Ein Lehrer aus Wien und begnadeter World of Warcraft Fan hat sich zum Endboss erhoben und will mit WoW das schulische Notensystem revolutionieren. Noch Fragen? Wir haben sie ihm gestellt.
Gibt es Schüler, die doch lieber Noten hätten?
Man sollte das Ganze so sehen, dieses System ist kein Ersatz für Noten, sondern eine transparente Ergänzung zum bisherigen Notensystem. Die Schüler können jederzeit ihren Notenstand einsehen und wissen, wie viele Punkte ihre Leistungen bisher wert waren und wie viele für die nächstbessere Note fehlen.
In den ersten Jahren, in denen ich das System eingesetzt habe, haben meine Schüler anonyme Umfragen ausgefüllt, die erheben sollten, ob sie gut mit dem System zurechtkommen oder ob sie es für nicht notwendig erachten.
Die Ergebnisse haben mich erstaunt, da über 90% angegeben haben, sie würden dieses System gerne in allen Fächern haben, vor allem aber in jenen Fächern, in denen sie nicht so gute Noten hatten. Nur knapp 9% haben in meiner Umfrage angegeben, dass es sie nicht stören würde, wenn sie das System in anderen Fächern hätten, aber es wäre nicht unbedingt notwendig für sie.
Schüler, die das System ganz abgelehnt haben, habe ich bis heute noch keine gehabt.
Wie schätzt du die Gefahr ein, dass dein Punkte-System auf totale Leistungsorientierung abzielt und somit den Gedanken freien Lernens verdrängt?
Das XP-Benotungssystem ist als Verbesserung des aktuellen Benotungssystems gedacht, ohne die gesetzlichen Vorschriften, wie eine Note zustande kommen soll, zu übertreten. Das freie Lernen wird durch das System dadurch unterstützt, dass sich Schüler das Lernen besser einteilen können und dadurch selbstsicherer fühlen.
Eine meiner Sorgen war, dass sich Schüler, die während des Semesters schon positiv sind, dann nicht mehr am Unterricht beteiligen und keine Hausübungen machen, da sie dann ja wissen, dass sie nicht mehr negativ werden können. Erstaunlicherweise habe ich genau das Gegenteil beobachtet: Diese Schüler waren viel motivierter, haben alle Hausübungen gemacht, anderen geholfen und haben sich sehr am Unterricht engagiert.
Ich nenne dieses Phänomen "High-Level Syndrom". Da die Schüler keine Angst mehr vor dem Durchfallen haben müssen, sind sie entspannter und selbstsicherer. Außerdem wollen viele dann auch noch den höchsten Level erreichen – also einen 1er bekommen.
Lässt sich das Programm großflächig umsetzen?
Ich bekomme seit Bekanntwerden meines Systems stündlich Emails von Lehrern, Firmen, Schulen und Universitäten aus der ganzen Welt, weil sie mein System einsetzen wollen. Daraufhin habe ich eine Plattform namens "Socialcube Lite" programmiert (die bis Weihnachten fertig sein sollte), auf der sich Lehrer registrieren können, um ihre Schüler mit dem XP-Benotungssystem benoten zu können.
Die Plattform ist mehrsprachig und für alle Schultypen, Universitäten und FHs sowie für Unternehmen kompatibel. Das System ist somit großflächig einsetzbar und ich ermutige alle Kollegen dazu, das System auszuprobieren. Ich biete den Zugang auf der Webseite kostenlos für alle Bildungseinrichtungen an und ich denke, dass wir mit dieser Benotungsart eine große Chance haben, vielen Schülern einen Abschluss zu ermöglichen, die mit dem alten System ihre Ausbildung abgebrochen hätten.
Gamification-Konzepte scheinen zunehmend gefragter. Wirst du schon auf TED-Konferenzen und zur UNO eingeladen? Wie kommt das Projekt bei den Entscheidern an?
Ich wurde schon von einigen Universitäten und Unternehmen, sowie von der Wirtschaftskammer eingeladen, Vorträge zu halten. Von TED oder der UNO hat mich aber noch niemand kontaktiert. Ich bin sehr froh, dass mein Projekt in die Bildungsdebatte einfließt und dies zeigt, dass man aus dem aktuellen System noch einiges herausholen kann, ohne die Gesetze zu verändern.
Persönlich denke ich, dass ein Bildungssystem auch funktionieren kann, wenn am Abschlusszeugnis keine Noten stehen, sondern nur jene Qualifikationen aufgelistet werden, die man sich in der Ausbildung angeeignet hat. Das ist dann auch für Unternehmen interessant, da sie gezielt nach Leuten mit bestimmten Qualifikationen suchen können. Dafür würde es aber große Veränderungen in den Bildungsgesetzen benötigen.
Wer jetzt immer noch null Bock auf Schule hat, hat vielleicht ein Motivationsproblem oder sollte mehr World of Warcraft spielen. Wir werden das jedenfalls machen.