Sportevents eignen sich hervorragend dazu, das Image einer Nation aufzupolieren. Wenn die Medien kuschen, steht erfolgreichem Nation Branding nichts im Weg.
Sportliche Großveranstaltungen bestehen vorwiegend aus Medaillen, Skandalen, Sensationen, Rekorden und Freiluftbier. Für Sportler stellen Olympische Spiele das Nonplusultra dar. Im Fußball sind es Weltmeisterschaften. Für Fans, Freunde und Funktionäre sind diese megalomanischen Turniere Feste, die jedes Mal Milliarden an die Fernsehschirme fesseln oder in die Public-Viewing-Zonen spülen. Vorher und währenddessen überschwemmt so eine Fußballweltmeisterschaft den globalen Einzelhandel. Inklusive Medien. Davon profitieren vor allem die großen, undemokratischen Weltverbände. Die Olympischen Sommerspiele in London 2012 brachten dem IOC einen Umsatz von über sieben Milliarden Dollar, die FIFA erwirtschaftete in Südafrika 2010 erstmals über vier Milliarden Dollar. Warum sich aber die Gastgeberländer diesen Aufwand antun? Es geht ums Image. Und auch um Soft Power.
Groß-Events sollen das Wir-Bild bestätigen
Dabei geht es nicht unbedingt darum, möglichst weit zu kommen, sondern um der Welt zu zeigen, wie gut man Stadien, Flughäfen und Hotels bauen kann, um die Verwendung modernster Technik und einem reibungslosen, sicheren Ablauf der Wettkämpfe. Die Bilder gehen um die Welt und sind mit Gold oder Erdöl oder Cronuts kaum aufzuwiegen. Für Veranstalter sind »Olympische Spiele und andere große Sportereignisse die Bühne für die nationale Präsentation nach außen als ehrenwertes Mitglied der fortschrittlichen und zivilisierten Völkergemeinschaft, und nach innen als Selbstbestätigung für ein erwünschtes Wir-Bild, das mit solchen weltweit verfolgten Veranstaltungen in Zusammenhang gebracht wird«, so Dieter Reicher, Soziologe der Universität Graz. Welches Wir-Bild, welche Identität als Österreicher, Deutscher, Brasilianer dabei nach außen getragen wird, hängt von der Geschichte und dem Status ab. Dabei ist dieses Wir-Bild natürlich überzeichnet: Die letzte Fußball-WM in Südafrika stand etwa unter der Losung, das Land habe die Apartheid überwunden und steht nun als nationale Einheit da – schwarz und weiß zusammen. Rainbow Nation eben. Die Deutschen sind plötzlich freundliche Nachbarn und gute Freunde. Vermutlich sind Eröffnungsfeiern deshalb auch so unerträglich, weil man dabei zusehen kann, wie sie sich jemand moderne Nationalmythen aus dem Ende zieht.
Die politische Lage bestimmt das Image der Nation
Dabei fällt auf, dass vor allem das Image der klassischen westlichen Veranstalterländer – bis 2012 fanden 76% aller Olympischen Spiele und Fußballweltmeisterschaften in Europa und Nordamerika statt – profitiert, also Länder mit relativ stabiler, innenpolitischer Lage. So hat sich das Image Deutschlands nach der WM 2006 gebessert. Sotchi 2014 zeigt hingegen, dass es für das Image eines Staates nicht immer von Vorteil ist, im Mittelpunkt zu stehen: Die Olympischen Winterspiele haben stark dazu beigetragen, dass die Welt über Russland diskutiert hat. Und vielleicht sollte man auch einfach nicht in ein Nachbarland einmarschieren. Oder überhaupt in irgendein Land. Das hilft nicht. Die Fußball-WM in Argentinien 1978 hatte zum weltweiten Aufschrei gegen die dortige Militärdiktatur geführt. Der mediale Fokus kann also auch negativ sein.
