Die feinen Herren mit den dunklen Gedanken leben sich im Theater-Klassiker „Woyzeck“ als wichtige Zutat aus. Vor den Aufführungen im MuseumsQuartier ein angeregtes Gespräch mit dem Trio über das bunte Leben in ihrer eigenen Liga, Politik, und den Preis einer Nacht.
Am Ende des Gespräches mit den Tiger Lillies der kurze Moment der Unsicherheit. Fehlt noch etwas? Nachdem die drei Herren über ein Stunde einen Höllenspaß an ihrem Interviewer, den aufkommenden Gedanken und Selbstreflexion hatten, sind sie noch immer schelmisch angriffslustig. Beständig an merkwürdigen Cocktails nippend gäbe es noch viel anzureißen und das Trio um Mastermind Martyn Jacques scheint wissbegierig. Also die Frage, ob man noch wichtige Inhalte parat hat. Erstaunlich die Antwort von Jacques: „Nein. Halte es einfach mystisch. Und was du nicht weißt, erfindest du einfach. Das ist ok. In Griechenland machen sie es dauernd mit uns und dort sind wir sehr populär. Also nur zu.“ Zweifelsohne verlockend, denn die Tiger Lillies geben alles her, um eine ganze Bibliothek mit Romanen aus dem zwielichtigen Leben zu füllen.
Also besser mal der Versuchung widerstehen und sich an die Fakten halten. Die Lillies sind in Wien, um ihre Sichtweise in das Theaterstück „Woyzeck“ einzubringen. Dazu wurden eigene Lieder geschrieben, die durch einen achtköpfigen Bläsersatz von Christian Kolonovits erweitert werden. Die seit 1989 aktive Truppe hat über die Jahre ihren ganz eigenen Stil aus Rhythmus-Gruppe und Akkordeon geschaffen, der mit Tragikomödie spielt. Als Basis dienen eine satte Portion Weimarer Sound a la Brecht, die Seele der verlorenen Hafenkneipe und viele Querverweise in den Balkan-Groove. Thematisch tauchen beständig alle Indrigenzien des kriminellen Rotlicht-Milieus auf, das Leid des einfachen Arbeiters und sein Tod. Ohne Scham, ohne Reue, direkt ins Gesicht des Zuhörers gespuckt. Served with a smile. Man ist satte zehn Monate pro Jahr auf Tour und ganz nebenbei ging sich der unglaubliche Output von satten 31 Alben in 17 Jahren aus. Plus eine DVD und drei Bücher. Mittlerweile haben die Londoner schon etliche klassische Themen der Bühne neu vertont und extensiv Erfahrungen mit Orchester-Variationen gemacht. Da können schon mal die Finger krachen.
Pack some medals
do not make a fuss
Forget about the two of us.
We are off to war
does not matter if you agree
You are here to kill, you see
We are off to war.
Off you go and do your best,
stick some bayonets,
in some chests
We are off to war
And after your life´s been consumed
Then peace will be resumed
We are off to war.
Do you ever wonder why
nothing changes if you die
We are off to war
And if you state a point of view
They will simply run you through.
We are off to war.
(Tiger Lillies – "War" von ihrem ersten Album "Births, Marriages And Deaths" anno 1994)
Ihr macht die Lieder für den neuen Woyzeck. Wie war die Sichtweise, die richtigen Worte zu finden? Und wo ist euer Platz?
Wir sind on Stage und agieren im Stück. Wir sind die innere Stimme des Woyzeck, bilden seine Stimmung ab, schaffen die Atmosphäre. Unsere Performance richtet sich also ebenso direkt an den Zuseher wie die eines Schauspielers. Faith, Love & Devotion und sein Gegenteil. Hin- und her gerissen sein zeichnet ja die Seele des armen Teufels mit seiner hilflos kranken Liebe aus. Zweifelsohne ein Stoff, der uns schon thematisch entgegenkommt. Unsere Funktion ist also das Erweitern der klassischen Theater-Szenerie in der psychologischen Ebene.
Das Militär als Spannungsumfeld hat sich in den letzten Jahrhunderten wenig geändert.
Stimmt. Es ist noch immer das Spiel, dass dumme Leute an der Spitze anderen Leuten befehlen, ihr Leben zu geben. Das sollte nicht so sein, niemand sollte gezwungen sein, zu dienen. Keiner von uns hat Militärdienst geleistet. Wobei in England das Glück war, dass man 1960 die Pflicht abgeschafft hat. Stell dir vor, Keith Richards hätte einrücken müssen. Oder Paul Weller. Da wäre uns einiges entgangen. Und die Flower Power wäre am Grab gelegen. Unser russischer Agent hat zum Beispiel immer wieder Probleme mit der dortigen Lage. Wir spielen gerne in Moskau oder sankt Petersburg, aber das mögen wir eben nun mal gar nicht. Also ist uns auch zum Woyzeck genügend eingefallen.
Weil ihr das erwähnt: Mittlerweile seid ihr gerade in östlichen Ländern viel gebucht. Wie ändern sich die Lillies vor Publikum, das von der lokalen Grundschule schon näher an eurem Stil ist?
