Die Natur ruft!

Letztens musste ich leider feststellen, dass auch ich – im Übrigen ansonsten ein Supertyp reinsten Wassers – nicht davor gefeit bin, Verbalreflexen nachzugeben, wenn gerade wieder irgendwo ein dünnes Gesprächssüppchen gekocht wird.

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»Maiglöckchen, Maiglöckchen!«, schrie ich wie ein aufgescheuchtes Huhn, als meine Gegenüber das Wort Bärlauch in den Mund nahm. Wobei, Gegenüber war es keine, da wir gerade durch ein Waldgebiet wanderten. Eher eine Nebenher. Was die Angelegenheit jetzt auch nicht wirklich einfacher machte, denn weder Wandern noch ausführliche Gespräche über die Vermeidung der Verwechslungsgefahren zwischen Bärlauch und Maiglöckchen zählen zu meinen Top-Interessen. Und jetzt tat ich plötzlich beides. Noch dazu gekonnt, indem ich auch noch darauf hinwies, dass eine Verwechslung von Bärlauch mit den Blättern der Herbstzeitlosen und der gemeinen Garten-Tulpe, die heimtückischer Weise ab und an verwildert, ein bisschen sehr gefährlicher ist, als jene mit Maiglöckchen. Aber so ist das beim Wandern anscheinend. Da kriegt man einen Redeschwall nach dem anderen und findet plötzlich auch Menschen in knallfärbigen Soft-Shell-Jacken von Jack Wolfskin, die in klobigem Schuhwerk stecken, das von putzigen, dicken Schnürsenkeln zusammengehalten wird, nicht mehr ganz so arg verachtenswert. Zuviel Frischluft ist Gift fürs Gehirn. Zumindest für meines. Aber Gift in Maßen genossen kann heilsam sein. Jenes von Maiglöckchen wird seit dem Mittelalter etwa bei Herzschwächen verabreicht.

Das und Ähnliches erzählte ich besagter Nebenher, die etwas abgeschlagen hinter einer Wandergruppe – einem Pulk aus merkwürdig aussehenden Menschen – durchs Gehölz trottete und auf mich traf. Wie ich erfuhr, handelte es sich bei diesem Aufmarsch um eine Veranstaltung für Alleinstehende, die sich im Internet organisieren, um sich unter den Rufen der Wildnis besser kennenzulernen. Die Dame, anscheinend auch schon ziemlich frischluftverwirrt, dachte ich gehöre dazu, ich erklärte ihr aber schnell, dass ich mich vielmehr auf einer Art Verdauungsspaziergang befände. Eine Art? Ja, eine Art, denn es sind vor allem Bilder und Sätze, die ich nicht mehr aus dem Kopf kriege und die irgendwie verarbeitet, sozusagen verdaut gehören, weil sie nichts bringen und zu nichts führen.

Die Dame forderte Beispiele ein, was mir allerdings etwas lästig war, bin ich doch der Überzeugung, dass Verdauungsprobleme, egal welcher Art, nur bedingt jemanden etwas angehen. Als ich unter starken Blähungen litt und mich nachts im Schlaf oft mit lautem Getöse aus der R.E.M-Phase furzte, hab ich von diesem Leidensdruck auch niemandem erzählt. Im Gegenteil, ich legte mir ein Traumtagebuch zu, stellte meine Ernährung auf Bio um und probierte mich in naturalistischer Selbstmedikation durch die Fenchel-Kümmel-Anis-Produktpalette im Reformhaus, da diesen Pflänzchen in solchen Belangen großartige Heilwirkung zugeschrieben werden. Eine Qual im Übrigen, denn nach einer beinahe Alkoholvergiftung in frühen Studentenjahren, deren Basis eine Dreiviertel-Flasche isländischer Brennivin bildete, krieg ich den Geschmack von Kümmel und Konsorten nur noch schwerfällig übern Gaumen. 13 Weihnachten lass ich daher schon von Aniskeksen ab.

Aber, Verbalreflex in freier Natur ist gefährlich und so erzählte ich dann doch, dass ich schon seit 36 Monaten mehrmals täglich eine Happy-Birthday-Verballhornung vor mich hinsumme, da immer irgendwo jemand den ich kenne 30 wird. »Dirty thirty to you urviel Sperma im Schuh und auch Somen am Abdomen dirty thirty to you.« Stolz bin ich übrigens sehr, ob des dritten Verses dieses dann doch in Summe recht banalen Ständchens. Mir persönlich ist nämlich nicht bekannt, ob Somen, also die feine japanische Buchweizennudel, es bis dato zu Reimehren gebracht hat. Vor allem, wenn man weiß, dass ich ursprünglich den einfachen Weg mit Samen zu dichten gedachte. Aber Abdamen? Genau, das versteht niemand und ganz ehrlich: lange Fadennudeln, vielleicht sogar noch etwas warm, am Bauch kleben zu haben, ist dann doch ein Bild von ungemeiner, erotischer Wucht. Ein metaphorischer Glückstreffer. Das sagte ich aber nicht, weil mir schien, dass das Gespräch ohnehin schon ein wenig aus dem Ruder lief. Da tat es gut zu wissen, dass der Buchweizen irgendwann einmal schon zur Arzneipflanze des Jahres ausgerufen wurde. Warum, habe ich aber vergessen.

Erst jetzt fiel mir auf, dass meine neugierige Nebenher beim Gehen etwas hinkte. Allerdings so ästhetisch, dass jeder, der neben ihr herspaziert wie ein Krüppel wirken muss. Geburtsfehler dachte ich, Skiunfall sagte sie und ich war fast ein wenig enttäuscht. Nachdem ich in Erfahrung gebracht hatte, dass sie Historikerin mit Schwerpunkt Wappenforschung ist, wollte sie natürlich auch wissen, womit ich mir so abseits von Verdauungsspaziergängen die Zeit vertreibe. Sie zeigte sich nicht besonders begeistert, als ich wahrheitsgemäß Kolumnist mit Schlagseite ins sexuell Mehrdeutige antwortete, sagte aber zu, mich jederzeit heraldisch zu beraten. Braucht sie aber nicht, ich weiß was ich will. Das glühende Rot einer pulsierenden Eichel soll auf meinen Masturbationshintergrund verweisen und die Hauptfarbe sein. Darauf zu sehen wären drei Somen, die ein Maiglöckchen umschlingen. Es wäre wegen dem Herz. Sie lachte, verstand und wortlos hinkten wir im Tann von hinnen.

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