»Alle haben die Platte nur noch als Produkt begriffen«

Der Hamburger Gregor Samsa, der auch in Wien analoge Duftmarken setzt, produziert die aufwendigsten Plattencover der Welt. Mit Message. Seine Kunstwerke erscheinen auf seinem Label Sounds Of Subterrania, das 2018 seinen 20. Geburtstag feiert und Künstler wie Gewalt, Lubomyr Melnyk und Listener beheimatet. Mehr als Grund genug, sich mit dem Mann zu beschäftigen.

Von Särgen, Schiebespielen und Lego-Clubs

Er beginnt, aufwendige Werke zu produzieren. Als Inspiration dient ihm die DIY-Geschichte des Punks, »aber nicht die westliche«. Die hierbei gerne zitierten Minor Treath haben zwar ihre Cover selbst geklebt, der 43-Jährige geht aber auch bei seinen Inspirationsquellen die Extrameile. »Es waren eher DDR-Punks, die Tapes gemacht haben, Fanzines mit Schreibmaschinen, Fotokopien mit Abzugsgeräten – tierisch großer Aufwand dahinter!«

Samsas Werke sind von Vielseitigkeit geprägt, sowohl handwerklich als auch vom Interpretationsraum. Am aufwendigsten dabei sind vor allem die Releases für den Psychobilly-Künstler Reverend Beat-Man und dessen Gruppe The Monsters. Für die Solo-10-Inch »Poems From The Graveyard« baut Samsa einen 25 kg schweren Sarg, Konzeption und Produktion – jedes der 70 Exemplare ist ein handgefertigtes Einzelstück – dauern über zwei Jahre. Für »Pop Up Yours« von The Monsters denkt er sich ein Schiebespiel aus, dessen 200 Einheiten handgeschliffen werden, die Herstellung dauert pro Platte rund 20 Stunden. Neben dem Broterwerb natürlich. Für die Schweizer Band veröffentlicht Samsa 2017 auch den jüngsten Coup der besonders speziellen Special Editions. Zu »M« bekommt man das Modell eines Clubs, das aus Lego gebaut ist, stilecht mit Human-Abfall-Poster, echten Figuren und echten Steinen. Heute, nicht einmal ein Jahr später, ein Ding der Unmöglichkeit. »Danach hat Lego ihre Policy geändert, so dass sie beim Verkauf anwesend sein müssen. Ich war der Letzte, der es noch so machen konnte.« Samsa gründet kurzerhand einen kostenpflichtigen Club und verschenkt das Lego-Set an die Mitglieder als Eintrittsgeschenk.

© Jana Sabo

Für die vielleicht größten Helden des deutschen Punk EA80 gießt Samsa eine 7-Inch-Single in einen Betonblock und hat direkt eine Aufgabe für die KonsumentInnen: Man muss das Cover zerstören, um die Platte zu hören. »Da geht es um Entscheidungen. Entweder sie haben einen Stein zuhause, der an sich keinen Wert hat. Nur als Produkt, aber nicht als das, was er eigentlich ist. Oder sie entscheiden sich dafür, zu hören, was da drauf ist. Sie können dabei belohnt oder enttäuscht werden.« Ein paar haben die Platte dann aufgemacht, einer hat sie sogar vom Plattenstand genommen und hingeschmissen.

© Jana Sabo

»Produkt und Arbeit sind getrennt«

Samsa setzt ganz bewusst auf die Auseinandersetzung mit seinem Werk, lädt es intellektuell und kulturkritisch auf. »Bei manchen Sachen geht es um Denkanstöße, die nicht am Präsentierteller liegen. Ich halte nichts davon, es den Leuten supereinfach zu machen, um ihnen den Genuss, sich mit einer Sache zu beschäftigen, zu nehmen. Ich erwarte schon, dass die Leute sagen: ›Warum hat er das jetzt so gemacht?‹«. Denn: Viele Fragen stellen heutige Plattencover ohnehin nicht mehr. »Die meisten Artworks versuchen, die Leute in etwas hineinzuziehen. Sie geben ein Klischee wieder, ungebrochen, um viele Leute zum Kaufen anzuregen.« Er selbst nimmt davon Abstand, ist kritisch. Das Album »Cradle Of Snake« von Snake wird etwa mit Jeansstoff verhüllt. Um die Codierung von weiblich/männlich in der Musiklandschaft zu hinterfragen. Ein Metallcover für die Band Action Beat zum Album »Where Are You?« neigt zum Erodieren und spielt auf die im Album aufgenommene Thematik der Dekonstruktion an. Für das Projekt »Showtime« von Amos trommelt Samsa 400 Designer für ein Artwork zusammen, das größte DIY-Kunstprojekt aller Zeiten, das 2011 mit dem IF Design Award ausgezeichnet und für den German Design Award nominiert wird.

