Not macht erfinderisch. Wer sich nicht auf diesen Spruch verlassen will, bereitet sich schon vorher auf die Not vor, mit den Erfindungen des Disaster Design.
Vom Lifestyle-Problem zum ernsten Einsatz
Designer verstehen solche Extremanforderungen oft als sportliche Herausforderung, auch wenn die Katastrophe nicht unbedingt sportlicher Natur ist. Gerade in Schwellenländern sind es meist Naturkatastrophen, die ganze Landstriche in den Notstand stürzen, die Menschen an der Basis ihrer Existenz treffen – und schnelle, günstige Hilfe erfordern. Als ZwischenImprovisation und High-tech-Modell entwerfen motivierte Gestalter mittlerweile nicht mehr nur schicke Utopien, sondern auch praktische und pragmatische Lösungen, die tatsächlich wenig kosten, Schutz bieten und auch von Ungeübten schnell aufgestellt werden können. Zum Beispiel die zeltartigen Concrete Canvas-Unterkünfte, die dank Beton gut zehn Jahre halten.
Oder die simplen, höchst effektiven Eco-Domes des Architekten Nader Khalili, die Sandsäcke und Stacheldraht nur mit Muskelkraft in günstige, umweltfreundliche – und nebenbei schmuck aussehende – Bienenkorbbauten verwandeln. Schließlich sind diese Baumaterialien gerade in Krisen- und Kriegsgebieten reichlich vorhanden. In kaum fünf Tagen entsteht so eine vollwertige 40qm-Bleibe mit Schlafzimmer, Küche, Bad und Eingangsbereich, die verputzt und imprägniert locker 30 Jahre übersteht. Dabei haben Khalilis Kuppeln eigentlich schon Klassikerstatus – er hatte sie 1984 für Kolonien auf dem Mond konzipiert. Einem anderen, einfachen Bauprinzip folgen Shradha Bhandaris flexible, fraktale Faltbauten: dem Origami.
Dadurch seien die Elemente besonders ökonomisch und anpassungsfähig an die Umgebung. Sie befinden sich noch in Entwicklung. Bereits von den Ärzten ohne Grenzen wurden dagegen die Icosa Villages Pods, die sich aus cirka 40 dreieckigen Polypropylen-Paneelen zusammensetzen und so in Buckminster-Fuller-artige Hütten verwandeln.
Mit solchen konkreten Lösungen lassen kommerzielle Designer nicht nur kreative Muskeln spielen, sondern beweisen analog zum amerikanischen Pro-bono-Konzept auch ihre Sozialverantwortung. Selbst Massenmöbelikone Ikea steigt mit klassischer Flatpack-Architektur in das Thema ein und wirft ein eigenes Hausmodell für Notstandsgebiete in den Ring, das sich in vier Stunden im typischen Ikea-Prinzip abgepackt in vier Schachteln zusammen setzen lässt.
Update: Die Häuser wurden seit 2013 mit 40 Stück getestet und wird diese Häuser nun in Serienproduktion geben. Sie sollen 1.000 US-Dollar kosten, 200 Quadratmeter Platz bieten und am Dach sogar Solarpanele installiert haben. Mehr Bilder davon kann man hier bei Web Urbanist sehen.
Ein bisschen clever darf die soziale Visitenkarte natürlich sein: Wenn hilfreiche Anlaufstellen wie Design4Disaster, OpenRelief, Habitat for Humanity, Scientists without Borders oder Architecture for Humanity die besten Beispiele bündeln, wird das Engagement nebenbei zum sympathischen Aushängeschild. Psychic Factorys UNICEF Brick bedient mit seinem reduziertenDesignkonzept z.B. sämtliche Notfall- und Nostalgiebedürfnisse: Die stabile, legosteinartige Verpackung versorgt Hilfsbedürftige mit Reis und Wasser – und kommt danach als stabiles Baumaterial zum Einsatz.
In diesem Sinne verbinden immer mehr Designer den eigenen Spieltrieb mit Altruismus, um die Möglichkeiten von Technik, Design und Ressourcen auszureizen. Natürlich bleibt bei solchen Fingerübungen auch einiges im Konzeptstadium stecken oder driftet ins Skurrile ab. Bevor wir uns also vor urbaner Kulisse mit dem Tinkerball abseilen oder bei Hurrikans in niedlichen japanischen Taucherkugeln Schutz vor den Elementen suchen, lohnt sich die kritische Nabelschau. Nicht alles taugt für den Einsatz in einer Welt, die immer häufiger unter extremem Wetter leiden wird – sei es, weil es zu schwer, zu teuer, zu umständlich oder zu unflexibel ist. In der Not brauchen Menschen Essen und Schutz. Das sind die vorrangigen Ziele für Designer, die Leben retten. Ein Blick in »Design like you give a damn« von Architecture for Humanity beweist dabei mit etwa100 konkreten Hilfsprojekten, dass echtes, helfendes Disaster Design für die Zeit nach den akutesten Tagen einer Katastrophe auch noch gut aussehen kann.