Die Lust am Spiel
In Ang Lees „Gefahr und Begierde“ wird politischer Aktivismus für ein Dorfmädchen zur Rolle ihres Lebens. Doch im Interessens- und Körpergeflecht läuft sie Gefahr, sich selbst aufzulösen.
Eine Partie Mahjong als rituelle Einführung in den elitären Kreis von Systemopportunisten: der neue Film des Taiwanesen Ang Lee („Brokeback Mountain”) eröffnet in einer großzügigen Shanghaier Wohnung, in der Wang Jiazhi (eine Entdeckung des großen Schauspieler-Regisseurs: Wei Tang) sich in das Herz von Frau Yee (reserviert, gut: Joan Chen) spielt. Eigentliches Zentrum ist jedoch Herr Yee (sexy, gefährlich: Tony Leung Chiu Wai), ein hochrangiger Arbeiter für die Marionettenregierung, die japanische Besatzer im China der Vierziger Jahre installiert haben. Mit „Gefahr und Begierde“ verfilmt Ang Lee eine Kurzgeschichte von Eileen Chang, einer Schlüsselfigur der modernen chinesischen Literatur. In ihren Texten kreuzt sich eine weibliche Wahrnehmung des multikulturellen Shanghai, in dem sie selbst bis 1953 gelebt hat, mit einer leidenschaftlichen Aufnahme zwischenmenschlicher Beziehungen und einem Hang zum Spannungsroman. Drehbuchautor James Shamus hat mit Lee die komplexe zeithistorische Lokalisierung des Geschehens im Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieg auf einen nachvollziehbaren Antagonismus herunter gepegelt. Den sozialistischen, pro-chinesischen Revolutions-Zellen steht ein undurchsichtig-mafiotischer pro-japanischer Apparat gegenüber. Gleich das erste Bild des Films – ein wachender Schäferhund – scheint Lees Sympathien auszustellen: die befehlsgebundenen Marionetten verlieren gegen die (vermeintlich) selbst bestimmten Jugendlichen, mit denen das Dorfmädchen Wang auf der Universität in Kontakt kommt. Nach der eingangs erwähnten Eröffnungssequenz strukturiert Ang Lee „Gefahr und Begierde“ – passend zu seinem perfekten Neoklassizismus – als Rückblick, der erklärt, wie die junge Revolutionärin an den Mahjong-Tisch von Yees Frau gelangen konnte. Vier Jahre zuvor lässt sie sich vom feschen Linksrevolutionär Kuang (Lee-Hom Wang) zur Schauspielerin in einem politischen Theaterstück machen: wenig später singt sie mit der Gruppe Arbeiterlieder auf der Straße. Das Grundthema von „Gefahr und Begierde“ ist die Sehnsucht nach Traumbildern (wie im Kino!) und das Spiel mit Verkleidungen: Wang (oder wie sie in ihrer späteren Rolle genannt wird: Mak Tai Tai) sitzt verträumt in einem Shanghaier Kino und versinkt in der „Penny Serenade“. Auch ihre spätere von der Revolutionszelle bestellte Affäre mit Herrn Yee – die außergewöhnliche Sex-Sequenzen bescherten dem Film in den USA die höchste Altersfreigabe NC-17 – wird als inszenierte (?) Lust lesbar. In einer Schlüsselsequenz spricht sie ihre Selbstaufgabe und Opferbereitschaft in Gegenwart von Agitator Kuang aus: der Glanz verschwindet, übrig bleibt ein Geflecht aus Abhängigkeiten und die Möglichkeit zu einer eigenständigen Entscheidung.