Letztens fiel mir wieder ein, dass die Euro-Münzen echt ziemlich obszöne Säue sind. Und das kam so: Wie so oft erntete ich nach einem kräftigen, verbalen Rundumschlag weniger anerkennende als vielmehr verwunderte Blicke.
Ich weiß leider nicht mehr genau worum es in dem Monolog ging, denn nur den Schlusssatz meines Plädoyers habe ich noch im Ohr: »Die Österreicher sind deswegen alle so, weil sie in einem Land leben, das die Umrisse eines dummen Schnitzels oder total hässlichen Koteletts hat.« Von der perfekten Grammatik dieses Satzes sollte man sich jetzt bitte nicht blenden lassen. Inhaltlich ist diese Erkenntnis nämlich sehr banal, wie mir jetzt gerade wieder auffällt. Jedenfalls freute ich mich sehr, als mich meine Gegenüber danach fragte, wohin ich denn im Fall der Fälle auswandern würde. Die Antwort darauf habe ich nämlich schon oft leise in meinem Kopf geübt. Man muss nämlich wissen, dass das fiktive Durchspielen von Small-Talk-Situationen eine heimliche Marotte von mir ist. »Was, wirklich Freitag? Mein Lieblingswochentag ist Montag – verrückt nicht?« Oder »Ja, ja, Bauchspeicheldrüsenkrebs, ein Todesurteil. Da kann Steve Jobs schon mal sein Testament machen, aber wissen Sie, in Amerika gibt es dafür wirklich die besten Spezialisten auf der ganzen Welt. Bei uns gibt es übrigens auch supertolle Internisten, die schon das Leben von so manchem arabischen Diktator verlängert haben. Aber, wie glauben Sie, geht es dann mit Apple weiter?« Um nur zwei Beispiele zu nennen.
Doch hopp, hopp zurück zum Auswandern. »Also wenn«, sagte ich, »wenn ich auswandere, dann nur nach Skandinavien.« Natürlich war ich bestens auf die nächste Frage präpariert. Ich erwartete ein »Warum?« und kriegte es auch. Ich hielt mich kurz für Gottes smartestes Arschloch auf diesem Erdenrund, aber das war wohl meiner oft groben Selbstüberschätzung, die zu allem Unglück auch noch auf einer leichten Megalomanie fußt, geschuldet. Ein »Warum« im Gespräch kommen zu sehen ist nämlich keine besondere Leistung, kein intellektueller Supertrick. »Weißt du«, sagte ich, »Ländergrenzen sind sehr wichtig für mich. Drum finde ich auch Armenien so fad. Das Land sieht von seinen Umrissen her aus wie Österreich, nur ungefähr 100 Grad gegen den Uhrzeigersinn gedreht. Oder 260 Grad im.«
Ich schweifte ab. Manchmal ärgern mich die deutschen Ablautreihen schon. Viel schöner fände ich etwa, wenn man abschweifen, abschwief, abgeschwiffen beugen könnte. Ich bin abgeschwiffen sagen zu dürfen, gäbe so manchen Erzählungen ungleich mehr Pfeffer, finde ich. Aber was soll’s.
Jedenfalls bleibt nicht viel übrig, wenn man sich als Auswanderungsziel Länder sucht, deren Umrisse einen an irgendwas erinnern und im besten Fall auch noch im Stande sind, positive Gefühle zu evozieren. Kroatien ginge sich bei mir aus. Das Land sieht aus wie ein Bumerang. Auf diesen Umstand verweisen selbst mittelprächtige Reiseführer. Ich liebe übrigens Bumerangs, seit mir anhand dieser australischen Wurfwaffe das Prinzip der Haushaltsversicherung erklärt wurde, nachdem ich damit als kleiner Wutzi eine Fensterscheibe im Nachbarhaus demoliert hatte. Leider gibt es kein Land, das entfernt an eine Haushaltsversicherungspolizze erinnert, dort würde ich mich nämlich dann vielleicht niederlassen wollen. Leben könnte ich auch in Russland, das mich, so wie es auf den Weltkarten fett und ausgebreitet daliegt, immer an einen umgefallenen Dodo mit Genickbruch erinnert. Ich mag Dodos, sie kommen auf einer Liste »Ausgestorbene Tiere, die ich mag« locker unter die Top Ten, neben dem Quagga, eine Zebraart, die nur am Kopf und Hals gestreift ist und zuletzt 1901 gesehen ward. Ich sag, weil ich Dodos so mag, auch immer Fjodor Dodojewski. Weil ich das immer so schnell und undeutlich ausspreche hat mich deswegen noch nie jemand bekrittelt oder gar zur Rede gestellt. Ach ja, auf den Bermudas würde ich mich übrigens auch niederlassen wollen. Die kleine atlantische Inselgruppe erinnert mich nämlich an die drei Gehörknöchelchen Hammer, Amboss und Steigbügel.
Alle, die keine regelmäßig auf den Bermudas urlaubenden HNO-Ärzte sind, können jetzt gerne ihre Smartphones zücken – oder etwas oldschooliger – zu den Atlanten und medizinischen Büchern stürmen, um nachzuschauen, ob das alles stimmt, was ich da so von mir gebe. Ich hab leider kein Smartphone, ich bin in dieser Hinsicht ein wenig digitalbehindert. Aber das macht mir eigentlich nichts aus. Auch weil ich der Überzeugung bin, dass zuviel Touchscreen das Fingerspitzengefühl ruiniert. Ich hörte nämlich schon zahlreiche Damen sich darob beschwerden, dass es viele Technik-Liebhaber gibt, die an der Mumu herumscrollen als wäre sie ein LCD-Display. Jüngere Hengste sind mittlerweile überhaupt schon übergegangen, die Daumen-Zeigefinger-Zoom-Bewegungen ins Vorspiel zu integrieren. Deswegen sei hier nun kurz postuliert: »Zuviel digital ist schlecht beim Fingern!« Der Vollständigkeit sei aber auch erwähnt, dass sich »digital« von lateinisch »digitus – Finger« ableitet und sich dieses Postulat als sprachliches Paradoxon verkleidet.
»Nicht abschweifen, bitte, warum Skandinavien«, erinnerte mich meine Gegenüber. »Na ja, die Gegend dort oben schaut auf der Landkarte aus wie ein Schwanz.« Und weil wir beide keine Smartphones besitzen, kramte ich in meinem Hosensack nach Ein-Euro-Münzen. Dort sieht man, wie Finnland und Schweden einen astreinen, langen, unbeschnittenen, schlaffen Penis in Seitenansicht bilden. Was die Sache besonders pikant macht. Schweden und Norwegen geben zusammen einen prächtigen, erigierten Pimmel mit zwei saftigen Eiern ab, der stramm Richtung Polarkreis weist. Dieses einprägsame Bild ist allerdings nur auf Münzen, die bis 2007 geprägt wurden zu sehen. Die neuen Euros zeigen nur den schlaffen Beidl, den Schweden mit Finnland macht. Warum, das so ist, weiß kein Mensch. Norwegen ist nicht in der EU, Schweden nicht in der Euro-Zone, aber ich hätte da eine Theorie: Die allerdings behalte ich für mich, das wäre sonst wirklich zuviel Geschweife auf einmal.