Was nach einem Jahr im Onlinejournalismus übrig bleibt

Listicles und bunte Inhalte sollten den verstaubten Journalismus auflockern und junge Menschen wieder zum Lesen bringen. Wann ist das ambitionierte Vorhaben der Verlage zu weit gegangen? Ein Resümee.

Aus rechtlichen Gründen werden Artikel aus unserem Archiv zum Teil ohne Bilder angezeigt.

„23 Situationen, die nur unfassbar faule Menschen verstehen“
„Deine Haribo-Vorlieben verraten, wie viele Kinder du bekommen wirst“
„Carpool Karaoke – mit den Red Hot Chili Peppers!“

Wer durch Facebook scrollt, kommt an Artikeln wie diesen nicht vorbei. Es handelt sich dabei um sogenannte teilbare Inhalte, die die Nutzer an ihre Kindheit in den Neunzigern erinnern sollen, oder anders Emotionen triggern. Bei alten Serien (Gilmore Girls), süßen Kindern („Dieses Mädchen hat das beste Halloween Kostüm“) oder kulturspezifischen Elementen („Kennst du nur, wenn du polnische Wurzeln hast“), kommen die Shares dabei quasi von selbst.

Ich weiß das, weil ich solche Headlines selbst geschrieben habe. Heute ist mein letzter Tag nach einem Jahr im Onlinejournalismus. Ich räume meinen Platz, packe drei Bücher und einen USB-Stick ein. Das wars. Die tägliche Arbeit am Schreibtisch erinnerte mehr an einen Job am Fließband, denn an einen kreativen Brotberuf: Das Web checken, irgendetwas in einem Absatz „kurz abbilden“, schau mal – ein lustiges Video. Den Spielraum für aufwändigere Stücke schaffen Redakteure heutzutage „nebenbei“, wenn der Kleinkram erledigt ist.

Für viele Freiberufler scheint die langersehnte Festanstellung der heilige Gral zu sein. Bis sie selbst dort landen und ihre Kreativität nach ein paar Monaten vergebens in den Sofaecken der Full-Integrated-Newsrooms suchen. Ökonomischer Druck hat die Recherchezeit auf ein Minimum reduziert, Treffen in Cafés und ausgiebiges Kennenlernen von Protagonisten sind in vielen Verlagen zu Ausnahmen verkommen – und trotzdem zieht es Tausende von Studierenden jedes Jahr hin zum Traumberuf Journalismus. Was wäre auch die Alternative, wenn man langfristig vom Geschichtenerzählen leben möchte?

„Journalismus als berufliche Tätigkeit ohne eine Organisation gibt es nicht, zumindest nicht auf Dauer“, schreibt der Kommunikationswissenschaftler Otfried Jarren in der NZZ. Er spricht in seinem Artikel „Darüber redet man lieber nicht“ Probleme an, die auch mir aufgefallen sind: Industrielle Produktionsweisen, die Festlegung auf schon Erwartetes und die nicht geführte Debatte über Qualität.

Vom „Abholen“ und „Mitnehmen“

Ein bisschen Identifikations-Content im Stil von BuzzFeed hier, ein bisschen Politik erklären da – fertig ist das journalistische Angebot 2016. Massenmedien möchten möglichst viele Rezipienten mit möglichst geringem Aufwand erreichen. Nur – Überraschung – dafür gibt es einen Preis. Von „Abholen“ und „Mitnehmen“ ist die Rede, während die immergleichen abgelutschten Formate wiederholt werden.

Obwohl sich die Gesellschaft stetig ausdifferenziert, wird verbissen am „More of the Same“-Prinzip festgehalten. Innovation wird nämlich nur so lange gefordert, bis sie tatsächlich realisierbar wird. Danach darf in Deutschlands Verlagshäusern erstmal ein halbes Jahr mit angezogener Handbremse im Dreiteam gebrainstormt werden, bis der neueste Zug – zum Beispiel Snapchat – wieder abgefahren ist. Also doch lieber Altbewährtes, das jeden Medienteilnehmer mit einer gewissen Grundaufmerksamkeit versorgt.

„15 Dinge, die du vor einer Weltreise wissen solltest“ – dieser Artikel könnte mittlerweile auf jedem beliebigen Portal stehen. Genau hier, nicht bei der Frage der inhaltlichen Notwendigkeit eines solchen Textes, setzt die Kritik an. Imitation, sagt Jarren genauso wie schon Pablo Boczkowski (2010) „minimiert die Risiken in der publizistischen Produktion.“ Aus Angst, Einmaliges und Neues zu schaffen, wird lieber das kopiert, was am Vortag schon bei den (amerikanischen) Kollegen „funktioniert hat“. Das sind dann gerne „virale Videos“, in denen Pandabären kugeln oder Kinder aufwändige Choreografien tanzen. Momentan auch sehr beliebt: Food-Videos für Anfänger, die zeigen, wie man Brot mit Käse überbäckt.

Übrig bleibt am Ende des Tages – oft, nicht immer – ein unbefriedigender Haufen nicht zu Ende gedachter Ideen. Dafür Redakteure und Redakteurinnen verantwortlich zu machen, wäre angesichts ihrer Anstellungsverhältnisse lächerlich. Das Problem liegt auch nicht in der scheinbar zu geringen Bildung oder den nicht vorhandenen Ansprüchen.

