Hudson Mohawke, Rustie und das Label Luckyme haben der elektronischen Musik in den letzten Jahren ihren Bass aufgedrückt. Glasgow war wie keine zweite Stadt damit verbunden. Ein Lokalaugenschein.
Über Trends zu schreiben ist häufig Bullshit. Viele Dinge kommen und gehen und kommen wieder. Eines ist aber sicher nicht zu leugnen: Bass Music hat in der elektronischen Musik der letzten fünf Jahre einen zentralen Stellenwert eingenommen. Der Aufstieg der Produzenten fernab „Four to the Floor“-Schema ist untrennbar mit zwei Namen verbunden: Hudson Mohawke und Rustie. Eigentlich drei, wenn man das Label Luckyme hinzuzählt. Vier, wenn man auch das Numbers-Kollektiv erwähnen will. Eines haben alle diese Menschen gemeinsam: Ihre Heimatstadt ist Glasgow. Um die Entwicklung, die in den letzten Jahren Hip Hop und elektronische Musik zusammengebracht hat, zu verstehen, haben wir der größten Stadt Schottlands einen Besuch abgestattet.
Fassaden in Schwarz-Grau
Nach einer kleinen Reise über Bratislava und Edinburgh ist man von Wien aus in etwa sechs Stunden in Glasgow. Es ist eine alte Stadt – die imposante Universität wurde 1451 gegründet. Man sieht dem Stadtbild das Alter aber nur teilweise an: Überall sind Büroungeheuer aus Glas und Beton zwischen die Gebäude der letzten Jahrhunderte gequetscht. Oftmals ist das wirkliche Alter der Häuser ohnehin nicht einzuschätzen: Wie bei (ehemaligen) Industriestädten üblich, hat der Smog die Fassaden in ein durchgängiges Schwarz-Grau gefärbt. Glasgow gehört zu den ärmsten Städten im UK und leidet unter massiven sozialen Problemen. Die »Neds«, wie man die männlichen, sozial schwachen und gewaltätigen Jugendlichen in Schottland nennt, sind gefürchtet. Immer wieder gerät die Stadt durch Messerstechereien, Morde oder Vergewaltigungen in die Schlagzeilen. Davon merkt man im Stadtzentrum allerdings nicht wirklich etwas. Zu den Sozialsiedlungen am Stadtrand bleibt man dort eher auf Distanz.
Vor 100 Jahren war Glasgow eine der reichsten Städte der Insel. Vor 50 Jahren war es eine Stadt, in der man als Industriearbeiter ein gutes Auskommen fand. Heute ist es eine Stadt, in der manche Viertel eine Lebenserwartung von 53 Jahren haben.
Leere Fabriken, große Narrative
Musik ist nie von sozioökonomischen Gegebenheiten zu trennen. Sie fügt sich in die großen Narrative ein und ist ein Teil von ihnen. Das große Narrativ Glasgows ist der Fortgang der Schwerindustrie. Wenn die Industrie weiterzieht, lässt sie Dinge zurück. Viele Menschen, die nie wieder die Chance auf einen Arbeitsplatz haben. Viele leere Fabriken, die gefüllt werden wollen. Aber auch das Gefühl, einmal der Teil eines wichtigen und stolzen Größeren gewesen zu sein. Dieses Klassenbewusstsein spürt man in Glasgow, wie man es auch in Dortmund spürt.
»Glasgow ist von seinem postindustriellen Setting ein bisschen besessen«, erzählt Lauren Martin. Die Musikjournalistin schreibt für alle wichtigen Publikationen der Insel (Fact, Dummy etc) und lebt seit ihrer Geburt in der Stadt. »Die Bezüge zur Working Class sind immer noch allgegenwärtig.« Das gilt auch für Menschen, die mit der Arbeiterklasse eigentlich nicht viel gemeinsam gehabt haben dürften.
Glasgow war immer ein extrem musikalische Stadt. Auch The Jesus and Mary Chain, Primal Scream, Travis kommen dort her (s. Kasten links); Oasis spielten hier ihren mythischen Gig im King Tut’s Wah Wah Hut, bei dem sie – wie es die Legende erzählt – am Fuß der Bühne mit einem Plattenvertrag erwartet wurden. Es ist auch nicht das erste Mal, dass es so etwas einen musikalischen Schub aus Glasgow gibt. Das letzte Mal war Ende der 90er mit Bands wie Mogwai, Arap Strap oder die Delgados, die vor allem auf dem Label Chemikal Underground veröffentlichten. Dessen Verantwortliche releasen noch heute fröhlich hauptsächlich lokale Bands vor sich hin und sind in ihren Antworten exakt so wunderbar-mürrisch, wie man sich die Schotten vorstellt. Ihre Antworten lassen erahnen, welche Mechanismen vor knapp 15 Jahren am Werk gewesen sind. »Es gab damals ein paar sehr gute schottische Bands, speziell aus Glasgow. Die englische Mainstream-Presse hat eine Story gewittert und sie zu einer Szene zusammengefasst.« Das erklärt, warum man Belle and Sebastian noch heute mit der Stadt verbindet. Franz Ferdinand, deren Debütalbum etwa fünf Jahre nach dem Hype erschien, aber nicht.
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