Still Life

Weltraumgeschichten

Der chinesische Regisseur Jia Zhang-ke zeigt in „Still Life“ Außerirdische, denen der Boden unter den Füßen weg gezogen wird.

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Der dokumentarische Blick auf die Umwelt im Umbau vereint die beiden Suchbewegungen, die Shanxia Haoren (Still Life) des chinesischen Regisseurs Jia Zhang-ke anleiten: der Kohlearbeiter Han Sanming und die Krankenschwester Shen Hong reisen von verschiedenen Orten in der Inland-Provinz Shanxi (wo Jia aufgewachsen ist) nach Fenjie. Die Kleinstadt am Hang jenes Kessels, in dem der für den Staatsapparat so wichtige, weil repräsentative Drei-Schluchten-Staudamm entstehen soll, begegnet den beiden Zugereisten wie ein angeschossenes Tier: an jeder Ecke laufen die Vorbereitungen für die Umsiedlung, die Bewohner wirken als Geisterwesen. Tausende Chinesen müssen dem gigantischen Bauprojekt weichen, ihre – oftmals an die fruchtbaren Schlammgründe – gebundene Existenzgrundlage aufgeben und sich in höher gelegenen, kargeren Gebieten niederlassen.

Jia Zhang-ke, der 1995 mit „Xiao Shan Going Home“ sein einstündiges Regiedebüt als unaufgeregte Modernisierungsverlierergeschichte vorgelegt hat, ist während des letzten Jahrzehnts zu einem maßgebenden chinesischen Filmemacher geworden. Seine Arbeiten sind formuliert in einem geduldigen Realismus, der oftmals an Dokumentarfilme denken lässt, gleichzeitig jedoch durchbrochen ist von einer Vielzahl (pop-)kultureller Referenzen: in Jias Welt vermengen sich Gegensätzlichkeiten scheinbar selbstverständlich. Die körnigen, gerade durch ihre technologische Mittelmäßigkeit Authentizität erwirkenden /Mit beiden Beinen auf der Erde/-Bilder von Still Life sind nicht nur bewusst eingesetztes Stilmittel, sondern im vom repressiven Staatsapparat geregelten Kulturalltag Chinas vor allem Mittel zum Zweck. Das menschliche Leid, das in Jias Film so berührend distanziert und nicht unnötig dramatisiert dargestellt wird, wirft Zwielicht auf den Prestige-Damm: zu seiner Weltpremiere bei den Filmfestspielen von Venedig im vergangenen September kam der Film in letzter Minute, vor allem um von den Zensurinstanzen nicht beschlagnahmt zu werden.

Still Life ist für den Regisseur auch filmische Erinnerung an Orte, die in Bälde unter Wasser stehen werden. Diverse Gegenstände friert er für kurze Zeit ein und rahmt damit Stillleben vergangener Leben: an einem Zuckerlpapier, das im Wasser schwimmt, lassen sich ganze Existenzen ablesen. In die Natürlichkeit bricht die Modernisierung ein wie ein schlechter Spezialeffekt in einen Film: für wenige Momente schwebt ein UFO über dem Kessel und verbindet die Protagonisten Han und Shen. Später verwandelt sich ein neu gebautes Hochhaus (in das die Menschen umgesiedelt werden sollen) in eine Rakete und fliegt gen Unendlichkeit. Jia Zhang-ke ist unzweifelhaft einer der talentiertesten Regisseure unserer Zeit.

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