Ein schrecklich seichte Textgattung nimmt den Literaturbetrieb und die Feuilletons in Geiselhaft. Dagegen muss etwas getan werden. Eine Polemik.
Eines Tages werden wir alt sein, Baby. Eines Tages werden wir an all die Geschichten denken, die wir hätten erzählen können. Eines Tages werden wir uns fragen, wann wir den Punkt im Leben verpasst haben, an dem wir hätten glücklich sein können. Und eines Tages werden wir alle grauenhafte Texte über »unsere Generation« schreiben. Zumindest eine dieser Sachen passiert eigentlich jetzt schon.
Der Generationentext ist eine fortgeschrittene Infektion, die den Literaturbetrieb und seine angeschlossenen Onlinemedien fest im Griff hat. Er hat sich als einfacher, billiger, aber auch sehr effektiver Weg etabliert, Zustimmung und Zugriffe zu generieren. Das Rezept ist einfach: Irgendein junger Mensch diktiert in emotionalen Sätzen sein aktuelles Innenleben in ein MacBook. Und weil junge Menschen seit Anbeginn der Zeit überall sehr ähnlich sind, dreht sich das Ganze meist um Wünsche, Zweifel und Ängste. Dann werden die eigenen Gefühle und Probleme mal eben zu denen einer ganzen Alterskohorte stilisiert (»Vielleicht haben wir ja einfach verlernt, uns auf andere Menschen einzulassen?«), und wenn die Formulierungen nur vage und emotional vieldeutig genug sind (»Manchmal frage ich mich, ob das schon alles sein kann«), ist davon auszugehen, dass der Text in den sozialen Netzwerken geteilt wird wie Herpes auf einem Schikurs. Der Generationentext ist das literarische Äquivalent zu einem nächtlichen Kebab am Wiener Gürtel: Wenn man nicht darüber nachdenkt, dass die starke Würze nur die billigen Zutaten überdecken sollen, kann er manchmal ganz gut schmecken.
Dein Problem ist nicht das Problem einer ganzen Generation
Es gab mal eine Zeit, da waren Generationenporträts noch halbwegs erträglich. Sozialwissenschaftlich interessierte Journalisten schrieben Bücher über »Die Risiko-Gesellschaft« (Ulrich Beck) oder die »Generation Golf« (Florian Illies). Manche dieser Generationsporträts waren durchaus treffend, vor allem weil die weniger adäquaten sehr schnell in Vergessenheit gerieten. Aber schon diese Analysen krankten an zwei Grundproblemen, die der Wiener Soziologe Fran Osrecki mal in einem Interview mit Vice beschrieben hat: »Sehr pointierte Gegenwartsbeschreibungen reduzieren die Vergangenheit auf einen Typus, von dem sich die Gegenwart radikal unterscheiden kann. Man muss also erstmal schauen, ob die Beschreibung der Vergangenheit in diesen Generationenmodellen wirklich zutrifft.« Einfacher ausgedrückt: Wenn ich eine Generation als besonders entscheidungschwach charakterisiere, muss ich erstmal beweisen, dass es die Menschen davor nicht waren. Meistens ist das Blödsinn oder zumindest stark übertrieben. Außerdem beschreiben laut Orsrecki »99% der Generationenmodelle eigentlich keine Generationen, sondern Milieus«. Treffer, versenkt. Es ist im Grunde recht anmaßend, aus den Problemen eines studentisch-urbanen Milieus, das diese Texte schreibt, die Probleme einer ganzen Generation zu machen. Nur weil du und deine Blase von attraktiven Großstadt-Freunden nur noch Sex-Dates über Tinder ausmachen, heißt das noch lange nicht, dass Menschen in deinem Alter woanders nicht langjährige, stabile Beziehungen eingehen.
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