Definitiv. Wir spielen dort deutlich größere Gigs und die Leute gehen anders mit. Kommt natürlich darauf an, ob wir Staffage für ein Trinkgelage bei einem Oligarchen sind oder vor hungrigen Jugendlichen spielen. Aber der Approach ist wohl doch energetischer, da man auch mehr Response von unten bekommt. Du spielst automatisch sauberer und entspannter vor einem sitzenden Publikum in London also vor einer tanzenden, betrunkenen Masse. Unser Auftritt bei den Sparpaket-Protesten in Athen war unglaublich. Wirklich legendär mit dem Gefühl, dass wir gerade Glastonbury rocken. Wir sind in der glücklichen Position, keine hohe Moral vertreten zu müssen. Wir dürfen sogar das Gegenteil sein. Obwohl wir mit Teilen des Weimarer Sounds spielen, würden uns Nazis nicht buchen. Und wenn, würde ich ihnen „Springtime for Hitler“ vorspielen wollen.
Damit funktioniert das selbstregulierend. Die konservativen Tea Party-Fraktionen werden uns nicht anrufen. Oder maximal einmal (Alle lachen). In Shanghai wollten sie eine Lobpreisung auf Mao von uns. Das ist tatsächlich ein großes Missverständnis und kann nie passieren. Auch Gaddafi kann Beyonce seine Millionen wohin schieben. Da spielen wir lieber für Prostituierte und ihr Umfeld. Das ergibt eine einfache Rechnung: Eine Nacht macht eine Nacht. (Wieder kollektives Gelächter und neue Drinks geordert) Wir sind sowieso schon so versaut, dass wir schwer korrumpiert werden können. Das fühlt sich gut an.
Worauf führt ihr es zurück, dass es für euch kaum direkte Konkurrenz gibt? Ihr werdet zwar mit Tom Waits, Klaus Nomi oder Joe Henry verglichen, das Gesamtpaket hat allerdings niemand parat.
Wahrscheinlich haben wir die Plattenfirmen gut genug abgeschreckt, da sie mit uns nie wirklich viel verdient haben. (sehr zufriedenes Grinsen allerorts). Wir verkaufen dafür viele Platten bei den Gigs, sind im Internet offensichtlich gut vertreten. Während wir in den westlichen Ländern in der Nachtschiene unter dem Mantel der Kultur laufen, haben wir in Griechenland oder Russland Auftritte in der Prime Time. Das verschiebt schon die Relationen. Als wir damals anfingen, war das Akkordeon in England nicht besonders populär. Nur solche Typen wie Lloyd Cole verwendeten das auch. Das war dann schon eine erstaunliche Erfahrung, dass wir damit im Osten so gut aufgenommen wurden. Der Sound ist dort eben noch bei den Leuten verankert, wir haben ihn. Nicht zu vergessen mein Falsetto-Gesang und unsere Lieblingsthemen, die schmutzigen. Ich habe sieben Jahre über einem Bordell in Soho gewohnt, vielleicht ist durch die feuchten Wände etwas nach oben gekrochen. (es folgt das laute Lachen von drei Herren mit Ahnung). Für die Werbung hat es bis jetzt allerdings nur zu Hundefutter-Beschallung gereicht. Das wäre noch eine spannende Erweiterung, aber natürlich machen wir keinen lustigen Pop für Autos. Aber es gibt immer mehr Verrückte, die uns mögen. Die macht da oben möge sie beschützen.
Ihr habt in Athen bei den Demonstrationen gespielt. Ist es nicht verwunderlich, dass so eine Protest-Bewegung wie Red Wedge in den Achtzigern heute weit entfernt scheint?
Ohja. Damals wurde aufrichtig und gezielt gegen die Regierung aufgespielt. Billy Bragg, Madness, die Smiths, Boomtown Rats, Paul Weller mit Style Council, die Blow Monkeys oder Jimmy Somerville mit seinen Communards waren wirklich BIG. Schade, dass es heute nicht so einen geist gibt. Vielleicht hat das moderne Marketing der Politik uns unbemerkt die Eier genommen. Aber sind wir eine Protestband? Ein Journalist in Prag verneinte das und meinte, dass wir weniger politisch als sozial agieren. Das kann ich bejahen. Aber wir wären trotzdem vorne dabei, wenn so eine Bewegung erstarken würde. Es wäre an der Zeit.
Ihr seid praktisch das ganze Jahr unterwegs. Was bedeutet Heimat?
Die ist in der Seele, nicht an einem Ort. Gerade ist es Wien, das Studio wo wie den „Woyzeck“ einspielen und die Nacht erkunden. Vielleicht gehen wir später mit diesem Stück auf Tour. Wir sind mittlerweile in der glücklichen Position, dass wir weltweit gebucht werden und laufend interessante Angebote bekommen. Zum Beispiel steht auch eine Bearbeitung von „Macbeth“ an, schwerer Stoff mit vielen Impacts. Die Mixtur zwischen Konzerten und Konzept-Theater macht es spannend, immerhin kennen wir schon den Plan für die nächsten zwei Jahre. Da wäre es nicht besonders spannend, jeden Abend die idente Show zu spielen.
Woyzeck & The Tiger Lillies
Vom 24. Sptember bis 15. Oktober in der
Halle E des MuseumsQuartier Wien