Das MAK zeigt das vielseitige Lebenswerk eines richtungsweisenden Visionärs, Gestalters, Künstlers und Theoretikers: für Friedrich Kiesler greift die Bezeichnung „Architekt“ wirklich zu kurz.
Kann jemand, nach dessen Plänen nur ein einziges Gebäude erbaut worden ist, als Architekt in die Geschichte eingehen? Friedrich Kiesler verstand unter Architektur die Gestaltung der Interaktion des Menschen mit dem Raum. Dabei erstreckten sich seine Tätigkeitsfelder vom Entwerfen von Häusern über Ausstellungsgestaltungen und Bühnenbilder bis hin zu Möbeln und Skulpturen. Das MAK hat sich nun über die wichtige Aufgabe gewagt, jemanden wie Friedrich Kiesler, der zeitlebens Abgrenzungen und Definitionen abstreifen wollte, in einer Ausstellung einzufangen.
Aufbrechen und Näherbringen
Die Ausstellung führt anhand von Werkgruppen durch die Ideenwelt Kieslers. Am Anfang stehen die Wurzeln des Gestalters in der Avantgarde der 1920er: Ein von Kiesler selbst entwickeltes modulares Ausstellungssystem präsentiert eine Vielzahl an Entwurfszeichnungen und historischen Fotografien, die sein Engagement am Theater dokumentieren. Mit diesem Leger- und Trägersystem und der spiralförmigen Raumbühne formuliert Kiesler bereits früh die zentralen Stoßrichtungen seines Werks: bestehende Wahrnehmungskonventionen aufbrechen und dem Publikum das Dargebotene näher bringen.
Vom Kubus zur amorphen Höhle
Diesen Gesichtspunkten folgen nicht nur die Ausstellungsarchitekturen, die Kiesler nach seiner Emigration in die USA unter anderem für Peggy Guggenheim anfertigte, sondern auch seine im Laufe der 1930er und 1940er Jahre ausformulierten Vorstellungen von einem Haus der Zukunft. Vom Konzept des Space House, das stark an den Loos’schen Raumplan erinnert, gelangt Kiesler zu der Idee eines Endless House, einer Architektur, die sich nicht mehr am Kubus, sondern am Unendlichkeitssymbol der liegenden Acht und den amorphen Formen von Höhlen orientiert, und die als „Blaupause“ für die freien Formen zeitgenössischer Bauten wie etwa jenen von Zaha Hadid gesehen werden kann.
Bewohnbare Kunst
Es ist wiederum derselbe Grundgedanke, der auch Kieslers künstlerisches Schaffen prägt. Der dritte Teil der Ausstellung beschäftigt sich mit seinen Gemälden und Skulpturen, denen weniger ein kunsthistorischer Wert zukommt: sie gewinnen erst durch Kieslers innovative Ideen der Benütz- und Bewohnbarkeit an Bedeutung. So verteilen sich seine aus mehreren Gemälden bestehenden Galaxies nach genauen Hängeplänen an Wand, Boden und Decke eines Raumes. Die posthume Rekonstruktion seiner nie fertiggestellten begehbaren Plastik eines toten Pferdes mit dem Titel Bucephalus hat ihren Weg nach Wien leider nicht gefunden.
Nicht zeitgemäß, zukunftsweisend!
Als Entschädigung bildet die Rekonstruktion eines anderen Hauptwerks Kieslers das Herzstück der Ausstellung – die Raumstadt. In einem mit schwarzem Stoff abgehängten Kubus schwebt ein raumgreifendes Konstrukt aus Balken und Flächen, das Kiesler 1925 teils als Ausstellungsarchitektur, teils als Kulisse, eigentlich aber als Vision einer Stadt der Zukunft entworfen hat. Spätestens hier wird klar, was alle Arbeiten von Kiesler gemeinsam haben: den nachdrücklich radikalen Willen des Visionärs, Gesamtlösungen zu schaffen, die die Interaktion von Mensch und Raum nicht einfach auf eine zeitgemäße, sondern auf eine zukunftsweisende Art gestalten.
Die Ausstellung im MAK bietet nicht nur die Möglichkeit, den „trockenen“ Weg über die zahlreichen Dokumente, Fotografien und Pläne zu gehen, sondern auch durch die aufwendigen Rekonstruktionen und Modelle ein Gefühl für Kieslers Denken zu bekommen. Ergänzend wirken ein Programm an speziell in Auftrag gegebenen zeitgenössischen Kunstpositionen und engagierte Arbeiten einer Schulklasse über Stadtformen der Zukunft.
Geheimtipps: das ästhetisch präsentierte Arbeitsmodell der Wooden Galaxy for Philip Johnson; langes Umschreiten der Raumstadt; Abgleich der Realität mit den Zukunftsprognosen Kieslers im Rahmen des Projekts der Mobile Home Library; das ominöse Lächeln Stefanie Sargnagels im Videomitschnitt der Performance von Verena Dengler, Janina Audick und Sachiko Hara; die zu ebendieser Performance gehörenden Teppiche und 3-D-gedruckten Pferde.
Die Ausstellung „FRIEDRICH KIESLER – Lebenswelten“ läuft noch bis 2. Oktober im MAK in Wien. Mehr Informationen zur Ausstellung und Terminen für Führungen findet man hier.