Maria Mayrhofer und Hubert Sickinger beschäftigen sich beide mit Politik – mit unterschiedlichen Zugängen. Im Interview sprechen sie über Partizipationsmedien, Finanzierung und den Einfluss sozialer Medien.
Die Politologin und Aktivistin Maria Mayrhofer macht mit ihrem Projekt #aufstehn Politik abseits der etablierten Parteien. Ihr Ziel: jene zu vernetzen, die sich zwar für ein bestimmtes Thema engagieren wollen – aber nicht unbedingt für eine etablierte Partei. Ein Beispiel dafür ist der im Sommer von #aufstehn initiierte #SolidarityStorm. Politikwissenschaftler und Konfliktforscher Hubert Sickinger beobachtet die klassische österreichische Politszene seit Jahren, seine Schwerpunkte liegen dabei vor allem in der Parteienforschung, der Parteienfinanzierung und der Korruptionsforschung.
Wir haben uns mit beiden zu einem Doppelinterview getroffen um, um über unterschiedliche Zugänge zu Politik im Jahr 2016 zu sprechen.
Herr Sickinger, mobilisieren politische Parteien heute anders als früher?
Sickinger: Traditionelle Parteien sind große, unbewegliche Tanker. Die Frage, ob SPÖ und ÖVP noch richtig kampagnenfähig sind, ist eines der Grundprobleme der Großparteien. Wenn Sie zum Beispiel die Idee hätten, SPÖ-Mitglied zu werden, dann kämen Sie dort in eine Sektion. Dort treffen Sie dann ein paar Junge, aber hauptsächlich Pensionisten, die lieber Karten spielen, als wirklich politische Debatten zu führen. Wenn man jetzt an großen politischen Themen interessiert ist, kann ich mir nicht vorstellen, dass das ein interessantes Partizipationsangebot ist. Und die Ochsentour durchzumachen, also von der Basis über die Bezirksvertretung in den Gemeinderat zu kommen, um irgendwann einmal ein Mandat bekommen… das ist ziemlich uninteressant.
Frau Mayrhofer, hat es Sie jemals interessiert, selbst Politikerin zu werden?
Mayrhofer: Aus der Außenperspektive hat mich Politik immer beschäftigt. Ich habe mit zehn Jahren leidenschaftlich gern die „Zeit im Bild“ geschaut und konnte alle Minister beim Namen aufzählen. Wenn ich gefragt wurde, was ich einmal werden will, dann habe ich augenzwinkernd gesagt: Bundespräsidentin. Ich habe Politikwissenschaft studiert und mich sehr intensiv mit Mechanismen innerhalb von Parteien auseinandergesetzt. Aber dieses relativ starre Konzept, bei dem du irgendwo beitrittst und von der Wiege bis zur Bahre gebunden bist – das hat in meiner Lebensrealität zu keinem Zeitpunkt gepasst.
Was macht #aufstehn?
Mayrhofer: Wir sind eine zivilgesellschaftliche Organisation. Unser oberstes Ziel ist es, Partizipationsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Wir haben in Österreich rund 40.000 Unterstützer und Unterstützerinnen und greifen Themen auf, die denen wichtig sind: zum Beispiel Chancengleichheit, eine wirtschaftliche Entwicklung, die allen nützt. Unsere UnterstützerInnen machen zum Beispiel bei einem bestimmten Thema mit und beim nächsten Thema sagen sie: da lieber nicht. Etablierte Strukturen in Parteien sind teilweise nicht mehr dafür geschaffen, ein Thema wirklich von der Basis bis nach oben hochzutragen. Das schaffen wir besser.
Wie finanziert ihr das Projekt?
Mayrhofer: Wir sind drei MitarbeiterInnen und einige Ehrenamtliche. Wir wollen uns so schnell wie möglich von Klein- und Kleinstspenden und regelmäßigen Förderbeiträgen finanzieren, also durch unsere Unterstützerinnen. Das gewährleistet unsere Unabhängigkeit. Bis es so weit ist, etwa in zwei bis drei Jahren, sind wir auf Förderungen angewiesen. Wir bewerben uns zum Beispiel für Preise und haben Schwesternorganisationen in anderen Ländern, die uns mit Know-how und Förderungen unter die Arme greifen.