Samsa geht es vor allem um Respekt. »Ich möchte eigentlich eine Wertediskussion haben, auch über Arbeit. Design und Kunst sind ein Vehikel dazu. Wir leben in einer Welt, die Produkt und Arbeit komplett getrennt hat. Sachen werden nach Nachfrage bewertet, nicht nach Arbeitsaufwand.« Neoliberalismus, der auch in der Kunst gang und gäbe ist. Samsa verrechnet selbst nur die Materialkosten, wenn viele Leute kostenlos mithelfen. Die kreative Leistung wird also zu einem Teil gar nicht monetarisiert, das Staunen in den Augen reicht, die Wertschätzung wird gerne angenommen. Dadurch entstehen Netzwerke, Menschen helfen sich gegenseitig. »Ich könnte das gar nicht machen, wenn man das kapitalistisch aufsetzen und reale Rechnungen stellen würde.« Meistens kaufen Fans der Bands die einzelnen Kunstwerke. Es gibt nur zwei Handvoll Special-Editions-Sammler, die fast alle Werke Samsas besitzen.

»Zu unterkomplex«

Die Vorgehensweise, wie aus Gedanken Werke werden, ist meistens sehr ähnlich. Samsa hört eine Band und möchte mit ihr eine Platte machen. Er entwickelt ein Konzept der Visualisierung der Musik, wiegt Interessen verschiedener Beteiligter ab und stellt die Idee den KünstlerInnen vor. Manchen Bands ist das zu viel Brimborium, sie wollen die Musik in den Vordergrund stellen. Samsa macht aber auch »normale« Platten. Meistens ist es eine Frage des Vermittelns, man muss Bands überzeugen, IllustratorInnen finden, alles koordinieren. Das Sujet ist dann häufig Samsas persönliche Interpretation der Message des Albums.

Die Genres, die in den Genuss der Interpretation kommen, sind in ihrer Tiefe beträchtlich: Klassische Musiker wie Lubomyr Melnyk reihen sich an die Spoken-Word-Ikonen Listener oder an Düster-Punk wie dem von Es war Mord. »Mittlerweile interessiert es mich nicht mehr, nur ein Genre zu bedienen. Aber das Schöne an der Kunst ist, dass man, wenn man sich darauf einlässt, daran wachsen kann und Dinge nicht sieht, die man sehen konnte, weil einem das Verständnis dafür gefehlt hat.« Aus seinem Plattenzimmer holt er selbst am liebsten Jazz und Noise hervor: Ornette Coleman, Albert Ayler, The Flying Luttenbachers. »Sehr viel Musik, die heute produziert wird, ist mir zu unterkomplex, da kann ich keine Freude daran entwickeln.«

Das Label Sounds Of Subterrania feiert 2018 sein 20-jähriges Jubiläum mit einer Konzertwoche im Hamburger Hafenklang. In absehbarer Zukunft sind Releases von Lubomyr Melnyk, The Courettes und African Connection sowie ein Soundtrack zu »Train Of Thoughts« und ein deutscher Noise-Rock-Sampler geplant. Zusammen mit Supersense, wo man viele seiner Werke erstehen kann, arbeitet Gregor Samsa an einer Weltsensation, einem Vinylvideo, das über bisherige Prototypen hinausgeht. Vom Wiener Gebhard Sengmüller Ende der 1990er konzipiert, wird dafür ein Filmdokument auf eine handelsübliche Schallplatte gepresst, abgespeichert und wieder abspielbar gemacht. Mittels einer Black-Box, einer speziellen technischen Vorrichtung, wird das Video- und Audio-Signal auf einen ebenso handelsüblichen Fernseher übertragen.

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