Von einem eurozentrischen Feminismus ausgeschlossen, finden sich die »letzten Feminist*innen« zusammen: Zum Kampf gegen Remigrations-Ideologien, gegen eine verzerrte Geschichtsschreibung und falsche Versprechen.
In einer Mischung aus anthropologischer Lecture-Performance, Rap-Battle und Tanzaufführung lädt »The Last Feminist« zu einer Reise von der Vergangenheit bis in die Gegenwart ein: Wo beginnt die feministische Geschichte? Etwa mit dem europäischen Frauenwahlrecht im 20. Jahrhundert? Und warum nicht mit Personen wie Dandara dos Palmares, der antikolonialen Widerstandskämpferin aus dem 17. Jahrhundert?
Ein Chor als kollektive Stimme des dominanten Feminismus tritt auf, und singt mit einer Gruppe aus rappenden Performer*innen um die Wette. »Hundreds of years, and we are still the witches« sagt eine*r von ihnen. »The Last Feminist« überzeugt als mitreißend inszenierter Widerstand, der ohne große Show-Elemente auskommt. Gekonnt zerlegen die Kämper*innen Klischees sowie Formen der Diskriminierung und bieten eine empathische Performance ihrer Kritik: Denn was nützt die Befreiung einzelner, wenn sie nicht für alle gilt? Wir haben Regisseurin Myassa Kraitt vorab zum Interview getroffen.
The Gap: Du bist Regisseurin, Rapperin, Sozialanthropologin. Wie verbindest du das alles?
Myassa Kraitt: Meine künstlerische Arbeit ist geprägt durch Perspektivenvielfalt und Interdisziplinarität. Das Schöne an Perfomance und Theater ist, dass es so viel Raum zum Experimentieren gibt. Da möchte ich mich auch gar nicht auf nur einen Aspekt einschränken. Meine Arbeit ist politisch, aber poetisch.
Wie sahen denn die Stückentwicklung und Zusammenarbeit bei euch aus? Immerhin seid ihr viele Künstler*innen aus verschiedenen Disziplinen.
Die musikalische Leitung Gloria Amesbauer, elektronische*r Musiker*in, Produzent*in und Sänger*in, und ich haben den Prozess begonnen. Da sich Gloria mit der Stimme als direktem Instrument des performenden Körpers beschäftigt und ich mich in meinen Arbeiten ungehörte Stimmen ins Zentrum hole, hat es von der Haltung super gepasst. Wir haben eine höchst intensive Reise miteinander beschritten, uns gefragt wie Experimental-Pop und Hip-Hop und Chor zusammenpassen könnten. Inhalte und Texte, sowie das Rappen sind meine Bereiche gewesen. Kompositionen und Chorarrangements waren Glorias. Oliver Cortez produzierte für die Hip-Hop lastigeren Stücke die Beats. Irgendwann ist aber alles zusammengekommen: Da wurden die Performer*innen zu Sänger*innen oder zu Rapper*innen und der Chor wurde zu Performenden. Ein wichtiger Aspekt meiner Arbeit ist die Entwicklung von Figuren und Archetypinnen. Seit 2022 bin ich als Rapperin »Königin der Macht« aktiv. Sie ist vom Archetypus der Königin inspiriert. Die Figurengeschichte geht in »The Last Feminist« aber anders weiter: Hier wechsle ich zum Archetypus der Kriegerin. Diese Erzählung findet unter dem Schirm des Queeren statt: Also, wie würden sich diese Typ*innen in einem queeren Kontext artikulieren? Wer sind die Performenden, wenn sie die letzten Feminist*innen im Stück verkörpern? Wie sieht diese radikale Zusammengehörigkeit oder Verwandtschaft aus?
Du suchst in der Inszenierung nach den ersten Feminist*innen. Warum dann nicht »The First Feminist« als Titel?
