Von der Kunst, im Heute anzukommen

Nach Jahrzehnten der Rückwärtsgewandheit hat die Gegenwartskunst in Österreich Hochkonjunktur. Kaum ein Museum kann es sich leisten, auf zeitgenössische Ausstellungen zu verzichten. Alteingesessene und Neueinsteiger ringen um ihr Stück vom Kuchen, Kunstfunktionäre widmen sich hingebungsvoll Verteilungskämpfen. Österreichs Kunstszene sucht den Anschluss an die Gegenwart. Das wurde auch langsam Zeit.

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Wenn das 21er Haus Mitte November seine Pforten öffnet, um dort Kunst nach 1945 auszustellen, werden alle wichtigen Menschen der Szene vor Ort sein. Sie werden sich gegenseitig auf die Schulter klopfen und in Mikrophone und Blöcke diktieren, dass die österreichische Kunstszene unüberschaubar, professionell und spannend ist. Es werden Parallelen zur Phase des Jugendstils gezogen und der Weltrang der hiesigen Bildenden Kunst betont werden. Zuerstmal die guten Nachrichten: Sie werden damit gar nicht mal so unrecht haben. Auch wenn die alten Hasen im Geschäft darauf verweisen, dass nicht erst seit gestern zeitgenössisch ausgestellt wird und dass auch die Kunst gewissen Moden und konjunkturellen Schwankungen unterliegt, scheint im Moment tatsächlich eine gute Zeit für Gegenwartskunst zu sein. Und um die soll es hier gehen: Bildende Kunst der Gegenwart.

Dort, wohin sich jetzt das Belvedere mit dem 21er Haus wendet, herrscht bereits ein ziemliches Gedränge. Allein in Wien buhlen im Bereich der Gegenwartskunst das Mumok (Museum für moderne Kunst), das Museum Leopold, die Kunsthalle Wien, die Albertina, das MAK (Museum für angewandte Kunst) und bald auch die Kunstkammer im KHM (Kunsthistorisches Museum) um Aufmerksamkeit. Und das sind nur die großen Häuser. Dazu kommen noch etliche mittelgroße Ausstellungsräume und Off Spaces. Irgendwo in Wien wird mittlerweile sowieso immer ein Warhol gezeigt.

Dass alle großen Museen verstärkt auf Gegenwartskunst setzen, hat seine Gründe. „In den letzten zehn, fünfzehn Jahren ist die Popularität von zeitgenössischer Kunst international enorm gestiegen“, erklärt Agnes Husslein-Arco, Direktorin des Belvedere und damit auch Direktorin des 21er Hauses. Wie immer gibt es hierfür eine freundliche und eine weniger freundliche Lesart. Man könnte sagen, dass die großen Museen die zentrale Wichtigkeit der Gegenwartskunst erkannt haben. Oder dass sie auf die vermeintliche Nummer Sicher gehen. Sogar im KHM will die neue Direktorin Sabine Haag ab 2012 Gegenwartskunst ausstellen. Innerhalb der Szene werden diese Pläne, die klar außerhalb der Kernkompetenz des KHM liegen, eher als „Gehversuche“ belächelt. Vor allem für die Auswahl – mit Ed Ruscha, Lucian Freud und Joseph Cornell gleich drei männliche, westliche Künstler hintereinander – hagelte es Spott. Das seien Konzepte aus den 60er Jahren.

Despotie und Alltag

In jedem Fall ein Auslaufmodell scheint der Typus des egozentrischen Museumsherrschers. Als einer der letzten seiner Art steht mit Gerald Matt gerade der Direktor der Kunsthalle unter schwerem Beschuss. Ihm werden verschiedene Vergehen vorgeworfen, darunter eher kosmetische wie ein despotischer Führungsstil, aber auch handfeste Veruntreuung, weil er seine Privatwohnung auf Kosten der Kunsthalle Wien renoviert hätte. Peter Noever vom MAK hat ein ähnliches Gebaren bereits den Posten gekostet.

