Der Zug des Lebens
In „The Darjeeling Limited“ schickt Wes Anderson Teile seiner schrecklich netten Familie nach Indien.
Die farbintensivierten Familiengeschichten des Wes Anderson gehören mit zu den erfreulichsten Autorenfilmen der Jetztzeit: in seiner mühelosen Paraphrasierung klassischer Erzählgangarten (darunter das Melodram, das Domestic-Drama und die Screwball-Comedy), dem Beharren auf dem Artifiziellen in der „Reality“ und dem Anlegen eines zwar komplexen, dennoch zugänglichen Referenz-Netzes ist der (immer noch) junge US-Amerikaner beinahe beispiellos. Mit „The Royal Tenebaums“ und „The Life Aquatic With Steve Zissou“ verfestigte er seinen Puppenhaus-Stil, in dem er die Gebautheit der Schauplätze auslagert, seine Illusion aufreißt und gleichzeitig bestärkt. „The Darjeeling Limited“ meint im Titel einen kolonialromantischen Märchenzug, der Indien durchkreuzt und dessen Waggons wie schon die Innenräume seiner anderen Filme die Figuren nicht nur beherbegen, sondern ihre Charaktere mitformen. Bill Murray eilt ihm zu Filmbeginn in Zeitlupe hinterher, verbleibt aber im Cameo-Rang und schafft den Einstieg in die Handlung nicht, die von der Reise dreier Brüder erzählt. Francis (Owen Wilson), Peter (Adrien Brody) und Jack (Jason Schwarzman) sind in ihrer theatralischen Ausspielung klassische Anderson-Figuren und der Beginn ihrer Bewegung könnte schöner kaum sein: „The Darjeeling Limited“ jongliert da mit Artefakten, spielt mit pointenlosen Dialogen und /weirdness/ , bringt sich in famosen Bauten in Aufstellung. Das Movens der Figuren leitet sie an wie die Geleise den Zug, dennoch bleibt diese spirituelle Reise zuerst zwecklos und rein auf Situationen hin abgestimmt und vermeidet daher auch abgegriffene dramaturgische Bögen (Seelenreinigung etc.). Die Vorgeschichte ist weitgehend unbekannt, wenn man den Prolog „Hotel Chevalier“ ausklammert, der lediglich im Internet und auf DVD veröffentlicht werden wird. Darin besieht man Jack mit einer Namenlosen (Natalie Portman) beim romantischen Austausch in Paris: ein Song und einzelne Motive daraus kehren in „The Darjeeling Limited“ wieder. Was auf den Schienen noch hervorragend funktioniert, verliert auf den Zwischenstopps zwangsläufig an Fahrtwind: die Exkursionen der drei Brüder verlieren nicht nur die kompositorische Innenräumlichkeit Andersons, es versagt auch der Dialog-Schmäh. Wann immer sich die charmant ineffiziente Figurenausstanzung nicht an einen vollkommen kontrollierten Lebensraum rückkoppeln kann, fehlt den Figuren der Unterboden und das Leichtfüßige wird zur Prätention. Erst am Reiseziel der in einem Kloster lebenden Mutter (großartig: Anjelica Houston), funktioniert Andersons Freiluftgang wieder einigermaßen. Bleibt zu hoffen, dass für Anderson selbst „The Darjeeling Limited“ eine notwendige Reinigung und Neuorientierung war und dass er mit seiner nächsten Produktion, einer Verfilmung des Roald Dahl-Buchs „The Fantastic Mr. Fox“, wieder zum (wie auch immer ausformulierten) Familienfilm zurück findet. Zum Thema der spirituellen Reise empfehlen sich andere Produktionen: „Dude, Where’s My Car?“ (2000) oder „Harold & Kumar Go to White Castle“ (2004).