Das 21er Haus – Museum für zeitgenössische Kunst hat im Schatten eines Compliance-Skandals und Führungswechsels seinen fünften Geburtstag gefeiert. Grund genug für Bestandsaufnahme und Ausblick.
Dass der Urwiener Taxifahrer bei den Stichworten »Museum« und »Hauptbahnhof« lieber beim Heeresgeschichtlichen Museum anhält und auch bei der Korrektur »Nein, ins 21er Haus, dieses Glasgebäude ums Eck« erst sein Navi bemühen muss, bestätigt einen Verdacht, der auch nach fünf Jahren 21er Haus nicht ganz von der Hand zu weisen ist: Das zeitgenössische Museum wirkt abgelegen, konnte sich erst schemenhaft in die Kulturidentität der Stadt Wien einschreiben.
Das liegt einerseits an der isolierten Lage des gläsernen Quaders, der ursprünglich von Karl Schwanzer als österreichischer Pavillon für die Expo 58 konzipiert wurde, andererseits – und das ist wichtiger – gibt es inhaltliche Abgrenzungsprobleme zu anderen Institutionen: So hat das zentral gelegene Winterpalais mit seinen letzten Ausstellungen das 21er Haus oft überstrahlt und mit internationalen Zeitgenossen dem hauseigenen Mitbewerber Aufmerksamkeit genommen. Auch die Unterschiede zum Unteren Belvedere lassen sich nicht immer leicht festmachen. Gerade bei einer großen Museumsfamilie wie dem Belvedere, zu dem das 21er Haus seit 2011 gehört, wären scharfe Profile der einzelnen Häuser aber essentiell.
Viel von allem
Ins Haus integriert sind mit dem 21er Raum, der Wotruba Stiftung, der Artothek des Bundes, dem Blickle Kino, dem Salon für Kunstbuch, der Gastronomie sowie dem temporären Leben in der Wand auch zahlreiche unterschiedliche Institutionen. Durch die vielen, kleinteiligen Veranstaltungen und Interventionen ist es nicht leicht, das Haus als homogene Marke zu fassen, obwohl das im Sinne des einen großen Wurfes, den die Architektur fordert, zielführend wäre.
Denn die Bauweise des 21er Haus ist in Wiens Museumslandschaft einzigartig. Oberhalb des Belvedere im charmanten Schweizer Garten liegend erinnert das Museum ein bisschen an die zehn Jahre später von Mies van der Rohe entworfene Neue Nationalgalerie in Berlin – ein durchaus schmeichelhafter Vergleich. Die vierseitige Glasfassade lässt das Haus offen, hell und einladend wirken und schreit geradezu nach der spektakulären Zurschaustellung einer ortspezifischen und raumgreifenden Kunstposition – etwas, was zum Beispiel die Bregenzer Kunsthalle bereits macht.
Berüchtigte Vorlieben und Blockbuster
Die künstlerische Programmierung funktionierte in den letzten Jahren mal besser, mal schlechter. »Vor fünf Jahren war die Erwartung minimal. Husslein hatte bis dahin kein überzeugendes Programm gemacht und ihre Vorlieben in der zeitgenössischen Kunst waren berüchtigt«, meint Kulturjournalist Matthias Dusini, gesteht dem Haus und seiner scheidenden Direktorin aber auch große Erfolge zu: Das 21er Haus habe sich mit dem Auftritt von Gelatin und der Weibel-Retrospektive überraschend gut entwickelt und der internationalisierten lokalen Szene endlich Aufmerksamkeit verschafft.
Im heurigen Jahr konnte das 21er Haus dann mit dem ersten Blockbuster von internationalem Format aufwarten. Dabei kam die Ausstellung des Starkünstlers Ai Weiwei eigentlich ein paar Jahre zu spät. Der chinesische Regimekritiker und Dissident hat seine besten künstlerischen Jahre hinter sich und wirkt mit seinen Positionen in jüngerer Vergangenheit über die Maßen plakativ. Das ändert aber nichts an dem großen Erfolg der Schau – sie bescherte dem 21er Haus einen Besucherrekord.
Eventisierung und Compliance
Diese Publikumswirksamkeit geht mit den Eventisierungs-Versuchen des 21er Haus Hand in Hand: Husslein hat schneller als andere begriffen, »dass Kunst nicht nur Ausstellungen sind, sondern auch Feiern und Ausgehen. 21er-Vernissagen machten deutlich, wie groß und begierig die Wiener Kunstgemeinde ist«, so Dusini. Auch die Internetpräsenz des 21er Haus ist dem namensgebenden Jahrhundert würdig: Social Media wird gekonnt bespielt, Instawalks für reichweitenstarke Blogger organisiert, junge Zielgruppen angesprochen.
