"Hauptsache kein Nazischeiß"

In Wien wird gestochen: Minimals, Mandalas und noch immer ein paar Federn. Wobei die neuen Tattoo-Artists alles andere als verrucht sind.

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Gestochen oder Gepeckt? Egal wie es heißt – Hauptsache mit Stil und „kein Nazischeiß“, sagt Maria Kadaver. Die Tattoo-Künstlerin hat sich ihre ersten Tattoos selbst gestochen, dann kamen Freundinnen dran. Heute müssen Kunden bis zu einem dreiviertel Jahr darauf warten sich überhaupt einen Termin bei ihr ausmachen zu können.

Die junge Frau mit schwarzem Pony bezeichnet sich selbst als Tattoo-Artist und ist das Gegenteil eines verruchten Tätowierers. Maria alias Kadaverism arbeitet mit Handschuhen, die Kunden bekommen rosa Hausschlapfen und das Studio riecht nach Desinfektionsmittel. Hier finden Tattoo-Skeptiker und Hygieneinspektoren maximal Brösel von der Schokolade für die Kunden.

Tätowierer sind auch nur Unternehmer

Maria arbeitet im Tattoo-Studio „Sissi got inked“ in Wien: selbstständig und auf eigene Rechnung. Angestelltenverhältnisse gibt es in ihrer Branche kaum und meistens arbeiten mehrere Tattoo-Artists in einem Studio zusammen. Wie viel sie arbeiten, bestimmt jeder selbst. „Länger als sechs oder acht Stunden zu tätowieren ist aber nicht möglich. Tattoos dauern oft Stunden, und dazu brauche ich eine ruhige Hand“, sagt Marian Merl. Er hat 2012 das Studio „Zur Stecherei“ im siebenten Bezirk in Wien gegründet und arbeitet mit zwei Tattoo-Artists zusammen. Marian sagt von sich selbst, dass er ein "ordentlicher Tätowierer" sein wolle. Überhaupt wiederholt er das Wort "ordentlich" während des Interviews mindestens 20 Mal. Das Bild über verruchte Tattoo-Buden oder grindigen Tätowierern wird zerstört. Sogar die Pausenzigarette, während eines Tattoo-Termins, rauchen die Artists im Freien. „Damit es drinnen nicht nach Tschick riecht“, sagt Marian.

Es geht um die Haut

"Ich schlafen einfach besser, wenn der Terminkalender voll ist", sagt Maria alias Kadaverism. Studios wie „Sissi got inked“ oder „Zur Stecherei“ gibt es in Wien einige. Die Wirtschaftskammer Wien (WKW) weiß von 93 offiziellen Studios. Und die Zahl erhöht sich jährlich, weiß Yueksel El Hac Hueseyin, Fachexperte der WKW: „Seit einigen Jahren gibt es einen Tattoo- Trend und daher immer mehr Studios." Eine Umfrage aus dem Jahr 2013 belegt das. Laut dem Meinungsforschungsinstitut Imas ist knapp jeder fünfte Österreicher tätowiert.

Österreich ist konservativ

„Österreich ist klein und konservativ“, sagt Hueseyin, der selbst ein Tattoo-Studio im 1. Bezirk führt. Seine Kunden wollen dezente und kostengünstige Motive. Auffällige Tattoo-Wünsche an Hals oder Händen gibt es kaum. Obwohl er eine positive Veränderung sieht: „Tattoos sind nicht mehr nur für schwere Jungs aus dem Gefängnis. Ich tätowiere auch Manager.“ Trotzdem sieht er ein Preisdilemma, denn ein Tattoo von fünf bis zehn Zentimetern koste nur zwischen 50 und 150 Euro. Für Beratung, Recherche und Zeichnungen sei das zu wenig. „Für diesen Aufwand ist die Bezahlung zu niedrig“, sagt Hueseyin.

Die aufgespießte Shrimp-Frau

Tribals, Arschgeweihe und Sternchen müssen nicht mehr sein. Wiener Tattoo-Artists wie Maria Kadaver, Anastasia Grichina, Manuel Fördl und Marian Merl versuchen die Tattoo-Szene neu aufzurollen. Der Kunde wünscht…und Kadaverism, Anstasia Grichina, Foerdl und Marian stechen? So einfach ist es nicht. Bestimmte Motive lehnen sie ab. „Nazischeiß“, wie alle es nennen, geht bei keinem. Kadaverism tätowiert generell keine Motive, die sie nicht ethisch vertreten kann und bei Marian von der Stecherei können sich KundInnen nicht den Namen der (aktuellen) besten Freundin stechen lassen. Die Begründung? "Namen und Beziehungsstatus sind vergänglich, aber das Tattoo bleibt", sagt der Artist.

Das skurrilste Motiv der Tätowiererin Anastasia Grichina war eine aufgespießte Shrimp-Frau. Kadaverism verzierte eine Frau mit einem Gummihammermotiv mit Wespe: „Da gab es eine lustige Familiengeschichte von der Kundin.“ Bei Foerdl waren es Mickey Mouse und Kater Carlo in Samurai Outfit und Kampfszene.

Anfängerfehler

Das erste Tattoo von Marian und Maria entstand in Studios, die sie selbst als "nicht so schick" bezeichnen. „Ich hab´ selber ein paar Tattoos, die ich damals so schnell wie möglich haben wollte. Da macht man auch Abstriche bei der Qualität", sagt Maria. Bei ihren Kundinnen setzt sie auf Werte, wie Sauberkeit, Qualität und Beratung. Denn das bringe KundInnen und Empfehlungen. Und schlechte Motive müssen Kadaverism und Marian auch nicht mehr in Kauf nehmen, um finanziell überleben zu können. Zur Not gibt es eine intensive Beratung. Oder: „Wenn das nicht geht, werden KundInnen auch mal weggeschickt", sagt Marian.

Infos zu den Tattoo-Artistst findest du hier: Maria Kadaer/Kadaverism, Marian Merl/Zur Stecherei, Anastasia Grichina/Penetration Inc, i>Manuel Fördl.

Dieser Beitrag ist im Rahmen eines Praxis-Seminars am i>Institut für Journalismus & Medienmanagement der FHWien der WKW entstanden.

Bild(er) © Kadaverism
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