln sich zu Wortgefechten. Niemand der Anwesenden vermag der bedrohlichen Stimmung in der Hütte entfliehen zu können – draußen weht schließlich ein Blizzard. Der Zuschauer kann ebenso wenig entfliehen – man steckt zu tief drin. Im Film, in den Dialogen, in der Szenerie. „The Hateful Eight“ ist ein Kammerspiel – eine Art „Reservoir Dogs“ im Westernsetting.
Vor allem die Darsteller nutzen die Bühne für sich: Spielt der Tarantino All-Star Cast um die Altherren Tim Roth, Michael Madsen und Kurt Russell solide, liefert der eher aus dem US-Fernsehen bekannte Walter Goggins eine exzellente Leistung als Jung-Sheriff ab, die eigentlich nur von der von Jennifer Jason Leigh als Gefangene Daisy Domergue übertroffen wird. Kommt Leigh am Anfang noch kaum zu Wort, dreht sie im letzten Drittel des Films richtig auf. Sie ist intrigant, brutal und erschreckend gut. Lohn: Eine Oscar-Nominierung.
Fear of a Black Dingus
An der Speerspitze des darstellerischen Ensembles steht jedoch ein überzeugend aufspielender Samuel L. Jackson. Er ist der große Blender: Bösewicht und Held zugleich, oft auch ein großer Geschichtenerzähler: Meist von erlogenen, selten von wahren. Jacksons Charakter ist nicht nur wegen der größten Bildpräsenz der zentrale des Films. Der Western war schon immer ein Genre, in dem Hautfarbe eine große Rolle spielte.
"The Hateful Eight“ spielt in der Zeit nach den Sezessionskriegen – in der Gesellschaft waren Ressentiments gegen Afro-Amerikaner die Regel – so wird auch Jacksons Charakter von vielen in der Hütte angefeindet. Beiläufig und trotzdem on point baut Tarantino diese essentielle Thematik in seine Dialoge ein: So lässt er jeden der Anwesenden frei und demokratisch seine Meinung zu Afro-Amerikanern äußern, stellt einen gefühlten Rekord für den Gebrauch des Wortes „Nigger“ auf und lässt Samuel L. Jackson in seiner wohl stärksten Szene im Film eine Geschichte über das größte Feindbild eines jeden weißen, rassistischen Amerikaners erzählen: Seinen „black Dingus“.
Kein Konsens
Man könnte „The Hateful Eight“ wegen seines visuell fulminanten ersten Drittels getrost der Tradition des „Schneewesterns“ zuordnen – liefert doch Kameramann Robert Richardson wunderschöne Aufnahmen von verschneiden Berglandschaften. Doch man würde „The Hateful Eight“ unrecht tun – denn an sich ist er kein wirklicher Genrefilm, und somit auch kein purer Schneewestern – auch wenn das Meisterwerk des Genres, "Il Grande Silenzio" von Sergio Cobucci, laut eigener Aussage ein großer Einfluss für den Regisseur war. Michael Haneke ist übrigens auch großer Fan des Films, in dem er seinen "Amour"-Schauspieler Jean-Louis Trintignant in einer seiner stärksten Rollen sah.
Die spannungsreichsten Momente erwarten den Zuschauer am Ende des Films – dann, wenn aus dem Film ein „whodunit“ wird – und auch der ein oder andere Kopf rollt. „The Hateful Eight“ ist alles in allem ein waschechter Tarantino: Ein Film, der radikal in seiner Machart ist. Es ist kein Konsens-Western geworden wie der blutleere Vorgänger „Django Unchained“. Mit „The Hateful Eight“ unterwirft sich Tarantino keinem Genrediktat und versteht es gleichzeitig, eine Hommage an die großen Meister zu leisten.
Oscar für den Maestro?
„The Hateful Eight“ mischt bei zahlreichen Filmpreisen mit. Auch bei den Oscars darf man in drei Kategorien auf einen Preis hoffen. Neben Leigh als beste Darstellerin und Richardson als bester Kameramann ist auch Ennio Morricone für die beste Filmmusik nominiert. Für „The Hateful Eight“ komponierte der 87-jährige Italiener einen Original Score, der so gar nicht gestrig klingt, und nur lose etwas mit eben jenen Italo-Western-Themen zu tun hat, die Tarantino in der Vergangenheit so exzessiv in seinen Filmen nutzte. Der größte Gänsehaut-Moment mit Morricones Musik erwartet den Zuschauer direkt zu Beginn in der genial choreografierten Anfangssequenz. Allein wegen dieses Themas sollte sich der italienische Maestro Hoffnungen auf einen Oscar machen dürfen. Für seine Musik zu „The Hateful Eight“ errang Morricone vor wenigen Wochen den Golden Globe, den Tarantino stellvertretend für seinen abwesenden „Lieblingsmusiker“ entgegennahm.
„The Hateful Eight“ läuft am 28. Jänner in den Kinos an. Im Wiener Gartenbaukino kann man sogar zwei Mal täglich die Originalfassung des Films im 70mm-Format anschauen.