Man stelle sich einen Zirkus vor. Und dann denke man das Zelt weg. Und eigentlich auch die Zuckerwatte und die tanzenden Elefanten. Man stelle sich vor, dieser Zirkus würde in einem Keller stattfinden. Genau das ist beim Rhizomatic Underground passiert - mit großem Erfolg.
Es gibt keinen Handyempfang im Santa Croce, dem ehemaligen Elysium, denn die Location liegt einige Meter unter der Erde. Für die Generation Smartphone ist das insofern hinderlich, als die Fotos der Dinge, die hier unten vor sich gehen, durchaus einen Facebook-Post wert wären. Eben über diesen Social-Media-Kanal ging mit den Worten „Herunterspaziert, herunterspaziert!“ eine Einladung zum Rhizomatic Underground hinaus an die Welt. Bei der Veranstaltung verlässt der Zirkus seine natürliche Umgebung, aka das Zirkuszelt, und zieht in den Keller hinunter.
„Wir sind Meister darin, uns an unterschiedliche örtliche Gegebenheiten anzupassen“, sagt Organisator Gabriel Kraußhar. Das Santa Croce besteht aus fünf gewölbten Kellerräumen und ist seit der Eröffnung im November 2016 gewissermaßen Wiens erste Anlaufstelle wenn es um Underground-Kunst geht. Underground ist dabei ganz im wörtlichen Sinne zu verstehen.
Der Zirkus und das Internet
„Wir wurden vom Kurator des Santa Corce eingeladen, dort aufzutreten“, erzählt Kraußhar. Aber wer ist eigentlich „wir“? Das ist im Fall des Keller-Zirkus gar nicht so leicht zu erklären. Kraußhaar versucht es trotzdem: „Es gibt zwar den Verein Rhizomatic, der immer wieder ungewöhnliche Zirkusprojekte startet, aber für den Underground Circus haben wir noch viele andere Künstler dazu geholt", erklärt er. In der Zirkuswelt laufe mittlerweile vieles über E-Mail. E-Mail-Verteilerlisten, genau gesagt, auf denen sich alle befinden, die in Wien für Artistik und alternative Kunst zu haben sind. Auf diesem Weg können die Akteure der Szene sich gegenseitig über Trainings- und Auftrittsmöglichkeiten informieren.
Proben ohne Tageslicht
Auch für den Rhizomatic Underground wurde kurzerhand eine „Wer will?“-Mail ausgeschickt. Und es wollten viele. 49 unterschiedliche Künstler fanden sich am Ende im Keller ein, den sie in ein räumliches Gesamtkunstwerk umwandeln wollten. „Wir haben uns dann einen Monat lang getroffen und es ist ein Konzept entstanden“, erklärt der Kraußhar, der während dieser Zeit vergleichsweise wenig Tageslicht gesehen hat. Nach einigen Proben vor Ort sei schnell klar gewesen, dass die Idee funktioniert. Wie gut, dass merkte das Organisationsteam aber erst, als am Tag der Veranstaltung über den Abend verteilt 800 Leute ins Santa Croce hinabstiege, um die Performances zu sehen.
Backstage, das bedeutet in diesem Fall hinter einem schweren grünen Vorhang im Eingangsbereich, bereiten sich die Künstler vor. Ganz normale Studenten in Jeans und Pullis verschwinden hinter den Vorhang und kommen als traurige Clowns, wahnsinnige Wissenschaftler oder wundersame Feenwesen wieder hervor.
Zum Tanzen in den Keller gehen
Im ganzen Keller riecht es nach Karfiol. Die Organisatoren haben für ihre Besucher gekocht. Das Essen gibt es, wie übrigens auch den Eintritt, gegen eine freiwillige Spende. In den unterschiedlichen Kellerräumen laufen gleichzeitig diverse Darbietung. Es gilt, im Dunklen nicht über die Besucher zu fallen, die mangels Sitzplätzen auf die Kellertreppen ausgewichen sind. In der Mitte eines Raumes hängt ein kreisförmiges Trapez vom Deckengewölbe. Zwei Frauen in hautengen Anzügen winden sich schlangenartig herum. Zur selben Zeit unterhalten nebenan Johanna van Tan und Finnian Sweeney und Stoney Fidler das Publikum mit ihrer Musik. Geht man den Kellergang weiter entlang, gelangt man in einen Raum mit einer Art stillgelegtem Springbrunnen. Darin (ja, wirklich im Becken) zeichnen Künstler Karikaturen von den Besuchern, rundherum tanzen die Besucher. Immer noch gibt es keinen Handyempfang, um das launige Spektakel mit der Außenwelt zu teilen.
Unterwäsche und Riesenseifenblasen
An den Wänden und über den Türen hängt übrigens Unterwäsche sämtlicher Gattungen, vom String Tanga bis zur Boxershorts. Die Künstlerinnen Susi Greiner und Petra Ganglbauer haben sie zum Amusements des Publikums aufgehängt. Beständig wird gecheckt, ob hier alles frisch gewaschen ist. Wer sich durch den Besucherandrang bis zur Bar vorkämpfen möchte, muss erst an Riesenseifenblasen vorbei, wird dort aber Zeuge einer spontanen Jonglier- und Akrobatikeinlage. Überall gibt es etwas zu sehen und "das Publikum macht sich auf eine lustige Art und Weise selbstständig", sagt auch Organisator Gabriel Kraußhar.
Pünktlich zur Showtime finden sich alle Besucher dann aber wieder geordnet in zwei Kellerräumen zusammen. Akrobatik, Performancekunst, Clownerie und Pantomime wechseln sich auf den Bühnen ab. Die Darbietungen tragen Namen wie "Wuff-wuff-schnüff-schnüff" oder "About the Birds" und sehen ungefähr genauso schräg aus, wie ihre Bezeichnungen klingen.
Apropos Bezeichnungen: Was bedeutet nun eigentlich "rhizomatic"? Auch darauf hat Kraußhar eine Antwort parat: "Eigentlich ist das ein philosophisches Konzept. Es beschreit eine Arbeitsweise, die dezentral und parallel ist und sich spontan verknüpfen lässt", sagt er. Eben das habe man auch beim Underground Circus versuchen wollen. Der dauerte übrigens bis 2:00 Uhr morgens, als dann auch die letzen Clowns schmähstad wurden. Die nächste Veranstaltung ist aber bereits in Planung...
Dieser Beitrag ist im Rahmen des Multimedia-Ateliers am Institut für Journalismus & Medienmanagement der FH Wien der WKW entstanden.