Festivals in Zeiten der Pandemie, Festivalfeeling im virtuellen Raum – wie kann das funktionieren? Seit 2021 experimentiert das CIVA Festival mit Formaten, Interaktionen und Programmen, die die Begegnung zwischen Digitalem und Analogem ermöglichen. Dieses Jahr wird das Festival – wie von vornherein geplant – zum letzten Mal stattfinden, unter dem Thema »Intangible Care«. Die künstlerische Leiterin Eva Fischer hat mit uns darüber gesprochen, welche Erfahrungen sie aus den letzten Jahren mitnimmt, wie notwendig mehr Sorgsamkeit im Internet ist und was das Team für das große Finale von CIVA geplant hat.
CIVA steht für »Contemporary Immersive Virtual Art«. Was ist zeitgenössische, immersive, virtuelle Kunst und wie macht ihr dazu ein Festival?
Eva Fischer: Ein Festival ist ein Ort, an dem sich Energie bündelt. An dem Leute zusammenkommen, um Neues zu sehen, zu hören und aus unterschiedlichen Blickwinkeln Themen zu diskutieren. Es ist uns über die drei Jahre hinweg darum gegangen, einen solchen Ort zu schaffen – ob im virtuellen oder im physischen Raum. In diesem hybriden Raum zwischen Analogem und Digitalem interessieren uns dabei immersive Strategien, also der Wunsch, Räume zu gestalten, in die wir eintauchen können und die uns inhaltlich, emotional oder körperlich voll einnehmen. Als Medienkunstfestival beschäftigen wir uns mit aktuellen gesellschaftspolitischen Themen und tun das vor allem in Hinblick auf zeitgenössische Medien wie Social Media, Internet, Extended Realities, Künstliche Intelligenz oder Blockchain.
Was erwartet uns beim heurigen CIVA Festival? Was sind die Schwerpunkte?
Wir sind diesmal an zwei physischen Orten – dem Belvedere 21 und dem Aux Gazelles – und natürlich auch wieder online vertreten. Die Ausstellung »Intangible Care« im Belvedere 21, die ich gemeinsam mit der Medienkünstlerin Martina Menegon kuratiert habe, ist das Herzstück des Festivals, um das sich ein Programm aus Tours, Screening- und Filmformaten, Diskurs und Live-Performances spinnt. Anknüpfend an die konzeptionelle Arbeit der vorangegangenen CIVA-Ausgaben haben wir uns diesmal der menschlichen Psyche und dem aktuell so viel besprochenen Begriff »Mental Health« angenähert.
Um ein abwechslungsreiches Programm zu gestalten, haben wir insgesamt wieder als großes Kurator*innen- und Ambassadors-Team zusammengearbeitet. Während der Festivalwoche zeigen unsere CIVA-Ambassadors in speziell gestalteten Ausstellungs-Tours ihre unmittelbaren und persönlichen Sichtweisen auf die CIVA-Ausstellung und laden zum Austausch ein. An den beiden Festivalwochenenden findet unser Live-Programm statt, das aus Workshops, Social Sessions, einem von Marija Milovanovic kuratierten Filmprogramm und audiovisuellen Live-Performances besteht. Die Konferenz findet in Kooperation mit dem wunderbaren Team von D/Arts sowie mit der Wirtschaftsagentur Wien und der Außenwirtschaft Austria statt. In einer Abschlussfeier im Aux Gazelles werden wir die drei Festivaljahre gebührend mit einem Live-Programm abschließen.
Die Ästhetik des diesjährigen CIVA Festivals scheint sehr weich, rund und zart. Internetästhetik zeigt sich im Klischee oft hart, kantig und harsch. War es eine bewusste Entscheidung, sich von diesen Klischees abzuwenden? Wie hängt das für euch mit dem Thema »Intangible Care« zusammen?
Wir sind ständig mit diesen harten, kantigen und harschen Themen konfrontiert, die unser Leben bestimmen – Krieg, Rassismus, Frauenhass, Hate Speech, Klassismus, um nur ein paar wenige unserer Probleme aufzuzählen. Durch die ständige Verfügbarkeit von Daten und News, den dauernden Abgleich mit anderen in den sozialen Medien und die Schnelligkeit technologischer Entwicklungen ist unsere ohnehin schon so komplizierte Welt noch ungreifbarer (intangible) geworden. Unsere Gesellschaft ist überfordert, gespalten und verängstigt. Doch dem gegenüber steht eine Kraft, die sich auch wie ein roter Faden durch unsere Recherche zum Festival gezogen hat und jetzt die Basis des CIVA 2023 bildet: Care. Sich um etwas kümmern. Oder »Sich um etwas scheren«, wie es die Wiener*innen sagen würden. Strategien finden, mit Problemen umzugehen. Viele der Künstler*innen des CIVA Festivals kümmern sich um Themen und machen durch detaillierte Recherchearbeit und tiefes Einfühlungsvermögen aktuelle gesellschaftspolitische Probleme wie Misogynie, kulturelle Aneignung beziehungsweise Zerstörung sowie aktuelle Formen der Identitätsfindung oder den derzeit so ambivalenten Hype um Self-Care ein wenig greifbarer. Die Ästhetik des Festivals soll diesen einfühlenden Aspekt hervorheben und zeigen, dass Zuwendung und Care-Strategien sein können, um mit der Un(be)greifbarkeit unserer Welt umzugehen.