Auch das Image Brasiliens, neben der Fußball-WM 2014 finden dort in zwei Jahren auch Olympische Sommerspiele statt, profitiert davon nicht unbedingt. So sieht das jedenfalls Alois Gstöttner, Wiener Journalist und Autor des Buches »Gooool do Brasil«, das sich durch einen Blick hinter die Kulissen des brasilianischen Fußballs angenehm von den meisten WM-Publikationen unterscheidet: »Ich halte die Operation für kontraproduktiv. Sämtliche Schlagzeilen aus Brasilien sind de facto negativ besetzt. Die Ereignisse – Polizeigewalt, Drogenkriminalität und so weiter – hat es vorher auch gegeben, nur hat keiner – und schon gar nicht in Europa – darüber berichtet. Wenn sich Brasilien als modernes und fortschrittliches Land positionieren will, gibt es günstigere und sozial nachhaltigere Alternativen als eine WM zu veranstalten.« Im Sinne des Wir-Gefühls versuchen deshalb offizielle Stellen, Fußball-Ikonen und Medien die Proteste, die während des Confederation Cup 2013 aufflammten und bis heute andauern, kleinzureden oder gar zu verteufeln. Dadurch hat die ohnehin schon vergleichsweise geringe Zustimmung der Bevölkerung für die WM weiter abgenommen, laut dem brasilianischen Botschafter in Wien, Evandro Didonet, sind rund 41% der Brasilianerinnen und Brasilianer gegen die WM.
Sport schafft Zugehörigkeitsgefühl
Das ist deshalb überraschend, weil man – wie die Medien das auch tun – Fußball durchaus als die Nationalsportart Brasiliens bezeichnen kann. Diese Nationalsportarten – ob offiziell, oder wie im brasilianischen Fall, inoffiziell – tragen zur nationalen Identität bei. Wie in vielen lateinamerikanischen Staaten wurde auch in Brasilien erst ab 1900 versucht, nationale Traditionen zu schaffen. Bis heute gibt es eigene Fußballclubs für Immigranten aus bestimmten Herkunftsländern. Gstöttner sieht darin jedoch keine spezielle Community-Bildung: »Da praktisch jeder und jede einen Immigrationshintergrund hat, ist es eigentlich auch kein größeres Thema bzw. hat sich über die Jahrzehnte einfach aufgelöst.« Im klassischen Einwandererland Brasilien war Fußball schon früh verbreitet, aber noch nicht einheitlich organisiert. Eine Großveranstaltung förderte dann diese Nationalidentität, ähnlich wie später der deutsche Erfolg von Bern 1954.
Als Brasilien 1950 die Weltmeisterschaft im eigenen Land ausrichtete, hatte sich in den zwölf Jahren seit der letzten WM das Bild der Nationalmannschaft deutlich geändert: In den Medien wollte man besonders im Spielstil des Teams Anleihen aus der afrikanischen Herkunft und die Eingliederung von Musik und Tanz in den Fußball erkennen. Diese Mischung aus Tradition und Moderne erlaubte es, dass Fußball irgendwie für Brasilien stehen konnte. Dazu kam das neu errichtete Maracanã-Stadion, das damals zehn Prozent der Bevölkerung von Rio de Janeiro Platz bot. Die vielen Kinder und Frauen im Stadion sorgten für ein neues Gemeinschaftsgefühl. Durch den Einsatz von Karnevalsmelodien erlebten die brasilianischen Zuseher erstmals ein kulturelles und spielerisches Gefühl von Nation, ohne politischen und militärischen Kontext. Die unerwartete Niederlage im letzten Spiel gegen Uruguay wurde schnell als Unrecht verdammt. Die drei Titel innerhalb von nur zwölf Jahren (1958, 1962 und 1970), die stark mit dem brasilianischen Spielstil verbunden wurden, wurden nach dem kollektiven Leiden von 1950 zum Moment, in dem Brasilien zeigen konnte, dass es durch Kultiviertheit – die kulturelle Fähigkeit des brasilianischen Fußballs – aus unerwarteten Rückschlägen lernen und zum Rekordweltmeister aufsteigen kann. Auferstanden aus Ruinen – das ist Gold fürs kollektive Selbstbild.
»Gooool do Brasil: Kartografie einer nationalen Leidenschaft« von Alois Gstöttner ist im Club Bellevue Verlag erschienen.