Mohn

Die Kompakt-Schwergewichte Wolfgang Voigt und Jörg Burger zelebrieren mit ihrem Projekt den Zeitlupentechno. Das Ergebnis ist magisch.

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Wer schon mal am Kölner Ebertplatz war weiß, dass die an hässlichen Stellen nicht arme Stadt am Rhein dort besonders grausam grau ist. Man muss schon ein ausgesuchter Liebhaber klotziger Urbanität sein, um sich von der in Beton und Stahl gegossenen Nachkriegsmoderne nicht deprimieren zu lassen. In einem ganz anderen Licht zeigt sich der Verkehrsknotenpunkt allerdings in dem wunderbaren Video »Ebertplatz 2020« von Mohn, dass vor einigen Wochen auf Youtube auftauchte. Die beiden Kompakt-Godfathers Wolfgang Voigt (aka Gas und Mike Ink) und Jörg Burger (The Modernist) streichelten mit der Kamera langsam über die Unterführungen und Betonkötze, tauchten sie in farbige Negative und unterlegten das Ganze mit einem Teppich aus Ambient Techno, der so langsam und zuverlässig floß wie der Rhein selbst. Das war großartig, und der Soundentwurf funktioniert auch auf Albumlänge erstaunlich gut.

»Mohn« ist eine provozierend langsame Platte. Sie treibt eine Stunde mit gefühlten 20 bpm vor sich hin und türmt dabei Klangteppiche zu gewaltigen Ambient-Plattenbauten auf. Es ist quasi unmöglich, sich der hypnotisierenden Wirkung des Zeitlupentechno, den das Duo auftischt, zu entziehen. Es knistert, klickert und rauscht auf neun magischen Tracks, die schwebend-zeitlos sind und trotzdem mit voller Breitseite kommen. Müsste man die Platte mit einer Metapher beschreiben, würde sich ein Ozean aufdrängen: »Mohn« ist manchmal still, kräuselt sich hier und da und wogt zwischenzeitig auch. Aber man hat immer das Gefühl, die Weite im Ohr zu haben. Highlights sind neben »Saturn« und »Das Feld« die oben erwähnte Hymne an den Ebertplatz und der Titeltrack. Wirkliche Schwächen hat das Album keine. Es ist sogar etwas für Menschen, die normalerweise bei Konzept-Techno nur mit den Augen rollen. Dem umtriebigen Voigt, der neben seinem Dasein als Produzent und Labelmacher auch mal gerne als Maler in Erscheinung tritt, ist mit seinem Partner Jörg Burger etwas gelungen, woran er bei seinen anderen verkopften Projekten (man denke hier zum Beispiel an die »Rückverzauberung«) manchmal gescheitert ist: Musik, die auf der Kopf- und der Bauchebene funktioniert.

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