Ein Gastkommentar eines Journalismus-Aussteigers – von Martin Himmelbauer, einstmals Journalist für u.a. Kurier und Profil, heute Unternehmenssprecher der Casinos Austria und der Österreichischen Lotterien.
Als ich mich 1993 entschloss, Journalist zu werden, kam oft die Frage nach dem Warum. Weil es ungemein spannend ist, sich in immer neue, mitunter anfangs völlig fremde Themen zu vertiefen. Ziemlich genau zehn Jahre später – ich dachte noch nicht im Entferntesten dran, die Branche zu wechseln – fragte mich in einer abendlichen Freundesrunde jemand, ob das denn meine Traumjob wäre. Ja, sagte ich unumwunden, und blieb der einzige in der bunt gemischten Gesellschaft. Ja, Journalismus ist mein Traumjob, aus denselben Gründen wie zehn Jahre zuvor.
Noch einmal zehn Jahre später halte ich Journalismus immer noch für einen der spannendsten Jobs überhaupt und für einen wichtigen. Und ich schätze gute Journalisten, als Leser ebenso wie in meiner Funktion als Unternehmenssprecher. Lieber einen kritischen Menschen gegenüber, der sich in die Materie vertieft hat und weiß, worüber er oder sie schreibt, als jemanden, der nur schnell den leider nötigen Gegencheck zu einem halb verstandenen Zund absolvieren will.
Doch leider ist zwischen meinem Traum und dem Job in der Realität über die Jahre eine immer größere Kluft aufgegangen. Ich liebe Reportagen, ausführliche Berichte, die Bilder entstehen lassen. Doch die gab es zuletzt schon in meiner aktiven Zeit kaum noch. Nicht aus Bequemlichkeit. Nicht aus Desinteresse. Es war irgendwann auf Grund der immer geringeren Personalressourcen einfach nicht mehr möglich.
Im Jahr 2001 kam ich – nach Kurier, Wirtschaftsblatt, News und Format – zu Profil, als stolzes Mitglied einer achtköpfigen Wirtschaftsredaktion. Acht Kollginnen und Kollegen mit insgesamt weit über 100 Jahren Berufserfahrung. Da hieß es mitunter kämpfen um den Platz für die Geschichte. Als ich 2007 gegangen bin, war ich einer von dreien. Da kämpften wir zumeist um die Geschichte für den Platz. Recherche erfolgte zu 80 Prozent vom Schreibtisch aus, viele Gesprächspartner habe ich nie persönlich kennen gelernt. Und selbst in Branchen, für die ich zuständig, also so etwas wie Experte war, tauchte ich nicht mehr wirklich tief ein. Und wenn, dann meist nur mehr, wenn es darum ging, jemanden anzuklagen. Hier schreibt nicht der Pressesprecher, der mit kritischen Berichten hadert, sondern jemand, der sich Differenziertheit und Tiefe wünscht. Nicht nur Titel und Vorspann, sondern eine gute, solide Geschichte bis zur letzten Zeile. Natürlich braucht es die Aufrisse, ist es unerlässlich, die Geschichte auf den Punkt zu bringen (Mist, diese Formulierung passt heute irgendwie nicht mehr). Es geht darum, die Möglichkeit, dass ein gründlicher Gegencheck zeigt, dass die Geschichte weniger dramatisch ist, nicht als Schreckensszenario („nur net zu Tode recherchieren“) zu sehen. Es ist, jetzt schreibt doch der Unternehmenssprecher, erschütternd, wie oft heutzutage die Anfrage um Stellungnahme wirklich im allerletzten Moment kommt und das unangenehme Gefühl mitschwingt, dass alles längst fertig geschrieben ist und noch ein Halbsatz fehlt – ein bisserl journalistischen Sorgfalt halt.
Ich weiß aus Erzählungen von aktiven Journalisten, dass es heute wirklich sauschwer ist, einen gut bezahlten Job in der Branche zu bekommen. Viele ehemalige Kollegen oder auch sehr Junge, die nach meinem Abgang erst begonnen haben, berichten davon, dass sie vom Journalismus kaum noch leben können. Ich selbst hab Journalismus auch nicht als Chance zum Reichwerden erlebt.
Journalistinnen und Journalisten, zumal gute, sind schließlich auch keine Söldner, die man nur gut dotieren muss, damit sie auf Geheiß jede Geschichte nach welchen Wünschen auch immer verfassen. Sie sind Überzeugungstäter im besten Sinne, leben und brennen für ihre Geschichte. Ich kann mich erinnern, wie wir stolz waren auf gute Geschichten, wie wir uns identifiziert haben mit dem eigenen Medium, ja was, sogar mit dem eigenen Ressort. ”Kann ich die G‘schicht‘ nicht doch bei uns in der Wirtschaft spielen?“, hieß es da nicht selten.
Diese Identifikation war und ist sicher die stärkste Triebfeder. Und genau das geht immer mehr verloren, wenn etwa über Redaktionspools diskutiert wird oder über die Fusion ganzer Redaktionen. Und dann kann man wirklich niemandem mehr guten Gewissens zur Entscheidung für den Journalismus gratulieren.
Es gibt sie noch, die Medien, wo Zeit für Recherche ist und die Journalistinnen und Journalisten, die diese Zeit nach Kräften nützen. Hoffentlich reicht deren Atem lange genug, bis wir neben der Währungs- und Wirtschaftskrise auch die Medienkrise überstanden haben und die vierte Macht im Land aus ihrer Ohnmacht erwacht.
Zur Person:
Martin Himmelbauer, Jahrgang 1967, wechselte nach 15 Jahre im Journalismus im Herbst 2007 zu Casinos Austria und Österreichischen Lotterien und leitet dort den Bereich Corporate Communications.
Dazu passend in der Nachlese:
Erfahrungsbericht Teresa Reiter
Chat zwischen Thomas Weber und Nikolaus Koller (FH Journalismus)