Ich lese Proust, Camus und Derrida. Letzteren wohl auch Andi Spechtl, der »Sleep« um dessen »Hauntology«-Theorie aufbaut. Kann man machen, muss man aber nicht.
Sie sind jetzt alle ein bisschen solo unterwegs, um die gescheiteste Band des Landes muss man sich aber keine Sorgen machen. Sebastian Janata ist ein Worried Boy und Andreas Spechtl – Mastermind von Ja, Panik und Sexiest Man Alive – jetzt so ganz alleine. Aber eh schon vorher ohne Burgenland-Connection unterwegs, mit Christiane Rösinger, mit den Türen. Im Vorjahr gab’s sogar eine Falco-Single. Im famosen »Au Revoir« vom aktuellen Ja, Panik-Album »Libertatia«, fantasierte Spechtl noch mit dem Gedanken, als Ondrasek im Darknet Pässe zu checken. Jetzt ist er tatsächlich ins Allerdunkelste abgetaucht, unter dem Projektnamen Sleep dreht sich – nomen est omen – lyrisch alles um Schlaf und Traum. Dreams are my reality. La Boum – Die Fete.
Und das geschieht fernab von allem, was Ja, Panik sonst so ausmacht, ist die völlige Abkehr vom Altbekanten. Es bleibt die warme, manchmal stark verfremdete und bloß englische Stimme, die meist somnambulen Mantren wiederholt und die Hohlräume der Musik ausstopft. Musik, die stark dem ursprünglichen Derrida’schen »Hauntology«-Begriff verbunden ist und eigentlich das europäische Heraufbeschwören und Besessensein von Geistern der Vergangenheit meint. Für die Poptheorie ist »Hauntology« musikalisch vor allem gespenstisches Knistern, Echos und gebrochene Rhythmen. Burial, Tri-Angle, Oneohtrix Point Never. Nun auch Sleep. Spechtl generiert seine vielfältigen Knacksereien aus Field Recordings. Natur und Industrie, drinnen und draußen, auch Gesprächsschnipsel. Die wenigen Gitarren verlieren sich in Entfremdung, die wenigen guten Melodien verenden leider mehr oder weniger in Fadesse oder jazzigem Nonsense.
Metaphysisch ist »Sleep« tatsächlich eine Weiterentwicklung vor allem zur letzten Ja, Panik-Platte. Da will einfach jemand, der mehr für deutsche Texte getan hat als fast jeder andere, mal etwas anderes machen, fernab vom konstruiertem Druck der Öffentlichkeiten. Dass da nur das letzte Stück »Jinja Nights« halbwegs gut ist, ist die andere Sache. Einschlafen kann man dazu aber bestimmt sehr gut.
"Sleep" von Sleep, dem Solo-Projekt von Andreas Spechtl, erscheint am 24. Juli 2015 via Staatsakt.