Mein letzter Tag bei OZY. Ich hasse Abschiede. Innerhalb weniger Wochen ist mir die Redaktion des bestgemachten US-Onlinemagazins ans Herz gewachsen.
Erica, eine 20-jährige Journalismusstudentin aus Cleveland, beendet wie ich ihr „Internship“. Wir haben eine Gemeinsamkeit: Niemand muss beim Telefonieren so häufig seinen Namen buchstabieren wie Erica BRECHTELSBAUER und Wulfgäng AINETTER. Ericas Vorfahren kamen vor 200 Jahren aus Deutschland in die USA.
Jeder von uns darf sich an OZYs „Wall of Fame“ gleich neben der Eingangstür verewigen. Weil im Office ein eigener Kühlschrank für Energy-Drinks steht, schreibe ich mit dickem Filzstift: „The second Austrian at OZY (after Red Bull). Wolfgang.“ Zugegeben, mir sind schon bessere Pointen geglückt. Freundlicherweise lachen trotzdem alle.
Als Überraschung hat Bürochefin Tania ein mexikanisches Büffet in die Redaktion liefern lassen – und eine Torte mit Zuckerguss-Schrift: „Goodbye Erica and Wolfgang.“ OZY-CEO Carlos Watson hält eine Lobesrede, die Erica und ich noch süßer als den Kuchen finden.
Dann singt ein Jungredakteur, der nebenbei Mitglied in einer Band ist, ein Ständchen: „We will miss you.“ Sweet Emotion, Part two.
Was ich von meiner Zeit bei OZY mitnehmen werde, haben Freunde gefragt.
In sechs Wochen Mountain View habe ich wahrscheinlich mehr gelernt als in jedem Jahr an der Uni, war meine Antwort.
1. Der bedingungslose Glaube an den Erfolg
Die Redakteure identifizieren sich zu hundert Prozent mit ihrem Produkt. Viele Editors sind sogar an der Firma „OZY Media“ beteiligt. „Wir wollen, dass unsere Mitarbeiter wie Unternehmer denken und nicht wie Angestellte“, hat mir Carlos einmal gesagt.
Die Aufnahmekriterien bei OZY sind hart: Jeder Kandidat, vom angehenden Volontär bis zum Ressortleiter, wird nicht nur von den beiden CEOs und dem Chefredakteur abgeklopft, sondern muss sich zusätzlich von sechs Redakteuren im Vieraugengespräch befragen lassen. Vielleicht habe ich aus diesem Grund bei OZY keinen einzigen Problembären oder Suderanten gesehen.
In diesem Team haben Negativisten keinen Platz. Der OZY-Leitspruch: „We want to win, we will win.“
2. Das Silicon-Valley-Denken
Der „Silicon-Valley-Spirit“ ist eine der strapaziertesten Floskeln der IT-Geschichte. Managergruppen aus der ganzen Welt fahren busweise durchs Tal und machen eine Google-, Facebook- oder Apple-Tour. Irgendein Guide leiert auswendig gelernte Infos runter, die alle auf Wikipedia zu finden sind. Am Ende bekommt jeder Besucher eine Kaffeetasse oder ein anderes Valley-Souvenir, und die Unternehmer fliegen nach 24 Stunden wieder beglückt nach Hause.
Wie die Leute hier wirklich ticken, erfährt man im direkten Gespräch mit Startup-Unternehmern. Carlos Watson beispielsweise war ein preisgekrönter TV-Star bei CNN und MSNBC, OZY-Co-Founder Samir Rao angesehener Partner bei Goldman Sachs. Beide haben ihre gutdotierten Jobs aufgegeben, „weil es in diesem Land das Größte ist, Entrepreneur zu sein.“
Wer Journalismusstudenten fragt, für welches Medium sie einmal arbeiten möchten, bekommt oft als Antwort: „Für mein eigenes.“
Niemand hat hier Angst vor dem Scheitern – oder zeigt sie zumindest nicht. Meine Vermieter (verheiratet, zwei Kinder) hatten Spitzenjobs bei Google und Hewlett-Packard. Sie kündigten vor wenigen Monaten, um ein IT-Startup zu gründen. „Wenn wir es nicht schaffen“, sagt Victoria, „drücken wir die Reset-Taste und starten mit voller Kraft wieder von vorne los. Wer Erfolg haben will, muss daran glauben und sich frei von seinen Ängsten machen.“ Zu einer guten Silicon-Valley-Biografie gehöre, zumindest einen Flop gebaut zu haben, „weil man durch nichts mehr lernt als durch Fehler“.
Die Deutschen und Österreicher lähmen sich oft selbst am meisten – aus Angst vor Fehlern. In einem Biergarten in Mountain View habe ich Bernhard Kerres getroffen, den ehemaligen Chef des Wiener Konzerthauses. Er ist jetzt Startup-Unternehmer in San Francisco. Sein Unternehmen „Hello Stage“ ist das „LinkedIn for Classical Music“. Von Kerres, übrigens ein sehr kluger Mann, habe ich eine Denkmethode mitgenommen: „Frage dich immer: Was würdest du tun, wenn du wüsstest, dass du nicht scheitern könntest?“
Am Computer meines früheren Arbeitsplatzes klebte ein Zettel mit einem Zitat des Schauspielers Cornelius Obonya: „Was nicht geht, wird gehend gemacht.“ Dieser Satz könnte fürs Silicon Valley geschrieben worden sein.
Ein junger Deutscher, der in Palo Alto arbeitet, nannte mir ein Beispiel: „In der Heimat denken wir nur daran, wie wir einen Wagen herstellen können, der um 0,2 Liter weniger Benzin verbraucht und weichen von diesem Ziel im Kopf keinen Millimeter ab. Die Amerikaner denken ganzheitlich, indem sie sich geistig nicht auf das Auto beschränken, sondern mit der Mobilität an sich auseinandersetzen: Okay, ich will von A nach B, also erfinde ich irgendetwas, das die Person am besten bewegt.“ In Mountain View sind bereits selbstfahrende Google-Autos unterwegs, die zugleich Büros sind.
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