Die Britin V V Brown hat um die biblische Geschichte von Samson und Delilah herum ein düsteres, wunderschönes Konzeptalbum voller Elektro-Pop-Perlen gestrickt. Um dorthin zu kommen, musste sie aber erstmal alles hinwerfen.
Die Geschichte von Samson und Delilah ist, was popkulturelle Rezeption angeht, eine der beliebtesten Geschichten der Bibel. Das ist auch nicht verwunderlich, handelt sie doch überwiegend von Sex, Gewalt und Verrat. Für die nicht ganz Bibelfesten: Samson war ein Israelite mit übermenschlichen Kräften, der sich in die hübsche Delilah vom feindlichen Stamm der Philister verliebte. Delilah schaffte es nach einigen Mühen, Samson das Geheimnis seiner Kraft zu entlocken – es war sein Haar. Sie schnitt es ihm im Schlaf ab, woraufhin der Krieger besiegt und geblendet wurde.
Die britische Sängerin V V Brown hat um diese Geschichte herum ein leicht sperriges, düsteres, wunderschönes Konzeptalbum gestrickt. Es klingt überhaupt nicht mehr nach dem sonnigen Soul-Pop ihres Debüts »Travelling Like The Light« und dem Hit »Shark In The Water«. Es ist Elektro-Pop der dunklen, geheimnisvollen Sorte, der den Kopf genauso bedient wie den Bauch. Leicht arty und unterkühlt. »Samson And Delilah« riecht konsequent nach den 80ern und klingt nach Depeche Mode, Santigold, The Knife. Und hat mit »Substitute For Love« einen der schönsten, zartesten Opener des Jahres. V V Brown singt von Stärke, Schwäche, Liebe, aber auch Macht. Und was diese Dinge miteinander zu tun haben. Es geht um den tiefen Fall, aber auch um die Wiedergeburt. Böse Zungen könnten das verkopft nennen, aber dazu hat das Ganze zum Glück zuviel Gefühl. V V Brown hat einfach viel nachgedacht, und im Herbst 2013 darf man das auch. Das Konzeptalbum gilt wieder als legitime Kunstform. Zuletzt entwarf Machinedrum auf »Vapor City« eine ähnlich lebendige Stadt mit unterschiedlichen Bezirken.
Sag alles ab
Eigentlich gilt in der Musikindustrie die goldene Regel, dass Künstler ihren Stil erst mit dem dritten Album ändern dürfen. Erst dann gilt die Marke als stark genug, dass die Fans den Schritt auch mitmachen. V V Brown hätte sich diesem Dogma vor drei Jahren beinah gebeugt. Damals stand ihr zweites Album »Lollipops & Politics« in den Startlöchern, als sie überraschend alles hinwarf. Sie verließ Capitol Records, machte ein bisschen in Mode und sperrte sich später in ihr Keller-Studio ein. V V Brown bezeichnet das heute als den richtigen Schritt. Sie hängte ihre Karriere an den Nagel, um Freiheit zu gewinnen. »I wanna say everything that I’ve got, I haven’t got a thing to lose«, singt sie in »Knife«.
V V Brown schnitt alte Zöpfe ab, und ermöglichte sich so selbst eine Rückkehr mit Würde. Das hat sie übrigens mit Samson gemeinsam, dessen Geschichte auch nicht mit der Blendung zu Ende ist. Sein Haar wächst nach, und er begibt sich auf einen letzten, triumphalen Feldzug, auf dem er mit sich und seinen Fehlern ins Reine kommt. Und so erzählt auch V V Brown auf »Samson And Delilah« eben nicht nur die biblische Geschichte von einem Israeliten, der sich in eine Philisterin verliebte. Und auch nicht nur auf einer Meta-Ebene die Geschichte von tragischer Liebe für den falschen Menschen, die einen ins Verderben reißt. Sondern auch ihre ganz eigene. Die Geschichte der 25-jährigen Vanessa Brown, die sich den Verlockungen der Musikindustrie hingibt und fast an ihnen zerbricht. Aber jetzt stärker denn je zurückkommt.
V V Brown »Samson And Delilah« ist bereits via YOY Records erschienen.