Die Dunkelkammer bleibt ihrem Namen in der neuen Inszenierung »Pseudorama« treu. Die zweite Premiere der neuen Spielzeit am Volkstheater bringt eine fiktive, aber realistische Geschichte der Radikalisierung angesichts der Covid-19-Pandemie auf die kleine Bühne.

Das Publikum wird mehrmals gewarnt: Das Stück finde in absoluter Dunkelheit statt, es gebe Stroboskopeffekte und laute Geräusche. Alle Handys und Smart-Watches müssen abgedreht und in die Tasche gesteckt werden. Jedes bisschen Licht ist zu viel. Ungefähr dreißig Personen haben Platz auf den Bänken, die auf der Bühne der Dunkelkammer stehen, begrüßt werden wir von lauten Möwenrufen. Stefan Suske hat dem Publikum seinen Rücken zugewandt, Paula Nocker sitzt halb versteckt neben der bald einzigen Lichtquelle. Doch auch diese wird verschwinden. Und bald schon wird klar: »Pseudorama« arbeitet mit Unwohlsein auf verschiedensten Ebenen.
»Lockdown. Ein komisches Wort.«
Der Gedankenstrom des unbenannten Erzählers nimmt das Publikum mit auf eine nur allzu realistische Reise in die nahe Vergangenheit: Die Inszenierung des Regieteams Darum (Victoria Halper und Kai Krösche) baut auf einer Zusammenarbeit mit der Rechercheplattform Dossier auf. Wir beginnen beim Unwohlsein gegenüber den Vorschriften zu Beginn der Covid-19-Pandemie, den Lockdowns, der Ablehnung, nun auf so vieles verzichten zu müssen. Paula Nocker übernimmt den Part der Außenwelt, der Schlagzeilen, die den Erzähler selbst während seines Urlaubs an der Nordsee erreichen. Es schlagen einem viele bekannte Sätze entgegen, in den Gedanken dieses Menschen, den man bei seiner schrittweisen Zuwendung zu »Alternativen Informationen« und Propaganda-Netzwerken begleitet. »Endlich sagts mal wer, stellt die richtigen Fragen.« Man dürfe nicht die Augen schließen. »Die Angstmasse kann geführt werden.« Und plötzlich: Dunkelheit. Das einzige kleine Licht auf der Bühne ist verschwunden. Die Augen versuchen, sich daran zu gewöhnen. Unmöglich. Wir sind hilflos.

Die beiden Schauspieler*innen bewegen sich mithilfe von Nachtsichtgeräten durch den Raum, plötzlich ertönt die Stimme hinter uns, neben uns, direkt vor uns auf unserer kleinen Insel aus Menschen. Ein Hörspiel mit Surroundsound. Dann plötzlich ein lauter Schlag und Blitzlicht direkt ins Gesicht. Gemeinsam mit der Unruhe, die dem Text folgt, kommt die Nervosität vor dem nächsten lauten Krach, dem nächsten Blitz. Eine ganz eigene Anspannung, die die Sprache untermalt. Für ein paar Augenblicke nach jedem Blitz sind die Umrisse der Schauspieler*innen im Dunkeln wie weiße Geister zu sehen.
»Welches Jahr…? Wurscht.«
Schritt für Schritt arbeiten wir die Timeline ab dem ersten Lockdown 2020 durch, diesmal auf den Spuren eines Impfgegners. Wir hören, wie er fast schon nach rechts gezwungen werde, da seine Gedanken und Sorgen nirgendwo sonst Anklang finden. Ohne negativem Test weist ihn die Tochter zu Weihnachten ab. Die Verschwörungstheoretiker*innen heißen ihn jedoch willkommen. Doch Widerstand ist teuer, die ganze Alternativmedizin kostet. Und irgendwo schleichen sich dann doch Bedenken ein, wenn man plötzlich gemeinsam im Bus zu einer Kundgebung neben einem Neonazi sitzt. Die Paranoia steigt jedoch weiter, bis zum Schluss, bis zum Tod. Mittlerweile in der Gegenwart ist alles wieder wie früher. Oder vielleicht doch nicht.

»Pseudorama« hatte am 13. September 2025 Premiere. Die Inszenierung läuft noch bis 25. Oktober 2025. Mit diesem Wochenende eröffnet das Volkstheater seine Saison 2025/26 unter der neuen Intendanz von Jan Philipp Gloger.