Solch selbstgefälliger – männlicher – Geniekult schürt die Vorbehalte der Öffentlichkeit. Wobei das Klima ohnehin nicht immer so freundlich war wie jetzt, auch wenn man sich von den feinsinnigen Jugendstilbauten am Wiener Ring oder am Salzburger Mozartplatz täuschen lassen könnte. Hinter der schmucken Fassade war Österreich jahrzehntelang ein zutiefst intellekt- und kunstfeindliches Land, in dem die Gegenwart wenig zählte. André Heller hat noch 2003 den scharfsinnigen Verdacht geäußert, Österreich würde von einer B-Garnitur regiert, die ohne die Vertreibung der intellektuellen, bürgerlichen Elite während des Zweiten Weltkriegs niemals die Positionen erreicht hätte, die sie heute besetzt. Jahrelang war Wien ein „Museum bürgerlicher Selbstgefälligkeit“, wie es die /Welt/ erst heuer nannte. Stellvertretend dafür ist das Kunstverständnis der FPÖ, die sich vergangenes Jahr erblödete, gegen die Förderung einer Swinger Club-Installation in der Secession zu wettern. Rudelbumsen sei ja schließlich keine Kunst.

Erst in den letzten 20 Jahren habe sich, so der Galerist Ernst Hilger, eine Schicht gebildet, die nicht nur Auto und Wohnung, sondern auch Gegenwartskunst schätzt und sich sogar ein, zwei Zeichnungen gönnt.

Literatur und Landesmuseen

Diese klimatische Veränderung schlägt sich auch in Zahlen nieder. Allein in Wien gibt es heute ungefähr 15 Mal mehr Galerien als noch in den 70er Jahren. Neben der traditionellen Konzentration auf die Innenstadt haben sich mit der Gumpendorfer Straße, der Schleifmühlgasse und dem Zweiten Bezirk mehrere künstlerische Zentren etabliert. Auch die Kunstmesse Vienna Fair wächst. Im siebten Jahr überzeugte sie heuer auch viele ehemalige Kritiker. International ausgerichtet, um Wien als Kunstmarkt zu etablieren ist das vor drei Jahren von der Förderagentur Departure unter dem nunmehrigen MAK-Direktor Christoph Thun-Hohenstein initiierte Gastkuratoren- und Galerienprojekt „Curated By“.

Daneben gibt es überall im Land Off Spaces und eine junge und lebendige Szene. Elsy Lahner, Mitbegründerin des Ausstellungsraums „Das Weisse Haus“: „Die Off Spaces müssen meist mit extrem knappem Budget auskommen, machen aber dennoch oft ein sehr umfangreiches und intensives Jahresprogramm.“ Und auch abseits des gewohnt zentrierten Blicks auf Wien wird großartige Arbeit geleistet. Als Beispiel seien hier die Kunsthalle Krems oder die Galerienszene in Salzburg genannt. Auch die Landesmuseen haben weitgehend nichts von der Provinzialität ihrer Landesfürsten.

Vom Ostblock hin zur Augenhöhe

Wenn man nach Gründen für diese positiven Entwicklungen sucht, wird immer wieder die Ostöffnung als entscheidender Bruch genannt. Kaum etwas hat die österreichische Kunstszene so beeinflusst wie der Fall des Eisernen Vorhangs. Plötzlich tat sich ein riesiges neues Reservoire an Künstlern auf, aus dem man schöpfen konnte. Viele Kunstakademie-Abgänger von heute wurden damals im ehemaligen Ostblock geboren. Es herrschte auch im Kunstbereich Goldgräberstimmung. Galeristen und Sammler schwärmten in den ehemaligen Ostblock aus um sich ihren Teil der Beute zu sichern. Dabei half es mit den örtlichen Kunstexperten zu kooperieren. Allerdings dauerte es oft Jahre, bis daraus ein Austausch auf Augenhöhe wurde. Auch bei der Vienna Fair wurden osteuropäische Galerien anfangs in den hinteren Kojen versteckt. Heute ist man stolz auf seinen Schwerpunkt mit ganzen 47 Ost-Ausstellern.

Aber auch andere Grenzen fielen: Der freie Warenverkehr in der EU macht es Sammlern möglich, jederzeit nach Madrid, Amsterdam oder Basel zu fliegen um sich die„Flachware“ (Kunstwerke, die man unterm Arm tragen kann) persönlich mitzunehmen. Niemand bleibt auf den lokalen Dealer angewiesen. Dadurch wurde die Kunstszene zu einer enormen Professionalisierung gezwungen. Neben dem Gespür für die Kunst ist längst auch Business-Geschick unerlässlich. Geschäftspartner aus den USA erwarten häufig, dass Mails innerhalb von Stunden beantwortet werden und kümmern sich dabei nicht um die Zeitverschiebung. Kooperationen mit Marken und Unternehmen begannen bereits in den 80er Jahren – häufig begleitet von Anfeindungen aus der Szene. Auch das Bild des Künstlers als Lumpen-Bohemien wurde zumindest ein Stück weit durch konzentrierte Arbeit und Selbstvermarktung verdrängt. Auf den Akademien muss heute eine Diplomarbeit abgegeben werden, und jeder Absolvent sein Werk auch theoretisch beschreiben können.

