Riot-Grrl-Attitude, Jagger-Moves und Dub-Sounds zeigten gestern, wie vielfältig die Laute Nacht im Grazer Explo sein kann. Bereits zum 19. Mal wurde hier die Vorweihnachtszeit konterkariert.
Das (immer noch) neue Explosiv, das seit einigen Monaten beim Grazer Bahnhof zu finden ist, war anfangs sehr viel Projektionsfläche für große Hoffnungen und sollte die lang vorherrschende Lücke für Punk- und Metalbands in Graz schließen. So richtig geht das Konzept allerdings nicht auf, denn die gestrige Laute Nacht hat erneut die Schwächen des neuen Explo gezeigt – aber auch ungeahnte Stärken durchblitzen lassen.
Kalt und Leer
Wer auf Diaspora ist, weiß wie es sich gestern in der Halle des Explosiv angefühlt hat: leer und kühl. Die nie warme und nie volle Konzerthalle schafft Sehnsucht nach der alten, engen, dunklen, lauten, versifften Bude beim Augarten (zu viele Adjektive?). Das Fehlen der Massen, die es bräuchte um die Halle zu füllen, drückte die Stimmung beträchtlich. Das scheint ein Problem zu sein, das das neue Explo insgesamt nur schwer abschütteln kann. Die generelle Leere gestern lag zwar sicher nicht an der musikalischen Qualität. Die erlösende Vielfalt, die das Explosiv als Location herausreißen könnte, war aber bisher nur im Ansatz da.
Überraschende Klangflächen
Obwohl sie eigentlich vor allem für Punk- und Metalkonzerte ausgerichtet ist, konnte gestern nur der einzige elektronische Act mit einem wirklich hallenfüllenden Sound überzeugen: Musikalischer Höhepunkt war deshalb eindeutig der Auftritt von Le Tam Tam. Die Südsteirer, die selbst einen Punkhintergrund haben, sind inzwischen vom Italo-Disco-Electro abgekehrt um nun aufwendigere Dubsoundscapes (a la DubFX) entstehen zu lassen. Der Auftritt zeigte was in der Halle des Explosiv soundtechnisch möglich ist. Die Klänge waren sehr organisch: ein zeitloser Aufbau von atmosphärischer Stimmung, nur unterbrochen durch kurzes Andeuten eines Beats, der aber mehr wie eine traumhafte Erinnerung wirkte. Zu diesem Sound zu tanzen wäre zwar möglich gewesen, aber die eigenen Bewegungen hätten diese sphärischen Klänge wohl nur entweiht. Auch wenn das Explo in der Grazer Elektro-Szene noch überhaupt nicht etabliert ist, bitte mehr solcher Acts! Das Punk- und Metal-Zentrum könnte sich eventuell zu einer günstigen Alternative zum Dom im Berg entwickeln.
Trotz dieses musikalischen Freudenfests lag der Fokus des gestrigen Abends aber natürlich auf Punk und Hardcore und zwar unter anderem mit Auftritten von Concrete Eden, Nothammer und Life Crime. Performativ zeigten die Kamikaze Tune Attacks warum wir Bands wie Refused so sehr vermissen. Der schlacksige Frontman Tom stellt sich nicht nur als großartiger Sänger dar, sondern ist auch ganz klar Entertainer. Tom hat den Monkey eines Mick Jagger für sich gepachtet und gibt den Move nicht mehr her. Trotz starker Dominanz des Frontmans funktioniert KTA grandios als Band. Tom selbst ist übrigens "El Jefe" des freien Webradios Substream, das das Konzert gestern live übertragen hat.
Die Butcher Babes, die "einzige all-girl Punkband der Steiermark", konnten bei der Lauten Nacht überraschenderweise nicht wirklich überzeugen. Die ansonsten stimmstarke Frontfrau Lisl, drang nicht bis zum Publikum durch (Tontechnik!), auch wirkte die Band ein wenig verloren auf der großen Bühne – wieviel mehr Spaß macht es da die hoch sexualisiserte "Strapse-Punk" Band ("Wer singt nicht gern über Sex?") in einem engen Kellerlokal wie dem Musichouse zu erleben. Wo BB gestern aber sehr stark war, waren die Schrei-Passagen, die stimmlich ein wenig an die Chicks on Speed erinnerten – inhaltlich aber mit weniger Dada und mehr politischem Zorn eine Wohltat waren.
Befremdliche Entfremdung
Die halbgefüllte Weite der Halle ist es wohl die das Publikum gestern von der Band entfremdet hat. Nähe entsteht hier kaum – und das obwohl die Explo-Party fast wie eine Art Familien-Fest der Grazer Punk- und Hardcoreszene wirkte. Kaum ein Gesicht, das nicht bekannt war, kaum eine Stimme, die nicht schon mal gehört wurde. Der nackte Kurzauftritt von KTA vor ihrem eigentlichen Konzert, spiegelte die familiäre, bis inzestöse Stimmung wider – es bräuchte irgendwie neuen Wind in der Szene, sie hätte es auf jeden Fall verdient.
Come Together
Die Laute Nacht hat gestern mit dem Auftritt von Le Tam Tam auf jeden Fall einen Schritt in diese Richtung gezeigt. Diese Entwicklung könnte das schon etwas altersschwache Konzept wieder aufleben lassen: Ein Konzertabend, der die Vielfalt der Grazer Musiklandschaft zeigt, bei dem sich Hardcore-Punk mit Electro und vielleicht Indie/Post-Rock mischt, würde die Explo-Halle wohl füllen und frischen Wind in die Szene blasen.