Die Frage nach dem großen »Warum?«: Ein Thema, das man gerne umgeht. Bis es einem direkt vor die Füße geworfen wird.

»Ich stehe, ich putze, ich koche, ich fahre Bim, ich bringe den Müll runter, ich gehe zur Arbeit, ich bringe den Müll runter …« – das alles und noch mindestens siebzehn andere Dinge werden in einem dreiminütigen repetitiven Monolog aufgezählt, inmitten einer endlosen Zeichenwelt.
Gemeinsam mit dem Produktionshaus Viva la classica! lädt Ruth Cerha das Publikum auf eine persönliche Reise ein. Vom Tod bis hin zur Geburt und über jegliche Gefühlswelten dazwischen. Intim bahnt sich die Besetzung ihren Weg durch die Halle, haucht den großen Themen Leben ein. Fünfundsiebzig Minuten Stationentheater, acht verschiedenen Lieder über die Vergänglichkeit, zwei Tänzer*innen, die mit Erde und Umarmungen um sich werfen, zwei Sänger*innen, ein Klavier auf einem fahrenden Schiff, zahlreiche Symbole. Ein vollgeladener Teller.
Auch wenn der Zugang zu dieser Zeichenwelt zunächst schwer zu finden ist, gibt es einen Moment der Einsicht. Einen Moment, der den Reizen eine Pause gönnt – in dem Denken wieder möglich wird. Es ist ausgerechnet ein kurzer Monolog, der unter all dem Trubel auffällt, der nachhallt. Fabian Tobias Huster – einer der beiden Tanzenden – irrt mehrere Minuten lang mit seinem Koffer durch die blau ausgeleuchtete Säulenhalle. Gleichermaßen konfus irrt er durch den Raum und wiederholt sich dabei. Irrt, wiederholt. Wiederholt und irrt und wiederholt. Er steht, er putzt, er kocht, er fährt Bim, er bringt den Müll runter. Er irrt.

Heutiges Tagesgericht: Erkenntnis
Es fällt wie Schuppen von den Augen. Was macht der da eigentlich grad? Und warum schaut man ihm dabei zu? Um ihn herum das Publikum. Es starrt, versucht seinem wirren Pfad zu folgen. Und während man da so steht und zusieht, wie sich ein Mensch verirrt, stellt sich eine Frage fast schmerzhaft direkt: Wofür machen wir das alles? Wir stehen, wir putzen – ihr wisst, wie es weiter geht. Aber, wofür? Eine Frage, die im Kopf stecken bleibt.
Mit diesem Monolog gelingt ein Schnitt durch alle metaphorischen Schichten des Abends. Aufrichtig und ehrlich. Vielleicht ist die Überforderung gar nicht zufällig, sondern bewusst gesetzt – das eigentliche Thema des Abends. Wir leben, ohne die Zeit zu haben, darüber nachzudenken, dass wir leben. Huster macht uns das in seinem Monolog vor. So sieht man sich die Aufführung an, versucht ständig zu verstehen, nur um am Ende zu verstehen, dass man nicht immer verstehen kann. Und ist ein Moment, der berührt, nicht eigentlich genug? Nachtisch serviert Cerha nur to-go. Denkstoff.
Die Uraufführung von »Die Nacht weiß nicht vom Tage« von Ruth Cerha war als Teil des Programms von Wien Modern am 12. November 2025 in den Soho Studios zu sehen. Weitere Vorstellungen finden am 21., 24. sowie dem 26. November 2025 statt.
Dieser Text ist im Rahmen eines Schreibstipendiums in Kooperation mit Wien Modern entstanden.