Tiefe zigarettengestählte Stimme, schweres Klavier und vielleicht die tiefste Stimme des Mühlviertels. Ja, Jo Strauss hat ein sehr gutes neues Album.
Meistens sind österreichische Musiker relativ leicht einzuordnen. Label, Bandmitglieder, Herkunft und musikalische Sozialisation lassen oft nur einen Schluss zu, wenn es darum geht, bestimmte Schubladen mit Genres, Einflüssen und Szenezugehörigkeiten zu füllen. Dann aber gibt es die, von denen man auch bei genauerem Hinhören nicht weiß, wo man sie hingeben soll.
Jo Strauss ist so einer. Er trägt einen Künstlernamen, den er vom Opa hat, wie er in Wirklichkeit heißt, was man nicht so genau, die Privatsphäre soll gewahrt bleiben. Er schaut aus wie der böse Zwillingsbruder von Putzi Putz aus der Fernsehwerbung. Er klingt wie man sich einen Wiener Tom Waits vorstellt, die Stimme gestählt von hartem Alkohol und stangenweise Zigarettenrauch. Aufgewachsen ist er in Peilstein im Mühlviertel, er pendelt zwischen Berlin, Wien und Linz, studiert hat er Philosophie. Eigentlich ist er Kabarettist, seine Live-Shows wie Musikkabaretts. Das Passauer Scharfrichterbeil – ein nicht unbedeutender Kleinkunstpreis, den unter anderem der Bayerische Rundfunk stiftet und den in den 80ern etwa Hape Kerkeling oder Urban Priol gewannen – hat er 2014 bekommen. Aber nicht, was viele gleich denken, wie Bodo Wartke oder Willi Astor, auch nicht unbedingt ein Rainald Grebe. Weil: Lustig ist das nicht, was Jo Strauss in seiner echt sehr tiefen Stimme singt.
An der Bushaltestelle
Schon im Jahr 2013 machte der Oberösterreicher auf sich aufmerksam, sein selbstbetiteltes Debüt warf mit den beiden Berlin-Songs »Von Berlin« und vor allem »Berlin stirbt« zwei Lieder ab, die das Heimweh im Fernweh so treffend beschrieben und eigentlich auf jedem Österreicher-Stammtisch in Kreuzberg gespielt werden müssten, wenn es denn so etwas gibt. Das neue Album, es heißt »Ohne dir«, erscheint im Oktober auf International Bohemia. Fast zu früh, denn mit seiner schier unendlichen Melancholie ist es eher ein Novemberalbum. Ein Album für die letzten Zigaretten an Bushaltenstellen in der Einöde, wenn man den letzten verpasst hat und unendlich im Nebel warten muss. Graue Augustmorgende, wenn es in der Großstadt regnet, passen aber auch gut. Jo Strauss singt da vom Hamburger Regen, der die Stadt in unbarmherzige Hässlichkeit hüllt, von Blüten, die unter dem Schnee vergehen und erst – es kommt ihm ewig vor – im März wieder blühen. Er malt Alltagsgeschichten in breitem oberösterreichisch-wienerischem Dialekt, der aber dankenswerterweise im Booklet auch übersetzt wird. In seiner »Austrozone« vergleicht Eberhard Forcher Strauss dementsprechend auch treffend mit Elisabeth T. Spiras Arbeit.
Zu heiß für mich in dieser Stadt
Nur einmal geht Strauss zu weit: In »Der letzte Sommer«, das auch schon als Video erschien, wünscht er sich, dass die Sonne »a flimmernde Glasur über d’Dächer ziagt«. Danke, zwei Wochen über 35°C waren genug. Aber was Jo Strauss sehr gut macht: Der beste Song ist ein Hidden Track, trägt den Namen »Rohrbach« und handelt von ebenjenem Ort im Mühlviertel, von Jugenderinnerungen, vom Verändern, wenn man nicht mehr da ist, von Kreisverkehren und Metzgern. Ein Thema, das in der Popkultur auch beim hundertsten Mal – man denke etwa an das großartige »Wieder zuhaus« von Klaus Lage – noch gut funktioniert. Zehn Minuten lässt Strauss seine Liebeserklärung an die alte (und wenn er stirbt wieder neue) Heimat dauern.
Musikalisch werden auf »Ohne dir« sehr viele Stückeln gespielt, vieles, was mit schwerem Klavier und Gitarre möglich ist. Folk, Jazz, Pianopop. Die Band – sie sind insgesamt sechs – steht im Hintergrund und lässt Jo Strauss den Vordergrund. Das ist höflich, würdig und recht, aber kann mitunter auch zum Problem werden. Denn wie bei kaum einem anderen Künstler entscheidet die Stimme so über Erfolg der Misserfolg. Denn die muss man mögen – und man muss sie ihm auch abkaufen.
»Ohne dir« von Jo Strauss erscheint am 2. Oktober via International Bohemia.