»Der Eisberg ist öffentlich« – Angewandte-Rektorin Schaper Rinkel im Interview

Seit Oktober 2023 ist Petra Schaper Rinkel Rektorin an der Universität für angewandte Kunst Wien. Davor war sie Professorin für Wissenschafts- und Technikforschung sowie Vizerektorin für Digitalisierung an der Universität Graz. Diese Expertise nimmt sie auch in ihr neues Metier mit. The Gap bat sie zum Gespräch über die gesellschaftliche Bedeutung der Universitäten, die Zugänglichkeit von Kunst und die zukünftige Rolle von künstlicher Intelligenz.

Sie sind jetzt seit knapp einem halben Jahr im Amt. Wie war das Ankommen an der Angewandten?

Petra Schaper Rinkel: Die Angewandte macht ja aus, dass sich Neues immer mit den fantastischen Dingen verbindet, die es schon lange hier gibt. Das ist der Spirit, den ich auch nach einem halben Jahr jeden Tag genieße. Bei uns kann man wirklich um Mitternacht noch das intensive Tun spüren, jetzt zum Beispiel in der Modeklasse oder in der Architektur. Das macht die Angewandte ebenfalls aus: dass die Studierenden rund um die Uhr Zugang zu ihren Studios haben. So ergibt sich ein Ort der intensiven, lebendigen und sprühenden Auseinandersetzung – miteinander sowie mit Materialien, mit Konzepten und mit Ideen. Als Rektorin habe ich die wunderbare Möglichkeit, in ganz viele dieser unterschiedlichen Felder eingeladen zu werden und andererseits aber auch die ganzen unterschiedlichen Konzepte, Ideen und Themen innerhalb des Hauses nach außen weiterzutragen.

Worin sehen Sie denn die gesellschaftliche Aufgabe von Universitäten und spezifisch von Kunstuniversitäten?

Die Kunstuniversitäten haben Freiheiten, die den anderen Universitäten mittlerweile fehlen. Denn die zunehmende Verschulung und Standardisierung sind das Gegenteil von Universität. Jedes wissenschaftliche Wissen ist immer nur temporär der Stand des Wissens. In dem Moment, wo etwas als »das Neue« festgeschrieben wird, geht es ja schon wieder darum, dieses Neue zu befragen: Ist es wirklich neu? Und was geht darüber hinaus? Immer wieder über etwas hinaus zu gehen und damit natürlich immer wieder neue Zukunftshorizonte zu öffnen, macht Universitäten aus. Kunstuniversitäten haben das heutzutage in einem viel stärkeren Maß als andere Universitäten.

Sehen Sie auch bei Kunstuniversitäten die Gefahr, dass das verloren geht?

Nein, ich gehe davon aus, dass wir die Idee der Universität und das, was sie seit der Aufklärung zur Selbstermächtigung und Autonomie von Menschen beiträgt, erhalten wollen. Dafür sind die Universitäten notwendig – in diesem idealistischen, emphatischen Sinn als Orte der tatsächlichen Freiheit, das Gegebene immer wieder zu befragen und damit neue Wege zu gehen. Daher brauchen wir Universitäten und wir brauchen wieder an allen Universitäten jene Freiheit, die Kunstuniversitäten noch haben. Wenn Kunstuniversitäten bedeutungslos oder eingeschränkt werden, ist das eines der wesentlichen Indizien dafür, dass Demokratie und das Politische an und für sich in Gefahr sind.

Bei allem gerechtfertigten Lob für Kunstuniversitäten gibt es ja durchaus auch Kritikpunkte, zum Beispiel, sie seien Blasen, die mit dem Rest der Gesellschaft wenig zu tun hätten. Wie würden Sie darauf antworten?

Die Quantenforschung ist beispielsweise ebenfalls eine Blase. Niemand stellt das infrage, alle haben Hochachtung davor, dass es bestimmte Theorien und Forschungen in der Quantenforschung gibt, die schwer zugänglich sind. Wir finden es völlig selbstverständlich, dass es einer intensiven Auseinandersetzung bedarf, um sie zu verstehen. An einer Kunstuniversität ist das zwar anders, aber es geht auch um intensives Verstehen und Begreifen. Allein schon, weil Kunst selbst Auseinandersetzung ist mit dem, was aktuell da ist, aber auch mit der Kunst der Vergangenheit. Auch um Kunstwerke zu verstehen, um Künstler*innen zu verstehen, muss man sich auf einen bestimmten Diskurs ernsthaft einlassen und sich ernsthaft damit auseinandersetzen.