Die mythologische »Urmutter« oder die Ahn*innen des Feminismus spielen schon eine Rolle. Aber das Motiv der letzten Feminist*innen fand ich reizvoll, weil wir dabei über eine besondere Aufgabe sprechen. Das ist eine Zeit der Transition, das Letzte hat dabei etwas Dystopisches, das in etwas Neuem mündet. Als besondere Aufgabe bei »The Last Feminist« haben wir uns gestellt, dass wir den Feminismus als Verlust der Solidarität lesen. Also den Feminismus nicht als die große Erfolgsgeschichte mit den vier Wellen zu definieren, sondern ihn im Scheitern zu verstehen.
Warum wollt ihr den Feminismus gerade im Scheitern verstehen?
Ich will einen Raum schaffen, in dem der Feminismus nicht nur als Erfolgsgeschichte gilt, die im 18. Jahrhundert anfängt, sondern als eurozentrische Geschichte verstanden wird. Was ist, wenn ich den Anfang des Feminismus auf 1492 lege und wir mit dem Aufstand indigener Menschen gegen die Eroberer beginnen? Wir wollen uns im Stück auf die Suche nach einer dekolonialen Praxis begeben, nach verlorenen Archiven. Wir arbeiten uns ab an Themen wie Epistemiziden, also dem systematischen Auslöschen von Wissenssystemen. Das heißt auch hier wieder: Wo fängt die feministische Geschichte an, wenn so viel an Wissen und Erinnerungen vernichtet wurde? Dabei soll ein Verständnis für diese miteinander verflochtenen Geschichtsschreibungen entwickelt werden, in der eurozentrische Perspektiven hinterfragt werden, in der andere Perspektiven und alternatives Wissen Raum erhalten. Es wirkt manchmal so, als wären feministische Stimmen im Kanon angekommen, das sind sie aber nicht. Die Kritik im Stück ist keine an den Errungenschaften des Feminismus per se, sondern eine Kritik an der bestehenden Ungleichheit untereinander. Es geht mir um die Sichtbarmachung jener Auseinandersetzungen, die sich innerhalb feministischer Bewegungen abspielen. Diskriminierungskritik und Rehistorisierung finde ich notwendig, besonders unter Feminist*innen.
Richtet sich »The Last Feminist« speziell auch an ein queeres Publikum und Publikum mit Migrationsgeschichte?
Das Stück ist für alle, die als zu laut bezeichnet werden, zu sensibel, zu emotional, als Störer*innen. Jene, die mitunter eine Party crashen, weil es ihnen nicht gefällt, wie eine gewisse Sprache angwendet wird um andere damit herabzuwürdigen. Es ist ein richtiges Killjoy-Stück. Es ist auch sehr inspiriert von der Wissenschaftlerin Sara Ahmed – der Autorin von »A Killjoy Manifesto« –, besonders wenn es darum geht, wer an der feministischen Bewegung teilnehmen darf, wem die Türen für Solidarität geöffnet werden, wer Schutz bekommt und wer überhaupt als Mensch oder als Frau in unserer Gesellschaft wahrgenommen wird. Zum Publikum, das ich anziehe, gehören unterschiedliche politische Communitys und auch mehrfach marginalisierte Menschen. Einfach weil erwartet werden kann, dass sie eine zentrale Rolle spielen im Theater, dass es um sie geht. Es wird dabei selbstemanzipatorisch an das Thema herangegangen und Platz eingeräumt für Identifikation. Dass die Geschichten marginalisierter Personen für das Theater ausgebeutet werden finde ich problematisch. Ich will ein emanzipatorisches Theater für Menschen, die sonst im Theater auf und hinter den Bühnen nicht vertreten sind. Ich finde es wichtig die Gosch’n aufzumachen und auch gegen die Codes und Normen des Theaters zu arbeiten.
Ist der heutige Feminismus denn intersektional und führt Perspektiven besser zusammen? Oder sind wir noch immer weit voneinander entfernt?
