Markus Schinwald zählt zu den erfolgreichsten jungen Künstlern Österreichs. Er beschäftigt er sich mit der Kulturgeschichte des Umgangs mit dem Körper, menschlichen Zwängen, versetzt Biedermeierporträts Prothesen und zitiert immer wieder aus der Populärkultur. Nun fährt er zur Kunstbiennale von Venedig, gleichermaßen Bürde und Karrieresprung.
Betonboden, hohe Räume, hie und da eine Skulptur. Markus Schinwald gibt momentan viele Interviews in seinem Arbeitsatelier im 2. Wiener Bezirk. Er wirkt sportlich elegant und angenehm locker. Nervosität merkt man dem 1973 in Salzburg geborenen Künstler nicht an, obwohl er in Kürze eine hohe Bühne besteigen wird. Von 4. Juni bis 27. November wird er den Österreichischen Pavillon auf der 54. Kunstbiennale von Venedig, der wichtigsten Kunstausstellung der Welt, bespielen. In den vergangenen Jahren wurde Schinwald innerhalb der internationalen Kunstwelt mehr und mehr bekannt. Seine verzerrten, entrückten Körper und manipulierten Modeartikel erregten die Aufmerksamkeit der Kritiker und des Publikums. Vertreten durch die renommierten Galerien Georg Kargl in Wien und Yvon Lambert in Paris waren seine Arbeiten – Filme, Fotografien, Installationen, Skulpturen und Performances – in mehreren Einzelausstellungen im Kunsthaus Bregenz oder in der Augarten-Dependance des Belvedere, vor allem aber auch international in Zürich, Frankfurt, Budapest und Brüssel zu sehen.
Filme und Psychoanalyse
Schinwald ist einer Künstlergeneration zuzurechnen, die nicht mehr zwischen Hoch- und Populärkultur unterscheidet und wertet. Seine Arbeitsweise vergleicht er mit der eines DJs, der ein Stück Musik verändern kann, wie er mag. Schinwalds Ausgangsmaterial ist dabei immer der Raum, den er bespielt. Im Vorfeld aber sammelt er schon die Ideen zusammen. Dabei zählt der Film zu seinen wichtigsten Inspirationsquellen. Der Künstler plündert buchstäblich, wie er in einem seiner Kataloge zugibt, Videotheken. Für seine Recherchen benötigt Schinwald immer wieder den Rückzug, den er als Pendler zwischen den USA und Österreich besonders Übersee in Anspruch nehmen kann. Beim Schauen von Filmen klaubt er sich all das heraus, was ihm von Interesse erscheint. In der nächsten Arbeitsphase angekommen, verschränkt er als Künstler das Erinnerte mit Theorie, etwa der Psychoanalyse, eine Technik, die ihm als Kontrolle dient. Wenn auch ein Universum an Quellen und Originalen vorhanden zu sein scheint: der Betrachter muss laut Schinwald nicht in der Lage sein, all das zu decodieren.
So ist es etwa zu jedem Zeitpunkt möglich, in seine Filme einzusteigen. Was man dann sieht, sind Körper in eingezwängt wirkenden Posen mit unheimlichen Gerätschaften, wie etwa im Film »Ten In Love« aus dem Jahr 2006. Die künstlichen Arme, eigenartigen Schuhe und verkrampften Haltungen seiner Protagonisten nähren sich etwa vom Freud’schen Begriff des Prothesengotts. Demnach benutzt der Mensch Werkzeuge und Apparaturen, um seine Körperlichkeit zu vervollkommnen.
Diese Prothesen, die Schinwald den Menschen in seinen Arbeiten anzieht, aufsetzt oder umbindet, sind hier meist Gerätschaften aus früheren Jahrhunderten, deren Sinn heute nicht mehr nachvollziehbar ist. So wird ein Ausstellungsraum mit Schinwalds Arbeiten oft zur Verlängerung einer Wunderkammer, die das Seltsame und Mysteriöse erahnen lässt. Der Körper ist in diesen Arbeiten ein kulturelles Konstrukt, das sich im Laufe der Zeit wandelt. Metamorphose oder die Technik des Morphing, die zum Beispiel in Science-Fiction-Filmen zum Einsatz kommt, übersetzt Schinwald in das System Kunst.
Die Darstellung des Körpers, mit Haltung und Kleidung, schlicht die Geste in Schinwalds Werk, lässt sich allerdings auch mit der Oper erklären. Vor seiner künstlerischen Laufbahn sammelte er Erfahrungen bei den Salzburger Festspielen, wo er schon als Fünfjähriger als Statist mitwirkte und über die Jahre Wissen und geistiges Repertoire ansammelte. Maßgeblich geblieben für den Künstler Schinwald ist die Abstraktion in der Oper. Große Gefühle, Liebe und Tod vor einer Kulisse in Kostümen zu besingen bedeutet, alles auf das Wesentliche zu reduzieren und zu verdichten, was sich in den Performances und Filmen Schinwalds nachvollziehen lässt.
