Die Geigen

Für die Grazer Autorin Valerie Fritsch läuft es momentan rund. Ihr Roman »Winters Garten« geht in die zweite Auflage und beim Wettlesen um den Bachmannpreis in Klagenfurt konnte sie einen Sonderpreis abgestaubt. Anbei eine Kurzgeschichte, die ihre Vorliebe unterstreicht, Scheinidyllen zu zerstören.

Wenn es Abend wurde, erwachten die Sinne. Waren alle gegangen, schloss sie die Türe des Ladens dreifach ab und hängte sich die Schlüssel neben jene, die sie tätowiert hatte, um den Hals. Die Apathie des Tages verschwand und machte jener Erregtheit Platz, die sich einzustellen pflegte, wenn man sich nach langer Zeit in Gesellschaft allein fand mit einem Liebhaber, den man nicht hatte berühren dürfen zwischen den vielen Menschen. Die Etikette des Geschäftstages fiel ab. Die Regale krümmten sich unter der Last der Musikinstrumente. In die Stille bogen sich die Melodien. Jene Töne, die tagsüber schwiegen, weil man die Instrumente nicht beachtet hatte, wurden laut. Ein dunkler Mozart und Elektroclash erhoben sich unter den Fingern von Laura Aich, sobald sie ihre Schützlinge berührte. Freibeuterhymnen und Singspiele, lose Fragmente, vaterlose Klänge und perfekte Symphonien krochen unter den Bögen hervor. Tag für Tag hob eine wahnsinnige Musik an, solange, bis das Haus dröhnte und die Lichter der Nachbargebäude ausgegangen waren.

Es glich einer Zeremonie. War das Spiel zu Ende, löschte sie die Lichter des Ladens und schwankte in jenen Teil des Geschäftes, den sie bewohnte. Der Schweiß stand ihr im Gesicht und troff kalt aus den Achselhöhlen. Die Ekstase sank einem Wasserspiegel gleich und rann ihr von der Haut. Vor dem Spiegel des Hinterzimmers hielt sie die Violinen und Cellos hoch und verglich sie mit ihrem eigenen Körper. Die Violinen waren ihr Leben. Sie wollte sein wie sie. Sie hasste die schmale Mitte, mit der sie die Männer betörten und sie hasste die ausladenden Töne, die ihre eigene Stimme übertrafen. Sie liebte die Hilflosigkeit, mit welcher sie ihr ausgeliefert waren, wenn sie sie von den Wänden riss in der Nacht und auf den Tisch warf, als wolle sie ihnen etwas antun. Bloß lagen sie vor ihr: unbedeckt und ungeheuerlich stumm, so schien es. Ihr eigener Körper blähte sich zu Ballonen in den Spiegelbildern und so viele Saiten sie sich selbst auch um den Bauch wand, so wenig erreichte sie die Taillenform der Violinen. Die Drähte schnitten ins Fleisch und an den schlechten Tagen trat Blut hervor zwischen den Hautwülsten. Sie streckte den Hals so hoch sie konnte. Sie hielt den Atem an. Sie schnitt sich Löcher in die Körperflanken. Manches Mal band sie sich die einzelnen Saiten zwischen die Zähne und spannte sie bis an ihre Zehen und sang bis in die Morgenstunden lärmige Töne, die klangen, als kämen sie aus brunnentiefen Gefäßen.

Die Besessenheit wuchs zu einer einzigen Enttäuschung mit den Jahren. Der Geigenladen brannte an einem Sonntagnachmittag, an dem der Himmel voller Wolken hing. Draußen ging die Welt weiter und drinnen ging sie in Flammen auf. Die Saiten glühten wie Dochte und die in Brand geratenen Harfen glichen Hanukkah-Leuchtern. Die kalten Resonanzkörper knackten im Flackern und die Kästen und Etuis wurden mehr denn je zu Särgen für die Instrumente. Die bestialische Einäscherung war ein Fest und ein Fieber. Die Violinen knisterten im Feuer und schrien wie Frauen. Das Holz ächzte und die Musik, die noch nie gespielt worden war, entwich den verkohlten Torsos wie ein letzter Atemzug. Vor den Scheiben spiegelte das Benzin am Boden den Himmel und hinter den Fenstern verbrannte Laura Aich wahnsinnig vor Glück mit den Geigen: als wäre sie eine von ihnen.

AD PERSONAM

Valerie Fritsch ist Schriftstellerin, Fotokünstlerin und Reisende – zumindest werden ihr diese Bezeichnungen in unzähligen Porträts, die in letzter Zeit über sie erschienen sind, zugeschrieben. Und erschienen ist viel über die 26-jährige Grazerin, denn ihr neuer Roman »Winters Garten« (Suhrkamp) wird in den Feuilletons gerade abgefeiert und als »Sensation« und »kleines Wunder« bezeichnet. Es ist ihr zweiter Roman und mit starken, einprägsamen Bildern schreibt sie darin den Weltuntergang herbei, sukzessive löst sich die Gesellschaft auf. Die Lust, auf engstem Raum Stimmung und Befindlichkeiten zu imaginieren, die größer als das vordergründig Ganze sind, merkt man auch der Kurzgeschichte »Die Geigen« an. Wer Pathos ohne Kitsch schätzt, ist bei der zuletzt mit dem Peter Rosegger-Preis sowie dem Publikumspreis sowie dem Kelag-Preis beim Bachmann-Preis ausgezeichneten Literatin richtig.

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