Anmerkungen zur Debatte über Christian Krachts Roman „Imperium“.
Christian Kracht ist ein Glückspilz: Sein neuer Roman „Imperium“ löste einen heftigen Literaturstreit aus. Zwar werden die Feuilletons inzwischen nicht mehr so intensiv gelesen wie noch vor zehn Jahren, trotzdem gibt es abgesehen von den bekanntesten Literaturpreisen nichts, was die Auflagenhöhe derart in die Höhe treibt als eine gehässige Auseinandersetzung.
Kracht, du Nazi
Erkaufen muss sich das Kracht allerdings mit der Beschimpfung, er sei rechtsradikal. Auslöser der Debatte war ein Artikel des Autors Georg Diez, in dem dieser seinem Kollegen Kracht „antimodernes, demokratiefeindliches, totalitäres Denken“ vorwirft. In fast allen mir bekannten Fällen ist die Ursache solcher Unterstellungen ein grundlegendes Unverständnis, wie Literatur funktioniert. Üblicherweise sind die Unwissenden aber keine Autoren, sondern brave Bürger, welche wutschäumend über Schriftsteller herfallen. In den siebziger Jahren wurde Heinrich Böll gerne als Terroristensympathisant beschimpft. Zehn Jahre später musste sich Thomas Bernhard mit einer gegen seinen Roman "Holzfällen" gerichteten Klage auseinandersetzen. Bernhard war es auch, über den in der Zeit einst zu lesen stand: "Vermutlich ist Herr Bernhard ein Nazi." Anlass war die Uraufführung seines Stücks „Vor dem Ruhestand“ im Jahr 1979.
Georg Diez ist inzwischen zurückgerudert, aber der Streit ist ein guter Anlass, ein paar Selbstverständlichkeiten über Literatur in Erinnerung zu rufen: Der Autor ist immer vom Erzähler zu unterscheiden. Auch ein Ich-Erzähler ist nie mit dem Autor identisch. Wie alle Kunstwerke ist jeder Roman eine hoch dynamische Angelegenheit. Eine schlichte Interpretation tut jedem Werk Unrecht, was allerdings auch viele Deutschlehrer bis heute nicht verstanden haben. Natürlich ist es legitim, über die Weltanschauung eines Autors anhand seiner Werke zu diskutieren, aber die Debatte sollte auf einem Niveau von minimaler Literaturkompetenz stattfinden.
Kultisten der Kokosnuss
Der Totalitarismus-Vorwurf läuft schon deshalb ins Leere, weil „Imperium“ ein furios ironisches Buch ist, und Ironie alles Totalitäre wie in einem Säurebad auflöst. Im Mittelpunkt des Romans steht August Engelhardt, der als durchgeknallter Prophet Anfang des 20. Jahrhunderts in die Südsee aufbricht, um auf einer Insel einen Sonnenkult zu gründen, der das Seelenheil mit Hilfe einer einzigen Frucht zu garantieren verspricht: der Kokosnuss.
Kracht schildert die Abenteuer des verrückten Nürnbergers mit exquisiter Ironie und kritisiert damit implizit totalitäre Heilskulte mit scharfer Feder. Die Ironie bezieht sich nicht nur auf den Inhalt, sondern schlägt sich direkt in der Sprache nieder. So gibt es viele Sätze, die den Kitsch von exotischen Beschreibungen aufs Korn nehmen. Hitler wird erwähnt und wie bei Charlie Chaplin einerseits als Witzfigur mit „einer absurden schwarzen Zahnbürste unter der Nase“ zur Kenntlichkeit entstellt, andererseits wird am „großen Finsternistheater“ des Nationalsozialismus kein Zweifel gelassen.
Die „Wilden“ auf Engelhardts Insel werden aus der kolonialen Brille der Figuren gesehen. Alles andere hätte die Erzählperspektive durchbrochen und wäre literarisch unplausibel gewesen. „Imperium“ ist ein intelligenter, amüsant zu lesender Abenteuerroman und damit kein geeigneter Kriegsschauplatz für Weltanschauungsdebatten.
„Imperium“ von Christian Kracht ist im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen.