Von 28. Februar bis 3. März fand in Graz das 20-jährige Jubiläum des Elevate Festival statt. Eine fünftägige Geburtstagsfeier, die neben basslastiger Party auch politisches Diskursprogramm unter dem Motto »Western Promises« bot.
Dieses Jahr feierte das Grazer Festival für Musik, Kunst und politischen Diskurs seinen 20. Geburtstag. Anlässlich des Jubiläums gab es wie gewohnt fünf Tage lang »Party hard« in den wohl eindrucksvollsten Clubräumlichkeiten des Landes: Feiern in einem Tunnelschacht des Schlossbergs bei selbstverständlich bestem Sound. Das Programm konnte sich auch sehen lassen: Ikonen aus der elektronischen Tanzmusikszene wie der Hyperdub Gründer Steve Goodman alias Kode9 oder der japanische Experimental Soundkünstler Ryoji Ikeda sorgten für durchtanzte Nächte. Bei Paneldiskussionen, Vorträgen und Workshops zum thematischen Festivalmotto »Western Promises« konnte man gesellschaftspolitischen Debatten über demokratische Werte, Bedrohung durch Desinformation im Netz oder die Rolle von Kunst als politischem Medium folgen. Vorausgesetzt, man schaffte es, den Kater der vergangene Nacht bis zum Vormittag abzuschütteln und zumindest ein paar gerettete Gehirnzellen anzuknipsen.
Lockere Stimmung trotz ernster Themen
Am Mittwochabend ging im Grazer Orpheum die Festivaleröffnung über die Bühne. Die Stand-up-Comedian Denice Bourbon führte mit ihrer verschwesternden Art durch den Abend. Ihr bodenlanges goldenes Glitzerkleid wäre ein echter Hingucker – sofern hinschauen möglich war. Denn jede von Bourbons Bewegungen warf nicht nur goldene Schlieren an die Wände, sondern blendete auch die eine oder andere Zuschauer*in. Bourbons freundliche Art schaffte eine Atmosphäre von lockerem Miteinander, die auf das Publikum wie auch auf die Redner*innen ansteckend wirkte: Stadtrat Günter Riegler bewunderte Bourbons »Fuck the Patriarchy«-Ohrringe woraufhin diese galant anbot, sie ihm bei Bedarf auszuleihen. Und auch Alexander van der Bellen, der das Festival mit dem ernsten Appell demokratische Werte zu schützen und das eigene Stimmrecht zu nutzen eröffnete, setzte Bourbons Forderung nach einer genderneutralen Begrüßungsformel anstelle der ausgelutschten Floskel »Sehr geehrte Damen und Herren« sofort in die Tat um und begrüßte das Publikum folgerichtig mit dem für das Elevate passende: »Liebe Geliftete!«
Amikal ging es auch am zweiten Festivaltag im Mausoleum weiter: Die französische Multiinstrumentalistin Colleen erzählte sie hätte wegen einer Flugverspätung den Soundcheck verpasst, weshalb ihr Set auch für sie voller Überraschungen stecke. Dass sich Oscilliators und Synthesizer nicht wie geplant verhielten, war aber kein Anlass zur Nervosität, sondern vielmehr zu Solidarität: Colleen grinste verhalten, das Publikum applaudierte wohlwollend. Colleen verwandelte die sakralen Räumlichkeiten in eine spielerisch-verträumte Synthwelt.
Headbangen oder Twerken?
Indes beschallte Isabella Forciniti die schummrig-gemütlichen Kellerräume im Forum Stadtpark mit zerhackten Beats aus dem Modularsynth. Wenn die italienisch stämmige Wahlwienerin mit ihren gewohnt komplexen Rhythmen aufwartet, kann man nicht umhin, mit den Hüften zu schwingen. Weil sich aber die Schwingrichtung, analog zur Musik, im Sekundentakt ändern müsste, ist rhythmusadäquates Tanzen ziemlich schwierig. Das Ergebnis: Unkontrollierbar zuckende Gliedmaßen und Köpfe. Das kann man allerdings auch als gute Vorbereitung auf das Musikprogramm der folgenden Tage sehen. Denn auch am Freitag ging es mit unwahrscheinlichen Genrekombinationen weiter: Ssolve und Enesi M, die aus dem Dunstkreis rund um die Wiener Eventreihe Struma+Iodine bekannt sind, sprangen für die kurzfristig ausgefallene Loraine James ein, die den Konzertauftakt im Orpheum gemacht hätte.
Enesi Ms Songs vereinen brasilianischem Hyperpop mit Metalgesang: schnell und wuchtig, zwischen Zuckerlpop und Gutturalgesang. Diese schräge Mischung spiegelt sich auch im unbeholfenen Tanzverhalten des Publikums wider: Was jetzt? Headbangen oder Twerken?
