Die politischen Entscheidungen wandern vom Souverän – der Bevölkerung – weg, der sich stattdessen von einer riesigen Entertainment-Industrie ablenken lässt. Solange die Entscheidungen »richtig« sind, gilt das nicht mal wirklich als Skandal. Die Filmindustrie hat das, was wir heute Postdemokratie nennen, bereits lange vorweggenommen. Ein Essay.
Brot, Spiele und Körperpolitik
So sehr sich die Szenarien im Einzelnen auch unterscheiden, manches haben sie gemeinsam. Es gab im jedem Fall ein Leben vor der Apokalypse und ein großes, einschneidendes Ereignis, das diese Gesellschaft zerstörte. Meist ist es ein großer Krieg oder eine Seuche, die das Land verwüstete. Das daraus entstehende System ist technokratisch, radikal und zum Äußersten bereit, um sein Überleben und das der Restbevölkerung zu sichern. Das Individuum gilt als irrational und ist nichts wert, das System ist logisch und das einzig Erhaltenswerte. Das zeigt sich auch in der Art und Weise, in welcher die Megacitys der Filme gebaut wurden: Riesige, futuristische, phallische Machtarchitektur, neben der die Menschen winzig wirken. Übrigens durchaus auch die Machthaber. Die Elite inszeniert sich oft als primus inter pares, als Diener, welche die Bürde des Amtes auf sich nehmen.
Ein häufig wiederkehrendes Element ist die ausgesuchte Körperlichkeit der Regime. So bekommen die Bürger der Gesellschaft in »Logan’s Run« einen Kristall in der Handfläche eingepflanzt, der anzeigt, wenn ihre geplanten 30 Lebensjahre zu Ende sind. Die Einwohner von Libria nehmen jeden Morgen ein Medikament, das alle Emotionen unterdrückt. Und auch die Auswahl der Tribute, also den Teilnehmern der Hunger Games, beginnt mit einer Aufnahme des Blutbilds. Die Macht des Staates über das elementare, nackte Leben hat Michel Foucault einst als »Körperpolitik« beschrieben. Die Macht über die eigene Körperlichkeit ist eine Kernsouveränität des Individuums. Das erklärt auch, warum wir ein so großes Problem mit der staatlichen Aufnahme von biometrischen Daten haben.
In postdemokratischen Systemen verfällt die Kommunikation. Die Bürger werden durch Massenmedien ruhig gestellt, eine Auseinandersetzung mit den realen Problemen findet nicht mehr statt. Dieser Aspekt ist etwas, das der zweite Teil der »Hunger Games«-Reihe vor allem in der ersten Stunde virtuos schafft: Die Verbindung des militärisch-industriellen-Komplexes mit der Entertainment-Industrie. Die Filme sind nicht zuletzt Mediensatire, selbst wenn sie oft nicht so rezipiert werden. Auch der Name des Staates ist nicht zufällig gewählt: panem et circenses ist die lateinische Bezeichnung für Brot und Spiele. Die Hauptstadt mit ihrer Bevölkerung, die sich von den Provinzen ernähren lässt, ist ohnehin visuell und narrativ an das Spätrömische Reich und seine Dekadenz angelehnt. Das System ist im zweiten Teil der Reihe viel deutlicher als Feind erkennbar. »Remember who the real enemy is«, sagt einer der Tribute zu Katniss, als sie ihren Bogen auf ihn richtet. Das macht den Film deutlich angenehmer als den ersten Teil, der als Hauptgegner die Jugendlichen aus den anderen Districts aufbaut und sich dadurch den Vorwurf des Zynismus gefallen lassen muss.
Stürzt die Eliten!
In Wirklichkeit ist der Gegensatz zwischen Partizipation und Lösungsorientierung natürlich nie so groß wie in der Theorie. Jede parlamentarische Demokratie stellt einen Kompromiss aus beiden dar, und nur sehr radikale Theoretiker wollen den Rat von Fachleuten völlig aus der politischen Entscheidungsfindung verbannen. Und doch lässt sich die beschriebene Krise der Demokratie schlecht leugnen. Doch wie diese überwinden? Im Film hat das Ganze meist einen klaren Ablauf: Eine Einzelperson, anfangs oft noch im Dienst des Systems, kommt dahinter und bringt es letztlich mit Hilfe von Widerständlern gewaltsam zu Fall. Crouch plädiert – wenig überraschend – nicht für Gewalt, aber auch er empfiehlt, die Macht der ökonomischen Eliten zu begrenzen. Letztlich sei eine Wiederbelebung der Demokratie nur durch verstärkten Einfluss der Bürger möglich. Wir müssen dafür wohl auch nicht mal Pfeil und Bogen in die Hand nehmen.
»Die Tribute von Panem 2 – Catching Fire« ist bereits in den österreichischen Kinos zu sehen.