Die drei Auflagen des Festivals 2021 bis 2023 bauen laut Programm aufeinander auf. Wie genau ist das zu verstehen? Gibt es konkrete Ergebnisse die nach dem diesjährigen Ende »überbleiben«?
Unsere inhaltliche Klammer ist der Umgang unserer Gesellschaft mit dem Hybriden, Phygitalen, Postdigitalen (es gibt mittlerweile viele Begrifflichkeiten für die Verbindung aus Analogem und Digitalem). Im ersten Jahr haben wir uns gefragt, wie man ein Medienkunstfestival während eines Lockdowns überhaupt umsetzen kann und was das für uns auf inhaltlicher, struktureller und vor allem auch kommunikationstechnischer Ebene bedeutet. Wir haben gelernt, dass es tatsächlich möglich ist, auch im Virtuellen ein Festivalfeeling zu erzeugen, auch wenn es für die meisten Beteiligten eine viel größere Kraftanstrengung bedeutet. Was uns dabei besonders zu interessieren begann, war der Bezug zu unseren Körpern. Wer sind unsere Avatare? Wo bleiben unsere eigenen Körper und wie wirken sich Körperbilder im Netz auf unsere physischen Körper und unser Wohlbefinden aus?
Darauf aufbauend haben wir uns im zweiten Festivaljahr mit dem Körper als politischem Konstrukt zwischen physischer und virtueller Welt beschäftigt und dabei vieles über Machtstrukturen, Gesellschaft sowie Strategien, mit toxischen Bildern und Verhältnissen umzugehen, gelernt. Ohne Geist kein Körper, und so geht die diesjährige dritte Ausgabe noch einen Schritt weiter und richtet sich auf unser Inneres, weniger Greifbares – unsere Psyche. Die drei Festivalausgaben haben eine Vielzahl spannender internationaler Positionen zusammengebracht, die zeigen, wie wir in unserer Position als Künstler*innen und Kulturschaffende den aktuellen gesellschaftlichen Diskurs mitgestalten können.
Bei der Closing-Party habt ihr einige Zeilen von Esrap als Inspiration angegeben: »Keine Musik dort für Kids mit Migrationshintergrund«. Welchen Stellenwert hat das Thema Diversität bei euch? Wie versucht ihr das praktisch auch für ein diverses Publikum umzusetzen?
Die Closing-Party wurde von der CIVA-Kuratorin Angie Shahira Pohl, der Musikerin Esra Özmen und der Medienkünstlerin und Aktivistin Asma Aiad kuratiert, die am Nachmittag davor im Rahmen einer »CIVA Social Session« Menschen aus dem Musikbereich und aus anderen Sparten zum Austausch zusammenbringt. Angie sagt über die Abschlussparty: »Ich wollte die Party mit Esra Özmen und Asma Aiad aus dem Grund gemeinsam programmieren, weil es keine Party gibt, wo wir alle drei hingehen würden – inklusive der Leute aus unseren Communitys. Wo es Musik spielt, die uns Spaß macht, weil wir sie die meiste Zeit auch privat hören, wie Musik aus der SWANA-Region, Deutsch-Rap und Hip-Hop. Diversität sollte nicht als Stellenwert betitelt werden – die Gesellschaft ist divers, aber das System halt nicht. Wir haben von Anfang an darauf geschaut, dass sich verschiedenste Communitys angesprochen fühlen von den Inhalten des Festivals und freuen uns, wenn es diesmal noch mehr werden.«
Die Party mit einem Live-Carpet-Concert von Seba Kayan und DJ-Sets von DJ Countessa, DJ Bawo und Men4ce in den super schönen Räumlichkeiten des Aux Gazelles wird dann zur großen Abschlussfeier, mit der wir CIVA als Festivalformat beenden. Die Community, die in den drei Jahren entstanden ist, wird aber weiter bestehen und CIVA als Kollektiv auch in Zukunft aktiv sein.
Die dritte und letzte Ausgabe des CIVA Festivals findet von 17. bis 26. Februar 2023 statt.