Das Gedächtnis der Täter*innenländer – Stadlober vertont Tucholsky

Bob Stadlober vertont Gedichte von Kurt Tucholsky und zeigt wieder einmal der Menschheit Dummheit auf.

© Robert Stadlober

Wenn beflügelt durch ballestrisches Ballgeschiebe Millionenmassen wieder schwarz-rot-geil werden – oder hierzulande: unreflektiert und mit mangelnden Rezeptionsskills in Fendrich’schem Nationalpathos ersaufen; wenn inhumane Absonderlichkeiten Normalität werden; wenn der schmale Rest an Menschlichkeit zur verteufelten Abscheulichkeit wird: dann braucht es Hiebe in Zeiten des Aufruhrs. Das denkt sich auch Robert Stadlober.

Ihr werdet das Gesicht schon erkannt haben: weltberühmt im DACH-Raum, Ikone von zu Leinwand gebrachter Teenage Angst, Labeltyp, Musiker und was weiß ich noch alles. Demnächst mimt er in »Führer und Verführer« den Schrumpfgermanen Joseph Goebbels, vorher setzt er aber noch einen antifaschistischen Hieb und vertont Lyriken des an Job Descriptions ebenso reichen Kurt Tucholsky (Journalist, Lyriker, Linker etc.), der 1935 als »aufgehörter Deutscher« starb.

Damit rührt er schön das nachlassende Gedächtnis der Täterländer auf. Den Titel »Wenn wir einmal nicht grausam sind, glauben wir gleich, wir seien gut« von jeglichen Metaebenen freizusprechen, ist also fehl am Platz. Und ja, es geht in den zwölf Stücken sehr viel um faschistische Tendenzen, um »die da oben«, um Unterdrückung, um all den Scheiß, den die Lethargischen offenbar nicht aus ihren seelenlosen Leibern geschüttelt bekommen. Stadlober sagt, er hätte etwas Erbauliches in den Worten Tucholskys gefunden, eine Absurdität, einen utopischen Hoffnungsschimmer. All das hat er in die Musik übertragen, die er dazu verfasst hat.

Goldene Mitte in den Neunzigern

Eigentlich müsste also die Genese dieses Albums – mit Texten, die teilweise über hundert Jahre alt sind, und zeitgenössischer Musik, die von Wolfgang Lehmann produziert wurde – das Pendel in eine dieser beiden Richtungen ausschlagen lassen. Dass die Wahrheit dazwischen liegt, ist per se nichts Neues, hier ist es aber gar erstaunlich: Stadlober gelingt nämlich ein Album, das eher in den späten Neunziger- bis frühen Nullerjahren verortbar scheint. Denkt an mittelfrühe Erdmöbel, an Tom Liwa, an den Teil der Hamburger Schule, der immer etwas verträumter war. Denn: Träume kann man nicht verbieten.

Stadlober & Tucholsky »Wenn wir einmal nicht grausam sind, glauben wir gleich, wir seien gut«

Das Album »Wenn wir einmal nicht grausam sind, glauben wir gleich, wir seien gut« von Stadlober & Tucholsky erscheint am 30. August 2024 beim Label Staatsakt.

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