Ansichten eines Clowns

Die archetypische Figur des Clowns ist in der Kunst, der Literatur und der Musik viel porträtiert. Als Narr, als Schurke, als Melancholiker. Gerade für Letzteres gäbe es einen recht konkreten Grund – denn eigentlich mag ihn niemand.

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Ok, reden wir Klartext: Niemand mag Clowns. Die Berufsgruppe würde sich gefühlt auf einem ähnlichen Sympathielevel wie Pressesprecher oder Lobbyisten bewegen, aber dazu ist sie den meisten Menschen einfach zu egal. Auch im Zirkus blicken die Zuschauer beim Auftritt eines Clowns nach zwei Minuten höflichen Gelächters genervt auf ihre Uhren und wünschen sich den Artisten oder Löwen zurück. Akzeptiert es, selbsternannte Spaßmacher: Niemand braucht euch. Im Prinzip nicht mal eure Kernzielgruppe: Im Jahr 2008 befragte die Uni Sheffield 250 Kinder, was sie von Clowndarstellungen an den Wänden von Kinderstationen hielten. Alle 250 fanden sie unlustig, verbanden Negatives mit ihnen, und viele hatten auch schlicht Angst. Klinikclown-Verbände bemühten sich schnell richtigzustellen, dass sich die Befragung nur auf Wanddarstellungen, nicht aber auf die Besuche von echten Klinikclowns bezog. Aber zu spät, der Schaden war angerichtet. Die Botschaft, die hängen blieb, war: "Kinder haben Angst vor Clowns".

Can’t sleep. Clown will eat me

Und diese Angst ist kein Zufall. Die Populärkultur schreibt den maskierten Spaßmachern gerne böse Rollen auf den Leib. Ob Pennywise aus Steven Kings "Es", der Joker aus "Batman" oder Captain Spalding aus Rob Zombies "Haus der 1000 Leichen": Die Literatur- und Filmgeschichte ist voll von brutalen Clowns, die sadistischen Spaß am Quälen ihrer Opfer haben. Woher das kommt ist schwer zu sagen. Vielleicht, weil man den Clown hinter seiner Maske nicht erkennt; vielleicht spielt das bürgerliche Misstrauen gegenüber jemanden, der die Dinge nicht ernst nimmt, mit hinein; vielleicht vermuten wir auch hinter professionellen Humorarbeiten automatisch etwas Tiefgründiges und Unheimliches. Psychologen weisen auch darauf hin, dass gerade auf Kinder die Kombination aus sehr ungewöhnlichen Gesichtern auf bekannten Körperformen erschreckend wirkt. Die krankhafte Angst vor Clowns nennt man übrigens Coulrophobie. Gesicherte Zahlen existieren nicht, Gerüchten zufolge soll es eine der zehn häufigsten Phobien sein. Das Bestival, ein Sommerfestival auf der Isle of Wight, verbot im Jahr 2006 den Zutritt für Menschen im Clownskostüm. Angeblich habe es Beschwerden von Coulrophobikern gegeben.

Professionelle Unterhaltungsarbeit

Für einen Unterhaltungsberuf hat die Clownerie einen überraschend tiefen theoretischen Unterbau. An den professionellen Clownschulen wird viel gelesen, und Andrej Nikolajev, ehemaliger Clown des Moskauer Staatszirkus, ist heute Professor an der Theaterakademie der russischen Hauptstadt. Clown sein bedeutet nicht, sich einfach nur zum Affen zu machen. Und Clown ist nicht gleich Clown. Im 19. Jahrhundert entwickelten sich aus der Pantomime vor allem zwei Figuren heraus: Der Weißclown und der dumme August. Der Weißclown ist der autoritäre, elegante Besserwisser; sein Compagnon ein tölpelhafter, warmherziger Idiot. Die beiden Figuren treten meist zusammen auf. Der legendäre italienische Regisseur Federico Fellini erklärte die Beziehung zwischen den Antagonisten zu einem "Kampf zwischen dem stolzen Kult der Vernunft, der zum anmaßenden Kult des Ästhezismus wird, und dem Instinkt, der Freiheit des Triebes."

Der Narr als Blitzableiter

In der Rolle des Clowns lebt der Archetypus des Narren weiter. Die Geschichte reicht weit zurück, bis zum Harlekin der Renaissance und dem Hofnarren des Mittelalters. Auch die irische Mythologie kennt Narrengötter, und die Populärkultur hat diesen Aspekt Lokis aus dem nordischen Asen-Mythos über die Jahre immer bekannter gemacht. Das ist auch der Punkt, warum sich die Clowns vielleicht doch nicht schlecht fühlen müssen. Wie die Hofnarren werden sie ausgelacht, man prügelt auf sie ein, ist sich aber insgeheim bewusst, dass sie eine wichtige Sonderrolle spielen. Wie das bemitleidenswerte Omega-Tier im Wolfsrudel, das als Blitzableiter dabei hilft, das soziale Gefüge zusammenzuhalten.

Die Rolle des Clowns ist eigentliche eine traurige, weshalb die Kunst ihn auch gerne melancholisch porträtiert. Er lebt für den Moment. Er versucht, die Menschen zum Lachen zu bringen und arbeitet nur für sie. Und ist am Ende allein und ungeliebt. Eine grundsympathische Figur, die jeden Tag aufs neue Scheitert. In Heinrich Bölls Roman "Ansichten eines Clowns" wird der Protagonist Hans Schnier gefragt, was für ein Mensch er sei. Seine kurze Antwort: "Ich bin ein Clown und sammle Augenblicke. Tschüss."

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