Wann verkauft sich ein Cover? „Blattmachen, das Gespür für die richtige Mischung eines Magazins zwischen großem Kino und kleinteiligen Seiten, zwischen Nutzwert und Gefühl, gilt als Königsdisziplin des gedruckten Journalismus“, schrieb der Medienjournalist Stefan Winterbauer einmal. „Heute ist aus der Königsdisziplin ein Lotteriespiel geworden.“
Kein Print-Chefredakteur weiß mehr so richtig, wann ein Titel funktioniert und warum einer abstürzt. Okay, es gibt zwei Erfolgskonstanten mit ermüdendem Copy-and-Paste: Der deutsche „Focus“ hat in seiner 22-jährigen Geschichte bestimmt schon 777 Mal Rückenschmerzen auf der Seite 1 gebracht. Und „Der Spiegel“ produzierte in seinen 68 Jahren garantiert 999 Hitler-Cover. Doch selbst der Massenmörder aus Braunau ist inzwischen kein verlässlicher Verkaufsgarant: Das Spiegel-Titelblatt „Hitlers Uhr“, das übrigens wie eine Ausgabe des Satireorgans Titanic aussah, war ein totales Fiasko. Welch Überraschung.
Dass Zeitungsgeschichten oft im Netz und Online-Storys häufig in Print floppen, war mir schon vor meiner Reise ins Silicon Valley bewusst. „Ein Digital Editor muss völlig anders denken als ein Old-Fashioned-Journalist“, sagte mir Jonathan, der Chefredakteur von OZY, gleich zu Beginn meines Internship. Jonathan kennt beide Seiten: Vor seiner digitalen Ära war er mehr als zehn Jahre lang für die Front Page des Wall Street Journal verantwortlich.
Welche Storys sind nun im Netz erfolgreich?
Ein Kaffee mit Alton, „Head of Analytics and Audience Development“, macht mich klüger. Das Superhirn aus dem „OZY Office New York“ war vor seiner Internet-Karriere in der Aidsforschung tätig und bekam deshalb sogar von der „National Science Foundation“ einen Preis verliehen.
„Well“, sagt Alton. „Criminals, future technology, gadgets, something you do every day and sex content“ erzeugen bei den Usern das größte Interesse.
Alton verrät mir die Top-Five-Storys der knapp zweijährigen OZY-Geschichte.
Auf Platz 1: „De-nastify your phone“ – wie Sie Ihr Handy von allem Übel befreien. 4 Millionen Page Views!
http://www.ozy.com/good-sht/de-nastify-your-phone-with-phonesoap/31298
Platz 2: „The most violent prisoner in Great Britain“, eine Geschichte über den Schwerverbrecher Charles Salvador. 2,5 Millionen Page Views.
http://www.ozy.com/provocateurs/the-most-violent-prisoner-in-britain/39950
Platz 3: „The goo that’s good for your teeth“ – warum Nasenrotz gut für Ihre Zähne ist. Dass dieser delikate Stoff 2,5 Millionen Page Views erzielte, war übrigens für die gesamte Redaktion eine Überraschung.
http://www.ozy.com/fast-forward/the-goo-thats-good-for-teeth/37243
4. „The science behind baking the best cookie ever.“ 2,4 Millionen Page Views.
http://www.ozy.com/good-sht/the-science-behind-baking-the-most-delicious-cookie-ever/6613
5. „Marcela Uliano da Silva’s crusade against the golden mussel.“ Die großartige Story über eine brasilianische Molekularbiologin sorgte für 2,2 Millionen Page Views.
http://www.ozy.com/rising-stars/marcela-uliano-da-silvas-crusade-against-the-golden-mussel/32937
Und das erfolgreichste Video der OZY-Geschichte?
Niemals wäre ich darauf gekommen. And the winner is – ein Film über Fingernägel. Unglaubliche 600.000 Video Views! http://www.ozy.com/good-sht/japans-eye-popping-nail-trend/39638
Und hier stehen Blattmacher (schon wieder so ein Ausdruck aus der Zeitungswelt) in Print und Online vor derselben Herausforderung: Der Lieblingsbeitrag der Leser und User ist oft nicht der, den wir Journalisten für relevant halten. Aber die Leser und User haben bekanntlich immer recht.
WEITERLESEN:
Erster Teil des Blogs – Die Bewerbung und die Vorgeschichte
Tag 4 Welcome To The Stone Age
Tag 5 Larry Page, Marissa Mayer und der Telefonzellenfabrikant
Tag 6 Anforderungsprofil für Silicon-Valley-Journalisten
Tag 7 Kann man mit Online-Journalismus Geld verdienen, Mister OZY?