Crystal Castles sind auf ihrem dritten Album noch gelangweilter, noch übersättigter und sehen noch besser aus. Auch wenn man das schon einige Male gehört hat, kann man sich der Mischung aus Wut und Lethargie schwer entziehen.
Stellen wir uns einen jungen europäischen Großstadtbewohner im Jahr 2012 vor – nennen wir ihn der Einfachheit halber Alex. Alex weiß, dass Krise ist. Er liest es ständig auf den zwei Nachrichtenportalen, die er besucht. Aber seine Halbtagsanstellung bei einer Agentur und/oder seinen Gastro-Job hat das bislang nicht beeinträchtigt. Im Fernsehen beschwören Politiker und Notenbanker tägliche ökonomische Untergangsszenarien herauf. Und doch weiß Alex, dass er sich das neue iPhone kaufen, am nächsten Wochenende gute Drogen nehmen und über Silvester nach Kopenhagen fliegen wird. Alex hat – materiell gesehen – ein sehr gutes Leben. Wenn man weder Familie noch Hund hat, braucht man nicht viel Geld, und im Notfall kann man immer noch die Eltern anpumpen. Warum sollte er, dessen ökonomische Sozialisation nach 2005 begann, in eine Große Depression verfallen? Er kennt es ja nicht anders.
Ja, die fetten Jahre sind vorbei. Dass wissen wir, weil wir es ständig hören. Wir wissen, dass unsere Pension nichts hergeben wird und in drei Jahren auch keine Pragmastisierung auf uns wartet. Aber das schreckt uns nicht wirklich, weil wir die Erfahrung gemacht haben, dass sich alles irgendwie ausgeht. Und das versetzt uns in einen Zustand der Ambivalenz: Es wird wahrscheinlich nicht besser. Aber solange es sich ok anfühlt, kann man durchaus mal schauen, was das Morgen bringt.
Wohin es gehen soll, weiß niemand
Das Electro-(Punk)-Duo Crystal Castles steht wahrscheinlich, gemeinsam mit The XX, für die späten Nuller Jahre wie niemand sonst. Nicht nur, dass sie die Blogosphäre, das Verschwimmen von Genregrenzen und die Remix-Kultur verstanden haben. Alice Glass und Ethan Kath repräsentieren das oben beschriebende ambivalente Lebensgefühl der urbanen Twentysomethings. Sie sind jung, gutaussehend, übersättigt und gelangweilt. Sie behaupten nicht, dass sie wüssten, wo es hingehen soll. Sie erwarten wenig und werden trotzdem enttäuscht. Selten wurde das besser visualisiert als auf dem Cover des Crystal Castles-Debüt, auf dem die Bandmitglieder sprichtwörtlich herumhingen und man nicht sagen konnte, ob sie jetzt gleich nach Hause gehen oder dem DJ nochmal eine Chance geben werden.
Dieser Tage erscheint »III«, das dritte Album der Kanadier. Und wie auch bei The XX ist die Frage weniger, ob es gut ist. Natürlich versöhnen Crystal Castles immer noch Punk mit 90er-Jahre-Techno, und natürlich singt Alice immer noch so, dass man nie weiß, ob sie verliebt oder verzweifelt ist. Die Frage ist eher, ob sich das Ganze nicht überlebt hat. Zu einem Anachronismus wird, dem Ausdruck eines Lebensgefühls, das es nicht mehr gibt. Die eingesetzten Mittel sind von den vorherigen Alben bekannt: Verfremdete Stimmen, rückwärts abgespielte Vocals, übersteuerte Noise-Elemente, Stakkato-Synthies. Ja, es ist eindeutig more of the same, schon wieder, das Gefühl hatte man heuer oft. Und doch schaffen es Crystal Castles immer noch, durch Unbestimmtheit zu glänzen. Zu Stücken wie »Wrath Of God« lässt es sich im Grunde genauso gut allein im Zimmer hocken wie voller Adrenalin in einer Menge stehen, genauso gut lächeln wie deprimiert sein. Zu »Affection« kann man seinen Partner küssen, aber auch weinen, weil er nicht mehr da ist. Und bei »Violent Youth« glänzt »III« wie zu besten Crystal Castles-Zeiten. Mit der konsequenten Weigerung, sich festzulegen, durchwegs Ja oder Nein zu sagen, fängt die Band immer noch eine Grundgefühl ein. Das Gefühl, dass man nicht wirklich weiß, was man vom Ist-Zustand halten soll, von den Alternativen aber auch nicht überzeugt ist. Und sich deshalb einfach treiben lässt. Hey – es könnte ja wirklich schlimmer sein.
»III« von Crystal Castles erscheint am 12. November via Universal.