Herr Sickinger, Sie sind auch Experte für Parteienfinanzierung. Wie hat sich das Ausmaß von Korruption verändert?
Sickinger: Heute gibt es in Österreich eher weniger Korruption als früher. International tätige Unternehmen müssen viel stärker auf Compliance achten, einige frühere Praktiken sind jetzt verboten. Ich war einer der Mitinitiatoren von Transparenzgesetz.at, da ging es um eine Verschärfung des Korruptionsstrafrechts, um ein neues Parteiengesetz und die Offenlegung von Nebeneinkünften von Abgeordneten. Die Bilanz war gemischt. Am Ende geht es nicht nur um Transparenz für das politische System, sondern auch für administratives Handeln.
Gerade während dem Wahlkampf wurde viel mit dem Wort „postfaktisch“ gespielt. Gab es früher in der Politik wirklich mehr Wahrheit? Wie ist das mit der Lüge früher und heute?
Sickinger: Heute haben die postfaktischen Politiker auch schon ihre eigenen Kanäle. Und ihre Filterblasen auf Facebook. Das ist neu. Aber dass postfaktisch argumentiert worden ist, auch von Spitzenpolitikern – ist nicht neu. Man schaue sich nur Auftritte von Jörg Haider an. Neu ist, dass die Stammtische vernetzt sind in riesigen Filterblasen, z.B. die HC-Strache-Website. Die bestätigen sich alle wechselseitig. Und mit den Filteralgorithmen von Facebook bekommen die Leute dann plötzlich nur mehr solche Meldungen angezeigt. Das, von dem Facebook denkt, es könnte dich politisch ein bisschen irritieren, das wird dir einfach nicht mehr angezeigt. Facebook hat da einen unheilvollen Effekt.
Welchen Einfluss haben soziale Medien?
Sickinger: Parteien haben es auf Social Media relativ schwer. Der Erfolgsfaktor ist das Persönliche. Institutionelle Akteure sind auf Twitter völlig uninteressant, genauso Politiker, die nur ihre Presseaussendung absetzen. New Social Media ist für Aktivismus und Kommunikation außerhalb von Parteien dafür sehr, sehr vorteilhaft. Durch die Filterblasenbildung haben sich rechtspopulistische Parteien eine massive Gegenöffentlichkeit aufgebaut, ein eigenes völlig abgegrenztes Territorium. Das ist auch ein riesiges Problem für den öffentlichen Diskurs. Man merkt es bei manchen Tweets, wo dann reflexartig auf bestimmte Begriffe reagiert wird.
Mayrhofer: Etablierte Parteien, die eine fixe Zugehörigkeit anstreben, haben das Problem, dass sie den Social Movement-Gedanken in den Social Media Kanälen nicht mittransportieren, weil sofort klar ist: da steht eigentlich eine Partei dahinter. Und es geht nicht nur um das Thema, sondern immer auch um etwas Zweites.
Frau Mayrhofer, wie reagieren etablierte Parteien auf Ihre Arbeit?
Mayrhofer: Das ist sehr kampagnen- und themenabhängig. Wenn es zum Beispiel um Hass im Netz geht, greifen Parteien das immer wieder auf, machen selbst etwas dazu und laden uns ein. Grundsätzlich ist es so, dass uns viele noch nicht richtig einordnen können. Unseren Anspruch – nämlich Leute zu beteiligen – sind sie zum Teil noch nicht gewohnt. Da gibt es eine grundlegende Skepsis. Gerade die klassischen Parteien haben da vielleicht eine größere Hemmschwelle.
Maria Mayrhofer leitet das #aufstehn-Team und wurde vergangene Woche in der Kategorie „Gegen Hass im Netz“ mit dem Wiener Frauenpreis ausgezeichnet. Alle Infos zur Plattform #aufstehn findet man hier. Hubert Sickinger veröffentlichte zahlreiche Bücher zur österreichischen Politlandschaft, lehrt an der Universität Wien und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Konfliktforschung in Wien.