Der Körper als Durchgangsmoment
Alle vorsichtigen Beschreibungsversuche wären nur eine Annäherung an das, was ab Juni auf der Kunstbiennale in Venedig zu sehen sein wird. Gerne überrascht Schinwald den Betrachter. Er legt Wert auf die geeignete Präsentation der einzelnen Objekte, inszeniert diese und bettet sie in ein möglichst klares und funktionelles Displaysystem ein. Nur so viel wie gerade notwendig geht der Künstler dabei auf die Ursprungsarchitektur ein. Manchmal lässt das jeweilige Raumsystem den Betrachter näher an die Dinge heran, manchmal zwingt es ihn zu einem distanzierteren Blick auf das Geschehen und die Objekte. Auch die genaue und hochästhetische Ausführung der Exponate und die Veränderung ihrer Erscheinungsform schaffen eine klare Distanz. Diese Mechanismen ermöglichen es, sich im Kontrast dazu in seiner eigenen Körperlichkeit wahrzunehmen.
In Schinwalds Arbeit »Vanishing Lessons«, gezeigt auf drei Ebenen des Kunsthaus Bregenz, blieb der Besucher außenstehender Zuschauer. Auf den gegenüber den Bühnenkästen positionierten Tribünen konnte er das Geschehen im Sitzen mitverfolgen. Anders wird es einem wohl in Venedig ergehen. Laut Kommissärin Eva Schlegel wird man als Besucher dort vielmehr zum Performer und der eigene Körper zum Bezugspunkt eines Korridorlabyrinths. Man beginnt einzutauchen in Schinwalds subtile Repräsentationsformen emotionaler Regungen. Dabei dockt er an die Physis des Betrachters an und rechnet damit, dass sich gleichzeitig auch die Schleusen zu dessen Gefühlswelten ein Stück weit öffnen. Seine Arbeiten dienen als Projektionsflächen und Spiegel. Der reale Körper des Betrachters wird zur Schnittstelle zwischen einem künstlerisch erschaffenen Illusionsraum und den eigenen, inneren Vorgängen.
Vom Verschwinden und Auftauchen
Bei den Darbietungen eines Illusionisten à la David Copperfield sind die Zuschauer weniger davon beeindruckt, dass die Tricks funktionieren, sondern sie sind verblüfft darüber, wie ihre Sinne getäuscht wurden. Markus Schinwald weckt im Umgang mit dem Feld des Unsichtbaren andere Reaktionen. Dort ist es weniger das Staunen, sondern viel mehr ein Gefühl der Irritation und des Nicht-Zuordnen-Könnens. Wer mit den von Schinwald übermalten und bearbeiteten Biedermeier-Gemälden und Lithografien, aber auch seinen mechanischen Marionetten konfrontiert wird, ist fasziniert von der Suggestionskraft der Lebendigkeit und der Feinheit der Ausführung. Im ersten Moment beeinträchtigen die störenden subtilen Eingriffe des Künstlers kaum, sie werden geradezu verdrängt und trotzdem wird es unvermeidbar, die Frage zu stellen, welcher Wirklichkeit diese Artefakte nun tatsächlich zuzuordnen sind.
Markus Schinwald bezeichnete die Stützapparate, schlaufen-, halfter-, masken- und schmuckartigen Gebilde auch einmal als »nette launische Dinger, als Prothesen für unbestimmte Fälle«. Reagiert man auf den Anblick »zersägter Jungfrauen« also mit euphorischem Kribbeln – schließlich weiß man ja, dass das, was man da sieht, so nicht sein kann – hinterlassen Schinwalds Täuschungsmanöver ein Gefühl der Unruhe und Unbestimmtheit.
Venedig und die Welt
Nach Venedig wurde Markus Schinwald von der Künstlerin Eva Schlegel eingeladen, die heuer als Kommissärin des 1934 von Josef Hoffmann erbauten Österreichischen Pavillons auf der Kunstbiennale auftritt. Die Arbeitsweise Schinwalds, für jeden Ausstellungsraum ein Konzept zu erarbeiten und umzusetzen, scheint Kuratoren obsolet zu machen. Für Schinwald selbst ist der Ausstellungskurator jedoch keine aussterbende Art, dient er ihm doch nach eigener Aussage als wichtiges Regulativ, auf das er nicht verzichten möchte. Respekt hat Schinwald auch vor dem Betrachter. Er hat vollstes Verständnis dafür, wenn jemand sich seiner Arbeit nicht ausliefern will und den Raum verlässt. In Venedig wird das wohl anders sein, werden doch in wenigen Wochen die Massen die Pavillons im Arsenale und den Giardini stürmen.
Der Österreich-Pavillon bei der Biennale Venedig eröffnet am 2. Juni. Mit dem Coverbild »Nell« sowie der Abbildung »Marion« sind in The Gap erstmals vorab die aktuellen Venedig-Arbeiten "Nell" und "Marion" (erstes bzw zweites Bild von oben) zu sehen. Im Vorfeld kommentieren Experten den Weg zur Kunst-Biennale auf www.labiennale.at
Von 28. Oktober 2011 – 5. Februar 2012 werden Arbeiten Markus Schinwalds in einer Personale im Lentos Kunstmuseum Linz zu sehen sein.
Zum Interview mit Markus Schinwald geht es hier.