Generative KI ist momentan ein heißes Thema. Wo sehen Sie deren Rolle in der Kunst und an der Angewandten?

Machine Learning, was ja die präzisere Bezeichnung ist, wird auch für uns ein Handlungsfeld sein. Wir werden voraussichtlich, sofern wir das Geld vom Ministerium dafür bekommen, Professuren in dem Bereich aufbauen. Künste, Design und Wissenschaften können nur dann wirklich Neues erzeugen, wenn sie ihre eigenen Werkzeuge generieren. Das galt für die astronomischen Fernrohre von Galileo und Kepler und gilt auch für künstliche Intelligenz. Für Künstler*innen und Designer*innen geht es nicht um Anwendung von heutigen Systemen, sondern darum, sie infrage zu stellen, zu experimentieren und die Grenzen bisheriger Machine-Learning-Systeme zu sprengen. Wir möchten KI vom vorgefertigten Tool zu etwas machen, mit dem aktiv Handlungsmöglichkeiten erschlossen werden.

Möchten Sie an der Angewandten auch eigene Rechenzentren und Datenzentren aufbauen?

Nein, da gibt es bereits herausragende Infrastrukturen in Österreich und in Europa. Uns geht es um den Umgang mit Bildern, mit Artefakten, mit Daten. Machine-Learning-Systeme erzeugen ihre Bilder ja nicht aus sich heraus, sondern sie basieren im Endeffekt auf der gesamten Bildwelt der bisherigen Menschheit und aller, die heute leben und künstlerisch tätig sind. Und diese haben KI-Systeme nur zur Verfügung, weil Menschen über Institutionen, Museen, Universitäten, aber auch private Initiativen die Bildwelten der Vergangenheit immer wieder von einem Medium in ein neues gerettet haben. Und weil wir Menschen heute Bildwelten erzeugen. Ein kollektives Gut der Menschheit wird hier von wenigen globalen Unternehmen valorisiert und kommerzialisiert. Auch die Grundlagen der Technologie wurden von den globalen Steuerzahler*innen über die weltweite Zusammenarbeit von Universitäten ermöglicht. Dieses kollektive Gut wird heute von einer winzigen privaten Spitze eines Eisbergs beherrscht. Und dieser Eisberg ist eigentlich öffentlich, der gehört der globalen Allgemeinheit und den müssen wir wieder einer globalen Allgemeinheit zugänglich machen.

Dieses kollektive Gut steht in einem gewissen Kontrast zu Copyright. Auch die KI-Systeme ignorieren häufig Ur­heber*innenrechte für ihre Massen an Trainingsdaten. Wie sehen sie dieses Spannungsverhältnis?

Aktuell ist wichtig, bestimmte Restriktionen für diese Datenmengen durchzusetzen. Aber in den Künsten und den Wissenschaften geht es grundsätzlich nicht um Restriktionen, um Einengung, sondern um Ermöglichen, um Gestalten und darum, Neues zu schöpfen. Deshalb ist es unabdingbar, heute darüber nachzudenken, welche vollständig anderen Systeme der Anerkennung von künstlerischen und wissenschaftlichen Leistungen in Zukunft möglich wären. Das heißt ideelle Anerkennung, aber natürlich auch monetäre, damit Künstler*innen davon leben können. Meines Erachtens sind die jetzigen Systeme nicht reformierbar. Wir brauchen eine ganz andere globale Diskussion über neue Allgemeingüter und über Wertschöpfungsmechanismen, die öffentlichen, globalen Reichtum erzeugen und es darüber ermöglichen, dass in der Zukunft aus den Künsten und den Wissenschaften Allgemeingüter produziert werden können.

Von 26. bis 29. Juni findet das Angewandte Festival statt, bei dem Abschlussarbeiten sowie Ausstellungen präsentiert werden.

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