Google sei Dank wird die historische Sammlung der Österreichischen Nationalbibliothek digitalisiert. Die Verantwortlichen verschenken und verscherbeln damit des kulturelle Gedächtnis einer Nation. Gemeingut wird dem Kommerz geopfert. Die Verträge sind geheim. Eine öffentliche Debatte wäre erforderlich gewesen.
KOMMENTAR
Die Österreichische Nationalbibliothek wird in den nächsten Jahren ihren gesamten historischen Buchbestand digitalisieren. Ein Projekt, das dringend notwendig und grundsätzlich begrüßenswert ist. Einziger Haken an der Geschichte: Die Digitalisierung wird im Rahmen einer Public Private Partnership mit dem Suchmaschinenbetreiber Google durchgeführt, da die öffentliche Hand angeblich nicht Willens war, dafür zu zahlen.
Google übernimmt die Kosten für den Transport, die Digitalisierung und Volltexterkennung der etwa 400.000 Bücher und überlässt der Nationalbibliothek im Gegenzug eine Kopie der Digitalisate. Dafür darf Google die Bücher digital nutzen und erhält somit uneingeschränkten Zugang zu den Ergebnissen einer Jahrhunderte langen qualifizierten Sammlungstätigkeit, zum kulturellen Gedächtnis einer Nation und zu einem der wertvollsten Buchbestände der Welt.
Über Details, des angeblich drei Jahre lang geheim verhandelten Vertrags, ist wenig bekannt. Doch stellen sich bei einem Partner wie Google, der in keiner Weise an Inhalten interessiert ist, sondern ausschließlich an der Sammlung, Auswertung und Nutzung von Userdaten, einige zum Teil sehr problematische Fragen.
Was sagt das Kartellrecht?
Es ist etwa nicht bekannt, ob die Nationalbibliothek ebenfalls die Userdaten von Google erhält, um über die Nutzung ihrer Bestände Bescheid zu wissen und diese Daten gegebenenfalls wissenschaftlich auswerten zu können. Zudem wird die Nationalbibliothek technische Maßnahmen setzen, um einen unlimitierten Massendownload und einen automatisierten Zugriff (z.B. durch Suchmaschinen) auf die von ihr selbst online gestellten Daten zu verhindern. Hat Google auf dieser Einschränkung bestanden, um Mitbewerber auszuschalten? Ist diese Bevorzugung eines einzelnen Suchmaschinenbetreibers bei nationalen Beständen nicht gar ein kartellrechtliches Problem? Hat es vor der Vergabe dieses Auftrags überhaupt eine öffentliche Ausschreibung geben? Wie sonst wurde die objektive Beurteilung des Anbieters Google vorgenommen? Darf der Google-Vertrag laut Public-Sector-Information-Richtlinie der EU überhaupt geheim gehalten werden? Selbst wenn hier, wie anzunehmen, alles rechtens war und ist, stellt sich doch die Frage, ob eine derart weitreichende Entscheidung nicht einer öffentlichen Diskussion unterzogen hätte werden sollen und müssen. Zudem in einer Phase, in der die europäischen Verlage gegen Google wegen gröbster Urheberrechtsverletzungen kämpfen.
Zu all dem kommen die unmittelbaren wirtschaftlichen Nachteile, die dem Buchhandel und den Verlagen entstehen. Auch wenn Google „derzeit“ nicht daran denkt, die Scans mit Werbung zu versehen, so werden die Suchergebnisse sicherlich mit einem Link zu einem passenden Online-Anbieter oder Bezahlkunden versehen werden. Der Kunde sucht also nach einem historischen Titel und wird zu den Treffern aus der Nationalbibliothek sofort die thematisch passenden Bücher von großen Verlagshäusern, Print-on-demand-Anbietern oder bei Amazon vorgeschlagen bekommen.
Sabotage eines EU-Projekts
Mit der Online-Bibliothek Europeana versucht die Europäische Union ein eigenes, nicht-kommerzielles Digitalisierungsprojekt auf die Beine zu stellen. Doch dieses verfügt weder über die entsprechenden Geldmittel, noch über die uneingeschränkte Bereitschaft der Mitgliedsstaaten, um Google Paroli bieten zu können. Die Österreichische Nationalbibliothek, die diese Projekt eigentlich mitträgt, hätte gut daran getan, ein klares Bekenntnis zur öffentlichen Finanzierung abzulegen, anstatt die Monopolstellung eines privaten Medienkonzerns zu unterstützen. Sobald Google die Bestände hat, wird sich niemand mehr für Europeana interessieren.
Wenn Länder wie Österreich aber nicht auf der Seite der Digitalisierungsverlierer stehen wollen, müssen sie sich ihrer Kernkompetenzen bewusst werden. Und das sind im größten Ausmaß die Inhalte, die wir generieren, aber auch historisch besitzen. Und die sollten nicht leichtfertig verschenkt werden, wie in diesem Fall leider geschehen.
Benedikt Föger, ist Geschäftsführer des Wiener Czernin Verlags, Vorsitzender des Österreichischen Verlegerverbandes und Vizepräsident des Hauptverbands des Österreichischen Buchhandels.