Alle Jahre wieder blickt unsere Redaktion auf die popkulturellen Highlights der letzten zwölf Monate zurück. Mit streng subjektivem Blick. Was Dominik Oswald aus 2023 besonders in Erinnerung bleiben wird, könnt ihr hier nachlesen.
TOP 10 Singles/Songs des Jahres
10. Salamirecorder & the Hi-Fi-Phonos – »Eyeliner«
Sixties-inspired Songs dürfen in keinem Jahresrückblick fehlen. Schon gar nicht, wenn sie wie in diesem bislang besten Song von Felix Schnabels Garage-Projekt wunderbare optische und klangliche Lo-Fi-Ästhetik mit surfigen Ohrwurm-Melodien kombinieren. Perfekt für die Nische zwischen 1861er Dr. Martens und samtenen Chelsea Boots ist »Eyeliner« ein Floorfiller.
9. Endless Wellness – »Hand im Gesicht«
Was sie in der »Psychologie Heute« so erzählen, ist ja meistens ganz gut. Dass es in der ersten Single der Gruppe, für die schon im kleinen Österreich ein großer Durchbruch möglich war, um Schutzpanzer und um Spatzis geht, ist auch mehr als ganz gut. Der stampfige Indierock, der auf dem 2024 erscheinenden Debüt-Album ein bisschen fuzziger wird, ist etwas Nuller-Jahre-Indie – und das schadet ja zumindest in Wien auch nicht wirklich.
8. Augn – »Nokia 3210«
»Sind das die deutschen Sleaford Mods?«, übertitelte eine Zeitung einen Text über die Songs der aktuell wohl radikalsten Post-Punk-Gruppe Deutschlands. Wir können hier »vielleicht«, sagen, oder: »Da ist schon was dran!« Augn setzen mit ihrem puren Banalitäts-Dada recht sympathische Agenden, so etwa auch im prägendsten Stück der noch jungen Karriere, dem Lo-Fi-Kracher »Nokia 3210«, in den wir Ausbeutung durch die Eliten und Kapitalismuskritik reininterpretieren können – »uuuh uuuh«.
7. Resi Reiner, RAHEL – »Volare«
Es sind ja häufig so einzelnen Zeilen, die aus einem okayen Song einen wunderbaren machen. Nicht, dass der sophisticated Schlager »Volare« sonst nur okay wäre, aber es ist der schöne Reim »Komm wir machen einen Spaß / Der uns vergessen lasst / Dass unsere Welt bald nicht mehr steht«, der dem sonst sehr leichtgewichtigem Stück eine fesselnde Bild-Text-Schere gibt, die Resi Reiner und RAHEL eben auch sehr gut und wahnsinnig sehnsuchtsvoll intonieren.
6. Bibiza – »Akademie der Bildenden Künste«
Achtung, schlechtes Wortspiel: Bibiza muss in seinem früheren Leben Kurier gewesen sein, so sehr liefert der mit Abstand größte heimische Superstar des Jahres auf seinem Debüt ab. Er sprengt die Grenzen von Zielgruppen und Genres, auf ihn können sich alle einigen. Vor allem aber auf seinen Banger »Akademie der Bildenden Künste«, ein Hoch auf die Bohème als beste Alternative zur Spießbürgerlichkeit der JVP-Eltern.
5. The Screenshots – »DINA8«
Germany’s most wanted The Screenshots sind ja an und für sich nicht unbedingt dafür bekannt, die glücklichsten Menschen der Welt zu sein. Dass dann »Alles, was mich glücklich macht« auf »einen Zettel DINA8« passt, zeigt das Life-Coaching-Talent von Susi Bumms, Dax Werner und Kurt Prödel. Du musst nicht einmal in die Gruppe kommen für deinen Weg zum Glück, sondern du kriegst es in 1:53 Spielzeit gleich zu hören – Achtung, Spoiler: »Liebe und Freundschaft / Sex und Zärtlichkeit / Verständnis und Vertrauen / Sind die Bausteine zum Glück«
4. Tropen Tropen – »US University«
Die sträflichst unterschätzten Tropen Tropen sind vermutlich meine Lieblingsband des Jahres – lies nach auf der nächsten Seite! –, auf ihrem sehr tollen Debüt ist es aber vor allem dieser eine Song, der die Essenz der Leipziger am besten extrahiert: Super smoother, topmoderner Schmachtpop mit blumiger, assoziativer Sprache: Nähe und Verfremdung in einem. Dazu eben auch ein Soundkleid ohne Blutspritzer, zum Hineinlegen schön.
3. Team Scheisse – »Schmetterling«
Es dauert genau 1:33 Minuten bis ganz klar ist: Mit Team Scheisse ist nicht zu Spaßen – weder im unheimlich hervorragenden AI-Clip, noch im Song, der einmal eure ganze Wahrnehmung von Insekten auf links bügelt. Weil, die finden es auch nicht so geil, was wir mit der Welt machen und so. Deshalb auch – so konsequent wie die Bremer selbst – die korrekte Ansage: »Du kannst mich hart am Arsch lecken! Flatter, flatter, flapp, flapp!«
2. Lankum – »Go Dig My Grave«
Am Anfang war die Stille, dann diese einsame Stimme von Radie Peat. Dann die Erkenntnis, das Lied zu kennen, damals wunderbar von Tommy Makem (als »Butcher Boy«) gesungen. Dann die Erkenntnis, dass das hier etwas ganz anderes ist. Dann, irgendwann – die Gedanken schon kreisend wie Aasgeier in der Wüste – dieser Doom, dieser schreckliche, erschütternde und nahegehende Doom, der von der Stille, der Einsamkeit nichts mehr übrig lässt. Außer die Gewissheit, dass Lankum aus Dublin bislang der beste Song ihrer Karriere gelungen ist.
1. Lana Del Rey – »Did You Know That There’s a Tunnel Under Ocean Blvd«
Ihr werdet es überall lesen: »Lana Del Rey ist der Song des Jahres gelungen!« Überall werdet ihr dann aber »A&W« stehen sehen. Das ist valide, aber vor allem das Titelstück des aktuellen Albums ist es, das mir persönlich 2023 den Weg zurück zu Del Rey geebnet hat und das mich wochenlang den gesamten Backlog des Superstars ohne Unterbrechung hören lies. Und selbst in dieser makellosen Diskografie sticht dieser Song heraus, er ist die Quintessenz jeglicher vertonter Sadness der US-Amerikanerin, im Refrain die Zurschaustellung des letzten Hoffnungsschimmers auf Selbstliebe mit dem Blick in den Abyss, mit extrem konzisen Lyrics: »Open me up / Tell me you like me / Fuck me to death / Love me until I love myself«.
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