Doch auch die besten Partys können nicht ganz vom Compliance-Skandal um Agnes Husslein-Arco ablenken. Wiewohl es vielen Beobachtern schwerzufallen scheint, zwischen Hussleins Verdiensten als Direktorin und ihren Verstößen zu differenzieren und diese nicht gegen einander aufzuwiegen, wird das Belvedere ab dem kommenden Jahr nicht mehr von einer Person geleitet, sondern von einer Doppelspitze. Die künstlerische Leitung übernimmt die bisherige Lentos-Direktorin Stella Rollig, die kaufmännische der bisherige Der Standard-Geschäftsführer Wolfgang Bergmann. Weiters steht das Winterpalais in der Himmelpfortgasse dem Belvedere aller Voraussicht nach ab 2018 nicht mehr als Ausstellungsraum zur Verfügung. Nach den vielbeachteten Ausstellungen von Ólafur Elíasson oder zuletzt von Sterling Ruby ein herber Verlust, vielleicht aber auch ein Schritt in Richtung der von Rollig angekündigten Klärung der Häuserzuständigkeiten.
The future is now
Eine radikale Lösung für die Abgrenzungsproblematik hätte Dusini schon parat: Mumok vergrößern, Kunsthalle ins 21er Haus. Stella Rollig hingegen kommunizierte ihre Vision für das Haus im Schweizergarten uns gegenüber bisher eher vorsichtig wie etwa mit dem vagen Vorhaben, »die Besonderheit der Avantgarde in Österreich noch deutlicher herausarbeiten« zu wollen. Wie und wie schnell dieses Vorhaben konkret artikuliert zu Tage treten wird, entscheidet über die Zukunft des Hauses. Nach den negativen Schlagzeilen der letzten Monate und der Schließung des Winterpalais steht das neue Duo vor der denkbar schwierigen Aufgabe, Ruhe in den Betrieb zu bringen und das Haus gleichzeitig nach außen im Gespräch zu halten.
Das 21er Haus hat seine Schonfrist hinter sich und kann sich nicht ewig als Teil des Stadtentwicklungsprojekts am Hauptbahnhof begreifen. Die vielen kleinteiligen Veranstaltungen und Positionen müssen in eine gemeinsame, klare Linie zusammenfinden, um langfristig das einzuhalten, was die spektakulären Eröffnungen und jüngsten Besuchererfolge verhießen. Solange die Konkurrenz in Mumok und Kunsthalle schläft, hat das 21er Haus darüber hinaus die Chance, jene Lücke zu schließen, die das Winterpalais bald hinterlassen wird: einzelne, aus dem zeitgenössischen Kunstbetrieb herausgegriffene Positionen publikumswirksam und spektakulär zu inszenieren. Den idealen Raum dafür hätten sie ja.
Ein bereits mit Agnes Husslein-Arco schriftlich geführtes Interview, das hier zusätzlich hätte stehen sollen, wurde vom Belvedere in letzter Minute zurückgezogen. Wir bedauern diese Entscheidung, respektieren sie aber. Wer die Umwälzungen im 21er Haus selbst verfolgen will, kann das täglich außer montags und dienstags in der Arsenalstraße 1 tun.
Wissenswertes rund ums 21er Haus
· Entworfen wurde das Gebäude vom Wiener Architekten Karl Schwanzer als Österreich-Pavillon für die Weltausstellung 1958 in Brüssel.
· Von 1962–2001 wurde das 20er Haus – wie es damals noch hieß – als Museum des 20. Jahrhunderts genutzt.
· Seit November 2011 ist das nunmehr 21er Haus genannte Museum Teil des Belvedere.
· In diesem institutionellen Rahmen ist es profiliert als das Museum für österreichische Kunst ab der Nachkriegszeit im internationalen Kontext.
· In den ersten fünf Jahren haben im 21er Haus insgesamt 68 Ausstellungen, 297 Performances, Talks, Vorträge, Lesungen und Konzerte, 131 Film-Screenings, 985 Führungen und Workshops sowie 772 Veranstaltungen der Kunstvermittlung für Kinder, Jugendliche und Familien stattgefunden.