Beton war tonangebend für die moderne Architektur in den 1950er und 1960er Jahren und hat nicht zuletzt deshalb einen fixen Platz in der popkulturellen Gegenwart. Wir haben Musikvideos aus den verschiedensten Genres mit Plattenbauten und anderen Betonmischungen gesammelt.
Wer den Beton schon einmal unfreiwillig "geküsst" hat, weiß um seine Unnachgiebigkeit Bescheid. Rigoros und kühl fühlt sich die recht einseitige Begegnung an, von der man als Andenken – noch im besten Fall – eine Schürfwunde mitnimmt. Dass Beton – bei aller Härte – ursprünglich auch Ausdruck einer sozialen Revolution gewesen ist, als er sich in den 1950er und 1960er Jahren zum Baustoff für Gemeindebauten und Bildungszentren etablierte, ruft die aktuelle Ausstellung "Beton" in der Kunsthalle Wien in Erinnerung. Und denkt man schon einmal an Plattenbauten, ist es zur Popkultur natürlich auch nicht mehr weit: Der Wunsch nach sozialer Veränderung liegt nicht nur dem Beton inne, dieser ist auch so ziemlich in jedem kritischen Rapsong zu Hause. Welche popkulturelle Referenzen – mit Trägerstoff Beton – es sonst noch gibt, haben wir uns in einigen Musikvideos genauer angesehen:
Beton mit Tempo
"Go". Mit dem prägnanten, vorwärts gewandten Appell lassen die Chemical Brothers also sieben Damen im Hof einer Pariser Wohngegend erwachen. Ihre Choreographie zu den elektronischen Klängen, bei der sie das ganze Video mittels zweier Stangen miteinander verbunden sind, soll dabei an eine Dampflok erinnern. Das wirkt – wie die betonlastige Umgebung selbst – statisch, aber trotzdem in den eigenen Grenzen beweglich. Auf eine verträumte Art. Könnte natürlich auch daran liegen, das Michel Gondry (wieder einmal) Regie geführt hat.
Ein relativ dichte Auseinandersetzung mit der Bausubstanz führt einen auch durch "Love Don’t Let Me Go" von David Guetta – im House-Track aus dem Hause Guetta passiert in kürzester Zeit ganz viel Bewegung am Beton: Basketball, Parkour, Break-Dancing. Dadurch ergibt sich eine ungewöhnlich schnelllebige Energie im sonst gewohnt wenig mobilem Setting. Nicht zuletzt auch der Fortbewegungsart Parcours geschuldet, bei der es eben darum geht, bauliche Hindernisse möglichst effizient zu überwinden.
Geschwindigkeitsmäßig irgendwo dazwischen liegt Robyn, die in ihrem One-Take-Video zu "Call your Girlfriend" ein verlassenes Warenlager zur Betondisko wiederbelebt.
Beton mit Musical / Sozialkritische Message
Eine ebenfalls wohl bekannte Referenz auf die Liebe hat Drew Barrymore im Video zur Single "Our Deal" aus dem Debüt der Garage/Surf Rock- Band Best Coast verarbeitet: Die tragische Liebesgeschichte. Man muss mindestens an das Musical West-Side-Story denken, wenn die verfeindeten Gangmitglieder Chloe Grace Moretz und Tyler Posey auf Romeo und Julia machen und in der anfangs noch betonromantischen Bahnhofs-Peripherie-Atmo aufeinander treffen. Wie’s ausgeht? Leider brutal.
Eine etwas ruhigere Kugel hingegen schob damals Sido from the Block, als er mit seinem ersten Hit einmal mehr zeigte, dass Plattenbau, Rap und Hip Hop – in eheähnlicher Symbiose – einfach zusammengehören. Harte Lyrics brauchen eben harte Substanzen. Die Sozialkritik, die dem Beton hier recht deutlich aufgeladen wird, spürt man auch im aktuellen Track von Haftbefehl wieder sehr. In "Dieses Dasein" geht es um die Situation der Geflüchteten, die jetzt unter uns leben – wobei die transportierten Gefühle von Isolation und Gesellschaftskälte durch die nässenden Betonwände um ein Vielfaches gesteigert wirken. Hier spannt sich schönerweise der architektonisch-musikalische Bogen wieder zurück zum Musical: Für "Hard Knock Life" leihte Jay-Z damals als erster von "Annie" – Haftbefehl bedient sich jetzt an der deutschen Version.
Beton wie aus Wien
Auf einem (sehr wahrscheinlich) Wiener Parkplatz gibt’s erneut Unmut in Betonbauten-Kulisse. Das Duo Leyya geht sich dabei passend zum vielseitigen Experimental/Elektropop recht facettenreich an. Ähnlich verhält es sich bei Mynth, die in Wiens inoffizieller Betonhochburg, dem Wohnpark Alt Erlaa, Erinnerungen an Eminems Look aus Lose Yourself aufleben lassen – nur anders, eben mit Electronic-Fusion-Pop-Klängen. Kälte, Streit und Waffen gibt’s bei Foals wiederum nicht – eher einfach nur Indiemusik. Das Ganze in einer Atmosphäre, die ein wenig an einen Sturm in Alt Erlaa erinnert, dem sich die Band aussetzt (wobei das Feeling abhängig vom Browser ist ob das Video im 360Grad-Format funktioniert)
Beton vs. YOLO
Noch konsequenter sind nur die Strokes, die sich Beton und Teer im Video zu "You Only Live Once" quasi ergeben – angeblich als Reaktion auf zahlreiche Empfehlungen, endlich mit dem Rauchen aufzuhören. Im Video zu You only live once feiern sie auf jeden Fall so ziemlich genau das Gegenteil und lassen sich während eines letzten Konzerts freudig vom schwarzem Abwasser abholen. You only live once – selbst Beton ist nicht für immer.
Die Ausstellung "Beton" in der Kunsthalle Wien läuft bis 16.10.2016. Weitere Infos gibt es hier.