Professionalisiert Euch!

Eine Galerie vermarktet dabei ihre Künstler, organisiert Ausstellungen und vermittelt deren Werke an Gönner, Mäzene, Investoren und Hedgefonds. Wohin verkauft wird, kommt auf den Künstler und die Galerie an. Manche haben gute Kontakte zu Unternehmen, andere konzentrieren sich auf Museums- oder Privatsammlungen. Dafür streift die Galerie im Normalfall 50% des Verkaufswerts ein. Ihrem Selbstverständnis nach entdecken Galerien ihre Künstler, bauen sie auf und bilden den Humus, auf dem dann die Erfolge der großen Museen erst möglich sind. Die tatsächliche Bedeutung der österreichischen Galerien ist allerdings schwer einzuschätzen. Auf die Frage, wie viele Galerien von Weltrang es in Österreich gebe, werden verschiedenste Zahlen genannt. Mal sind es 20, mal nur eine. Wie auch sonst so in der Kulturindustrie gibt es dabei große Brummer und kleine Fische – mal sind es große Namen, große Portfolios, anonyme Vermittlung, Business nach Zahlen oder eben mehr Feinkostläden und hoch spezialisierte Häuser. Man trifft auch hier auf alte Seilschaften, üble Nachrede und Galeristen, die nicht im selben Artikel wie bestimmte Kollegen zitiert werden möchten. Neueinsteiger in dem Geschäft soll schon einmal gedroht werden, sie gemeinsam fertig zu machen. In Gesprächen kristallisieren sich vor allem zwei Typen heraus: Manche Galeristen arbeiten eher im Stillen, andere versuchen durch Präsenz und bekannte Namen auch Käuferschichten über das normale Kunst-Publikum hinaus anzusprechen. Wenig überraschend haben beide nicht viel Gutes über einander zu sagen. Aber auch unter den großen staatlichen Häusern, die eigentlich einmal einen relativ klar umrissenen Aufgabenbereich verpasst bekommen hatten, soll die Gesprächsbasis nicht immer die Beste sein.

Kunst und Wettbewerb – ein Widerspruch?

Die großen Museen werben derweil mit den größtmöglichen Namen. Allein die Roy-Lichtenstein-Ausstellung Anfang des Jahres lockte knapp 180.000 Besucher in die Albertina. Gegenwartskunst zieht Menschen an. Im Fall des Guggenheim-Museums in Bilbao wertete es sogar eine ganze Region auf, das Hundertwasserhaus immerhin einen Bezirk. Sammlungen und Ausstellungen zeitgenössischer Kunst gehören heute zur Standortpolitik. Nicht zufällig gerät Berthold Ecker, Referatsleiter Bildende Kunst im Wiener Magistrat, ins Schwärmen, wenn man ihn nach Gegenwartskunst fragt. „Davon profitieren alle. Nicht zuletzt die Stadt als sozialer Körper.“ Blockbuster-Kunst und Eventisierung sind die Begleitphänomene. Doch dabei hat der Zwang zur Quote seinen Ursprung im Jahr 1988. Da wurden die Bundesmuseen in eine Teilrechtsfähigkeit entlassen, seit 1998 sogar schrittweise in die Vollrechtsfähigkeit überführt. Das bedeutet unter anderem: Die Finanzierung von staatlicher Seite hält mit der Entwicklung der Preise im Kunstsektor nicht mit, und nimmt damit im Budget einen immer kleineren Teil ein. Die Museen sind schlicht auf die Einnahmen an den Besucherkassen angewiesen und müssen das durch Fundraising und Sponsoring zusätzlich abfedern. Die Teil- bzw. Vollrechtsfähigkeit hat den Wettbewerb der Museen erst wirklich entfacht. Ein Museum ist heute ein Unternehmen und muss eine Marke mit entsprechender Corporate Identity sein.

