Alle Jahre wieder blickt unsere Redaktion auf die popkulturellen Highlights der letzten zwölf Monate zurück. Mit streng subjektivem Blick. Was Dominik Oswald aus 2022 besonders in Erinnerung bleiben wird, könnt ihr hier nachlesen.
Top 5 Alben des Jahres
5. Die Kerzen – »Pferde & Flammen«
Sind die 20er die besseren 80er? Vermutlich nicht, dass aber kräftig überlegt werden muss, ist auch der wunderbaren Berliner Gruppe Die Kerzen zu verdanken. Ihr schlagerhafter Synthpop war schon auf Album Nummer eins (»True Love«) eine Ohrenweide. Auf dem zweiten perfektionieren sie (selbst-)referenzielle Hit-Tauglichkeit und zuckerhafte Melodien, an denen sich die Geister nicht mehr scheiden, sondern Arm in Arm in Erinnerungen an eine Zeit schwelgen, die sie gar nicht selbst erlebt haben.
4. Die Arbeit – »Wandel«
Wie kaum eine andere Gruppe hat diese beste Kombination aus Bandnamen und Albumtitel auf ihrem zweiten Langspieler, der übrigens in Wien produziert wurde (Ö-Bezug, ganz wichtig!), einen dystopischen Klangraum mit Raufasertapeten für postkapitalistische Loner errichtet. Lyrisch eine punktgenaue Abstraktion einer stimmigen Interpretation der Realität, in der der titelgebende Wandel zuerst in einem selbst passieren muss. Quasi ein Selbsthilfealbum für alle, die schon längst verloren sind.
3. Voodoo Jürgens – »Wie die Nocht noch jung wor«
Entweder du hast es drauf oder du hast es nicht drauf. Und, so ehrlich müssen wir uns sein: Der Voodoo Jürgens gehört zu Ersteren. Auch sein drittes Album ist ein buntes Sammelsurium von Geschichten, die das Leben schreibt, von der Vergänglichkeit, der Gentrifizierung und gescheiterten Existenzen, die aber alle ein großes Herz haben. Mehr denn je zeigt ein solches auch Voodoo Jürgens, der ohne großen Zeigefinger zur Stimme der Entrechteten wird und gleichzeitig auch mehr denn je von sich preisgibt. Dazu die Band – so ver- und eingespielt, ein Traum.
2. Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys – »Mille Grazie«
Die große Frage im Leben eines Fans: Wie reagiert man auf der Erfolg der Lieblinge? Platz eins in den deutschen Albumcharts, die Umtextung eines Songs für eine Valentinstagskampagne eines großen Discounters, eine Million Almans beim x-mal hochverlegten Konzert in Wien. Normalerweise wäre die Abkehr folgerichtig, bei den Augsburgern aber: größte Freude. Ein Narrativ, so absurd wie logisch, durchgezogen bis ins kleinste Detail, Songs zum Verlieben und Baci-Geben, Refrains für die Ewigkeit, Bläser, Synths punktgenau und vor allem: die ganz große Geste. Mille Grazie, Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys!
Einschub: Honorable Mentions (alphabetisch gereiht)
Acht Eimer Hühnerherzen – »Musik«
Joseph Boys – »Reflektor«
Pauls Jets – »Jazzfest«
Vienna Rest in Peace – »Album für die Jugend«
Die Wände – »Die Wände«
1. Die Nerven – »Die Nerven«
Es ist die logische Konsequenz eines in sich nicht ganz logischen Jahres. Die Nerven waren, sind und bleiben die Band der Stunde. Nach vier Jahren Pause sind Kevin Kuhn, Max Rieger und Julian Knoth auferstanden, um vor den Ruinen eines Europas aufzukehren, auf sämtliche Missstände hinzuweisen. Auf ihrem vermutlich »poppigsten«, man denke an das Intro von »Europa«, aber gleichsam wütendsten Album, ist jeder Song ein Gewinn, ein Hit, ein dringliches Mahnmal gegen die geistigen Umtriebe einer »Elite« – ob Politik, ob Influencer*innen, ob Deutschland an sich. Die Nerven zeigen, wie kontemporärer Postpunk funktionieren muss und schreiben sich spätestens mit dem Selbstbetitelten in die Annalen der Allergrößten ein. Diese Band kann nichts und niemand aufhalten.
Auch nicht schlecht:
Urlaub in Italien
Was Dominik Oswald zuletzt sonst so beschäftigt hat, könnt ihr hier nachlesen. Für weitere Jahresendlisten aus unserer Redaktion bitte hier entlang.