Es sind viel mehr die Bedingungen, unter denen jene Form von traffic- und klick-generierendem „Artikel“ hergestellt werden muss, um das Überleben eines Mediums zu sichern. Sie erinnern an digitale Sweatshops, in denen die Mitarbeiter pflichtbewusst und angstgetrieben Texte produzieren, mit denen sie sich im Nachhinein nicht identifizieren können. Feste Jobs im Journalismus sind nach wie vor rar, wer möchte da schon nein sagen?

Einmal bitte mehr, schneller, effizienter zum Mitnehmen

Wer über die kapitalistischen Produktionsbedingungen jammert ohne zu handeln, braucht sich laut Journalistin Olja Alvir gar nicht wundern: „Es ist augenverdrehend naiv, wie Investigativjournalist_innen krokodilsträndend über schlechte Arbeitsbedingungen anderer Metiers schreiben – und dann nichtmal im entferntesten auf die Idee kommen, auch selbst mal auf der Abschlussliste aufzutauchen.“

Journalismus sei eben auch nur ein Produkt im Kapitalismus. Da, wo er sich starken wirtschaftlichen Zwängen unterwirft, wird er sich selbst tendenziell untreu.

Aber nicht nur das ökonomische Verhältnis zwischen Medieninhalt und Zeitaufwand („Dauert auch nur 2 Stunden!“), sondern auch jenes zwischen Text und Autor scheint in vielen Fällen ver-rückt zu sein. Dort, wo drei Beiträge pro Tag als Maßstab gelten, ist das wenig wunderlich.

„Medien und Journalismus gehören zu den wenigen Bereichen der Gesellschaft, in denen intern (…) nicht systematisch über Qualität gesprochen wird“, schreibt Jarren. „Die von der Medienbranche verweigerte Debatte um Qualität wird nun von Laien und mit anderen Argumenten geführt.“

Hauptsache, ein Artikel läuft, also klickt gut? Langfristig gesehen nutzt diese Vorgehensweise vor allem der Werbeindustrie, nicht der Horizonterweiterung der Leser.

Qualitätssicherung ist, Texte nicht nur dann zu fordern, wenn sie aufgrund von geschickt platzierten Bildergalerien quantitativ als erfolgreich gelten – und ein Medium damit zum Quartalsende als lukrativen Werbeträger ausweisen. Qualität ist auch, wenn man politische Positionen nicht nur der Aufmerksamkeit zuliebe annimmt („So sehen echte Frauen aus!“), weil dieser „Body-Positivity-Quatsch“ zum Beispiel gerade angesagt ist.

Qualität ist für mich, wenn man die Lust eines Autors oder einer Autorin am Thema spürt. Wenn ein Artikel nicht so lange verschlimmbessert wurde, bis Journalistinnen und Journalisten Sätze nicht mehr als ihre eigenen erkennen können, weil Ansprache und Vokabular bis zur völligen Entfremdung verändert wurden. Angepasst, an branchenübliche Erscheinungsformen, die Individualität nur dann zu lassen, wenn diese zuvor erstritten wurde.

Die Leser – so nennt man Nutzer auch abseits von Management-Sprech – spüren das. Sie merken, was echt ist, und wenn Liebe fehlt. Dank Social Media können sich Einzelne genauso wie Gruppen selbst austauschen, organisieren und Themen anstoßen. Sie sind nicht mehr auf Medienriesen angewiesen, wenn sie informiert oder unterhalten werden möchten. Eine Entwicklung, die sich weder schönreden noch aufhalten lässt.

Austritt als Konsequenz, als politische Handlung

Wer sich fragt, wo die kritischen Stimmen aus den Epizentren der Filter-Bubble bleiben, sollte an die Konsequenzen denken, die mit einem „Outing“ einhergehen. Wer sich traut, aus den „eigenen Reihen“ Kritik zu üben, wird nicht nur von ehemaligen und potenziellen Arbeitgebern geächtet und muss Klagen fürchten, sondern sollte auch um seine künftige „Karriere“ bangen. Damit zumindest letzteres wegfällt, beende ich es hiermit einfach selbst.

„Es gehört nicht zum Selbstverständnis von Journalisten, sich mit Kollegen anzulegen. Und schon gar nicht mit den Bossen.“ – 
Silke Burmester 

Um im Journalismus weiterzuarbeiten, fehlt mir nicht nur die Begeisterung für achtstündige Schichtarbeit und professionelles Arschkriechen. Ich bin es auch leid, Strukturen zu kritisieren und auf der anderen Seite an ihnen festzuhalten. Finanziell von ihnen abhängig zu sein.

Diese kognitive Dissonanz führte letztlich dazu, dass ich – trotz jahrelanger Freude am Schreiben und politischem Engagement  – künftig nicht mehr hauptberuflich vom „Internet“ und den dort publizierten Artikeln leben möchte.

Weil ich es nicht vor mir selbst verantworten kann, den Online-Journalismus – in der Art, wie ich ihn künftig praktizieren müsste – zu unterstützen. In seiner ganzen Selbstgefälligkeit.

 

Die Autorin hat Politikwissenschaft und Medien- und Kommunikationswissenschaft studiert und lebt aktuell in Hamburg. Nach ihrem Ausflug in den Journalismus möchte sie wieder zurück an die Uni, um andere auf ein Leben in ständiger Erreichbarkeit vorzubereiten. Mail: frau@groschenphilosophin.at

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