Entschleunigende Trommelfellmassagen
Wer auf dem Elevate Entschleunigung statt Exzess sucht, war bei Muscle Tomcat Machines mehrstündiger psychedelischer Experimentalrock-Performance gut aufgehoben. Köpfe und Gliedmaßen schlenkerten zu dronigen E-Gitarren-Sounds. Vorne bildete sich ein spontaner Ausdruckstanzkreis, während im hinteren Teil Körper mit Sitzsäcken verschmolzen. Alle Regler bis zum Anschlag aufgedreht, wurden »Übergänge« zwischen »Liedern« zu Whitenoise-Eskapaden. Drummer Reumüller und Gitarrist Engelmayr spielten im mehrstündigen Loop die immer gleichen Rhytmen, hie und da gesellten sich Gastmusiker*innen dazu und improvisierten: Gesang, ein Saxophon und eine zweite Gitarre, die eher als Hackbrett benutzt wurde.
Weiter ging’s im Dom im Berg mit verletzlichem Clubsound von Kenji Araki bei einem live A/V-Set des Albums »Hope Chess« gemeinsam mit Ybsole. Trotz theatralischer Inszenierung wirkte Kenjis Performance intim und echt. Besonders eindrucksvoll war das weiße Stoffzelt von Anna Schall, das über der Bühne hing und für Kenji zugleich Versteck und Podest zu sein schien.
Nur die gelegentlich gerunzelte Stirn ließ die Anstrengung erahnen, die es kostet live zu mixen, zu singen und gleichzeitig ein riesiges Bühnenbild zu bespielen.
Wer sich von Kenji Arakis Trommelfellmassage rechtzeitig erholt hatte, konnte am Samstag das eigene Gehörvermögen im Orpheum bei Ryoji Ikedas Auftritt testen, der aus unerfindlichen Gründen ein Sitzkonzert war. Vielleicht weil die schwarz-weißen Stroboskop-Visuals bestehend aus Nullen und Einsen das Publikum sowieso umgemäht hätten. Auch wenn seine Stücke eindeutig der Fraktion »Experimental« zuzuordnen sind, kann man zu Ikedas experimentellen Sinuswellen-Synths nämlich durchaus Tanzen. Sitzend ließ sich zu den meisten Tracks zumindest headbangen.
Welche Töne ungehört blieben steht naturgemäß immer frei zur Spekulation. Wir werden wohl nie erfahren, ob seine Show in Wahrheit statt den verdächtigen 50 Minuten vielleicht doch eine volle Stunde gedauert hat. Denn vielleicht hat Ikeda als letzten Track ja einen seiner sich an der Grenze der Hörbarkeit bewegenden Tracks gespielt?
Raven zum Sourroundsound Sci-Fi-Set
Nach kollektiver Pilgerreise vom Orpheum auf die andere Seite der Mur stimmte Zoë Mc Pherson auf eine letzte Partynacht zwischen Hyperdub und Break-Beat-Rave ein. Die Zuhörer*innen tummelten sich um Mc Pherson, die in der Mitte des Raumes auf einer kleinen Stage statt vorne auf der großen Bühne stand, sodass sie von allen Seiten vom Publikum umringt war. Sie präsentierte ihr neues Album in einer speziell für das Elevate konzipierten Version für das Ambisonic-Soundsystem im Dom im Berg und so eine Sourround-Sound-Experience der anderen Art ermöglichte. »It’s like cinema, only better!« erklärte Mc Pherson bevor sie ihr einstündiges Sci-Fi-Set damit einleitete, flirrende Sounds von der einen zur anderen Seite über den steinernen Felsenhimmel zu schicken. Hüpfende, grölende, jubelnde Menschen umgaben die Musikerin. Der Applaus nach dem Set hielt minutenlang an, Mc Pherson war sichtlich gerührt.
Soundtrack zur Schlossbergliftfahrt
Wer nach dem stickigen Dancefloor Lust auf frische Luft hat, kommt durch einen der vielen Bergschächte zum sogenannten Schlossberglift. Durch dessen durchsichtige Decke kann man beim Hinauffahren dem blau angestrahlten Bergschacht dabei zusehen, wie er an einem vorbeizieht. Heuer hat das Elevate zum vierten Mal Musiker*innen dazu eingeladen diese besondere Schlossbergliftexperience zu vertonen. Caterina Barbieris Installation des letzten Jahres wurde nun von Dorian Concepts Komposition abgelöst, die ab Februar für ein ganzes Jahr im Schlossberglift zu hören sein wird.
Ebenfalls Frischlufttanken ließ sich im Aiola, das dieses Jahr seit längerer Pause erstmals wieder vom Elevate bespielt wurde. Zu House und Techno konnten hier auch endlich mal Gespräche geführt werden ohne Schreien zu müssen. Unter dem Festivalpublikum brach hier bereits Sommerstimmung aus. Bei frischen 10 Grad saß man auf Gartenstühlen unter Sonnenschirmen. Für manche*n gab es so beim Elevate um drei Uhr nachts in völliger Dunkelheit wohl den ersten genüsslich geschlürften Aperol des Jahres.
Das Elevate Festival 2024 fand von 28. Februar bis 3. März in Graz statt.