Einen entscheidenden Nachteil hat der Zwang zur Vermarktung allerdings: Für die Sammlungen selbst bleibt immer weniger Geld übrig. Das Budget für Werkankäufe ist im Vergleich zum Marketingbudget meist lächerlich gering. Außer bei den Landesmuseen, die Werke mit lokalem Bezug ankaufen müssen, ist die Ankaufspolitik sehr schwierig zu durchschauen. Der Versuch, die Regeln zu erfragen oder zu verstehen, nach denen Kunst angeschafft wird, die Kriterien warum dieser Künstler an dem einen Haus, oder dieselbe Künstlerin an drei Häusern vertreten ist, scheitert zumindest für Außenstehende. „Das ist die berühmte Frage nach der ‚guten Kunst’“, erklärt Susanne Neuburger, Kuratorin am Mumok. „Gibt es sie per se oder messen wir sie an Kontexten und Bezugssystemen?“ Dieses Vermarktungsdilemma ist nicht ausweglos. Kluge Kuratoren kombinieren beispielsweise „Blockbuster“ mit Ausstellungen, die normalerweise keine Massen ins Museum locken und werden so ihrem Vermittlungsauftrag gerecht.

Kannibalismus, Kompetenzen und die Pop-Art

Das beantwortet allerdings eine weitere Frage nicht: Gibt es überhaupt genug Publikum für soviel Gegenwartskunst? Offiziell will das Problem keiner zugeben. Inoffiziell sind sich die Museen aber durchaus bewusst, dass die Gefahr der Kannibalisierung besteht. Es wollen immer mehr Akteure ein Stück von einem Kuchen, der im Verhältnis zur Ausstellungswut nicht schnell genug wächst. „Abgrenzungsgespräche“ sollen dafür sorgen, dass die Museen verstärkt ihrer spezifischen Aufgabe nachkommen und wieder unterscheidbar werden. Das wird auch im zuständigen Ministerium begrüßt. „Die inhaltlichen Schwerpunkte der Bundesmuseen sind 2009 in den neuen Museumsordnungen durch die Festlegung von Kern- und ergänzenden Kompetenzen erfolgt“, so Ministerin Claudia Schmied. „Auch die Abstimmung unter den Kunstmuseen unter Einbindung der Direktorenkonferenz ist in den Museumsordnungen vorgesehen und wird von mir sehr positiv gesehen.“ Das lässt Raum für viel Interpretation, einigen Streit, Weiterwursteln und dann irgendwann natürlich eine strahlende Zukunft.

Roy-Lichtenstein-Ausstellungen mögen „Pop“-Art im doppelten Sinne sein – als Genre wie als Herangehensweise. Doch letztlich profitieren alle davon, wenn sich Kunst in der Gesellschaft verbreitet – nicht zuletzt die Gesellschaft. Ach ja, und was bislang kurz kam: In Österreich gibt es exzellente Künstler, ob bekannt oder unbekannt. Die Türen des nächsten Museums, der nächsten Galerie oder Off Space stehen offen. Durchgehen muss man aber selbst.

Das 21er Haus eröffnet am 15. November mit der Ausstellung „Schöne Aussicht“. Das MAK erforscht seine Zukunft mit dem zweistufigen MAP-Programm (Memory And Progress). Die Albertina hat für Mai 2012 eine Schau zu Damien Hirst angekündigt. Das KHM zeigt 2012 Gegenwartskunst. Und das Mumok macht auch unter seiner neuen Direktorin Karola Kraus weiter wie bisher. Die Landesmuseen Musa und Kunstraum Niederösterreich zeigen regelmäßig neue Schauen. In Vorarlberg wird das Landesmuseum gerade neu gebaut. Sezession, Kunsthalle Wien, Project Space, Kunst im öffentlichen Raum bereichern in der Bundeshauptstadt das Angebot. Daneben gibt es laufend Galerienrundgänge, Kunstwochen, Auktionen, Messen, Off Spaces, Bierdosen-Events und natürlich reichlich Galerien und Gegenwartskunst in den Bundesländern.

Bildcredits:

"Deforestoffences" von Clemens Wolf war 2011 bei der Vienna Art Fair und der Eröffnung des Art Space in der Pratersauna zu sehen. Bild: Lukas Gansterer, Courtesy Galerie Steinek Vienna / Galerie Nikolaus Ruziscka Salzburg

"Ferdinand 3TR RS" von Johannes Langeder wird bei der Ausstellung / dem Kunstmark Metamart zu sehen sein. Bild: METAmART / Langeder.

"Innenansicht 21er Haus". Bild: Belvedere, Wien / Ian Ehm

"Male Beauty" von Marlene Dumas ist im Rahmen der Albertin Contemporary bis Mitte November 2011 und "Lumpenprole" von Mike Kelley im Museum der Wünsche im Mumok zu sehen.

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