Ich bin echt kein Gitarren-Hero und glaube, dass ich so etwas wie eine Saiteninstrumentbehinderung habe. Ich weiß nicht, ob es das gibt, aber egal wie oft ich probiere, ich kriege echt keinen einzigen Akkord auf die Reihe. Der Vergreifer ist mein ständiger Begleiter.
Das Schlimmste aber ist wohl, dass ich nichts außer eine mich durchströmende Leere spüre, sobald ich eine Gitarre halte und zum Klingen bringen will. Das geht mir ans Gemüt, war lange nur schwer zu akzeptieren und ist fast so schlimm, wie wenn ich beim Herumkramen in meiner Tasche plötzlich feststellen muss, dass sich darin nichts zum kurzweiligen Zeitvertreib findet und ich dann blöderweise gezwungen bin, längere Wegestrecken im öffentlichen Personennahverkehr ohne Buch, Magazin oder Zeitschrift zu verbringen. So wie jetzt gerade. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn einem dabei nur Schönes einfiele. Zum Beispiel die kleine Episode, als ich einmal eine Mundharmonika kaufte, nebenan jemand in der Gitarrenabteilung »Smoke On The Water« anspielte und deswegen vom Geschäftsführer rauskomplimentiert wurde. Der versicherte mir dann übrigens, dass dies mit Kasperln (er benutzte ein anderes Wort, das mir partout nicht mehr einfallen mag), die »Come As You Are« oder »Seven Nation Army« anschlagen, ebenfalls geschehe.
Hauptsächlich kommt mir auf so lesestoffarmen Fahrten aber nur Peinliches in den Sinn. Einst wuchs in mir, angetrieben von dem immer wieder irgendwo auftauchenden Satz, dass so manche Instrumente Damenkörpern nachempfunden sind und wirklich gute Liebhaber Damenkörper auch wie Instrumente zu spielen verstehen, das dringliche Verlangen, zumindest einmal die eingeprägten Grifffolgen von »Honky Tonk Women« in ein erotisches Präludium zu integrieren. Und als sich tatsächlich die Möglichkeit ergab, noch dazu mit einer sehr vielversprechenden Klampfenförmigen, schrammelte und zupfte ich liebestollpatschig drauf los. Rock’n’Roll geht jedenfalls anders und die scheinbar unendlich andauernde Vorspielstunde musste unter dicken, aus Lachen geborenen Tränen abgebrochen werden. Ich bin eben doch mehr so der Mundharmonikatyp, ein kleiner Chef am /Fotzenhobel/, wie das Musikinstrument im Dialekt gerne genannt wird.
Heilfroh kann ich sein, dass die Straßenbahnfahrt gleich vorbei ist. Zu Hause wartet nämlich der neue Frantzen und ich kann endlich aus meinen unbequemen Du-wirst-jetzt-auch-gleich-anständig-durchgenudelt-Boots raus. In denen hab ich auch immer so wenig Gefühl beim Gehen und weil ich oft zerstreut und geistesabwesend bin, steige ich dann ständig Mitmenschen unabsichtlich auf die Zehen. Eine tödliche Kombination, vor allem zu Stoßzeiten. Ich hab mich schon heute bei zwei Blondinen, einem zwergwüchsigen Rothaarigem und Elfriede Vavrik entschuldigen müssen, weil ich mit Karacho in sie reingezogen bin. Letztere, die ich übrigens nur erkannte, weil ich kurz zuvor irgendwo gelesen habe, dass sie eben für 60.000 verkaufte Stück ihres Buches »Nacktbadestrand« geehrte wurde, verwickelte ich in ein kleines Gespräch. Wie in ihrem Buch erzählte mir die 80-Jährige viel über den Sex, den sie nach vier Jahrzehnten Pause wieder für sich entdeckt hat und mit oft auch deutlich jüngeren Männern mehrmals wöchentlich erlebt. Sie scheint besessen zu sein. Ich gratulierte Frau Vavrik zu ihrem Erfolg und sie erzählte mir auch, dass es demnächst einen nach ihr benannten Literaturpreis für Jungautoren geben soll. Heilige Scheiße – ich wurde darüber glatt ein wenig geil. Das alte Luder weiß echt, wie man Kerle spitz macht. Und ja, ich will diesen Preis! Die Frage ist, ob es meine Chancen zu gewinnen erhöht, wenn ich mit ihr bumse? Wenn der Namenspate eines Literaturpreises noch lebt, kann dieser vielleicht ein Veto einlegen, oder den Juroren helfen, wenn sie in einer Diskussionssackgasse stecken. „He! Stopp! Halt!“, wird dann vielleicht die Vavrik rufen und vorschlagen: „Warum gebt ihr den Preis nicht dem, oder dem oder der oder diesem da. So treffsicher hat noch nie ein junger Mann über die richtige Anwendung von Gleitgel bei Super-Best-Agern geschrieben. Außerdem ist an seiner Geschichte /Falten unterspritzen!/ wirklich nur wenig übertrieben. Sein Sperma, liebe Freunde, ist tatsächlich besser als Lifting, oder wie er schreibt ein /dampfend, wallender Jungbrunnen botox’scher Qualität/.“ Die Jury wird sich ihre Gedanken machen. Vielleicht dann kontern, dass auch Ingeborg Bachmann oder Georg Büchner nicht über jeden Schriftsteller, der den nach ihnen benannten Literaturpreis zugesprochen bekommen hat, glücklich gewesen wären. Und einiges am Text – völlig zu Recht übrigens – zu bemängeln haben. Zum Beispiel, dass die Musikinstrumentmetaphern einfach zu platt und zu oft ausgereizt werden. Uncharmant und einfältig ist es, einen alten, nach Liebe gierenden Weiberleib mit einem verstaubten, verstimmten Akkordeon zu vergleichen. Und von Saiteninstrumenten, egal ob gezupft, gestrichen oder mit einem Klöppel bearbeitet, scheint der gute Mann überhaupt keinen blassen Schimmer zu haben. Kein gelungener Text, nö, nö. Antrag einstimmig kopfschüttelnd abgelehnt.
Ah, meine Station. Endlich zu Hause.