Mir kommt es vor allem auf eine Praxis an. Einerseits sehe ich sehr viel Reflexion darüber, wie unterschiedliche Probleme miteinander zusammenhängen und global verbunden sind. Was ich derzeit aber hochproblematisch finde, ist dieser identitätspolitische, individualistische Diskurs. Der Mainstream-Business-Feminismus, der keine Bedrohung mehr ist. Mir fehlt oft ein kritischer Feminismus, der Klasse und die politische Kategorie »Rasse« mitdenkt. Es schwächt die Bewegung, wenn wir die Praxis nicht mehr reflektieren, sondern es ausschließlich darum geht, was die eigenen Privilegien oder Vulnerabilitäten sind. Die Frage ist, wie wir mit Privilegien umgehen, aber auch wie wir den globalen und historischen Kontext wieder ins Narrativ zurückholen.
Passt zu unserem Zeitalter: Emotionalisierende Inszenierungen auf Social Media, eine Stimmung, die schnell verständlich sein muss und sich in Kategorien einteilen lässt.
Außerdem werden online alle Infos vertikal präsentiert. Es gibt wenig Möglichkeiten, sich mal einen Überblick zu verschaffen. Bei der Produktion von »The Last Feminist« war es so schön, dass ich mir die Zeit für Recherche nehmen konnte, Dinge kontextualisieren konnte. Die Frage des Mensch- und Frauseins ist so zentral. Man tut oft so, als hätte man den biologischen Rassismus überwunden. Aber der kulturelle Rassismus ist hochaktuell. Mit all diesen perfiden (Neo-)Orientalismen, antimuslimischer Rassismus und Antisemitismus. In Wahrheit ist weder biologischer noch kultureller Rassismus überwunden. Den Begriff der »Reconquista« finde ich momentan sehr spannend, gerade in einer Zeit, in der wieder mit einer »Festung Österreich« Wahlen gewonnen werden. Sich die Mythologie noch einmal anzuschauen, ist wichtig, um diese Normalisierungen zu verstehen.
Was würdest du dir für die Zukunft des Theaters wünschen? Worauf arbeitest du hin?
Ich wünsche mir, dass das Theater Bezug nehmen sowie Haltung zeigen kann und sich für globalen Frieden einsetzt. Ich wünsche mir eine Praxis davon, was gesprochen wird. Wenn die Theaterhäuser sagen, dass sie sich öffnen, dann wünsche ich mir eine Umsetzung. Und ich wünsche mir, dass Strukturen im Theater sich ändern, ohne die ganze Charity-Masche. Was ist denn Theater ohne Publikum, ohne Spieler*innen? Ich finde, das Theater muss mit diesen rhetorischen Gesten brechen. Es ist so wenig glaubwürdig.
Sollten Theater sich positionieren müssen?
Was das Theater auf jeden Fall muss, ist, die Arbeit nach innen zu leisten. Es hilft nichts, eine LGBTQIA*-Fahne aus dem Fenster zu hängen und dann Queerness und Transrechte im Team nicht zu thematisieren. Aber es gibt kein Patent und keine Lösung für alle Theater. Ich habe das Gefühl wir leben in einer Zeit in der viele rhetorische Gesten sehr gut funktionieren, Gesten die nichts kosten aber einen gesellschaftlichen Schaden anrichten. Ich wünsche mir ein Theater, das ein bisschen mutiger ist, ein paar Risiken eingeht und das alles nicht als Geste der Nächstenliebe präsentiert. Manchmal sitze ich noch immer im Theater und denke mir: »Für wen ist dieses Stück eigentlich?« Deswegen mache ich Theater. Ich beschwere mich viel und ich möchte aber auch etwas dazu beitragen. Menschen, die keine geradlinigen Biografien haben, wie ich, müssen wissen, wie sie ins Theater kommen oder auch in diese Karrieren einsteigen können. Als kleine Myassa hätte ich mir da ein Vorbild gewünscht.
»The Last Feminist« lief von 9. bis 11. Oktober im Brut Wien.