Um die Realität zu ertragen, hilft manchmal ein Witz. Um sie zu verändern, benötigt es einen Humor, der anders ist. Den liefert seit einigen Jahren die junge nicht-männliche Comedy- und Kabarettszene in Österreich. Progressiv und politisch korrekt weisen ihre Protagonist*innen auf Missstände hin, kommentieren klug den Status quo, und sorgen dafür, dass sich dieser langsam aber sicher ändert.
Was ist Humor? Eine scheinbar einfache Frage, auf die es so viele Antworten gibt wie Menschen. Im Falle der Kabarettistin Malarina klingt sie so: »Ich denke, Humor ist ein Mechanismus, der Unerträgliches erträglich macht. Häufig ist er auch das Mittel, mit dem Themen zuerst thematisiert werden können.« Das Unerträgliche trägt viele Namen und ist zumeist die Konsequenz eines patriarchalen Gesellschaftssystems, für das der Humor ein Spiegel ist. Schaut man in ihn hinein, blicken Misogynie, Homophobie und Fremdenfeindlichkeit zurück. Sie sind nur die Spitze eines Eisbergs, dessen Schmelze eine Reihe aufstrebender Künstler*innen zu forcieren versucht. Sie erklären politische Korrektheit zur Selbstverständlichkeit und sind darum bemüht, in einer von Männern dominierten Humorlandschaft keine Kompromisse einzugehen.
Wir schreiben das Jahr 1963. Dolores Schmidinger ist etwa 18 Jahre alt, und als Frau auf einer Kabarettbühne eine echte Rarität. Bei einer Operettenparodie spielt sie eine Sängerin und macht sich über das Milieu lustig, das sie wegen des Berufs ihres Vaters gut kennt. Die Männer im Publikum und auf der Bühne sind verstimmt, da sie begreifen: Diese Frau ist genauso komisch wie sie. Sie ist nicht länger nur Deko im Hintergrund, sondern eine valide Stimme, die heute besonnen von damals erzählt: »Diese ganze Kabarettclique wollte mich als Frau im Grunde nicht. Wir sind in die Männerkabaretts gegangen, umgekehrt ist nie einer zu uns gekommen.« Schmidinger blickt auf eine lange Karriere zurück. Sie war provokant, brach Tabus, und füllte damit mühelos Abend für Abend Säle. Als eine der Ersten sprach sie auf der Bühne über heikle Themen wie Missbrauch, Essstörungen oder Sexualität. Dass man als Frau damit aneckt und womöglich seine Karriere riskiert, wusste sie. »Ich hatte einen guten Agenten. Dann hat mich aber der Teufel geritten, und ich habe mich des Themas Sadomaso angenommen. Völlig harmlos, aber unglaublich komisch. Mit diesem Programm habe ich mir die Karriere zerstört. Hätte das ein Mann gemacht, wäre es höchstens als exotisch eingestuft worden, aber nicht mehr. Aber ich bin nicht einsichtig. Ich mache keine Kompromisse, bin nicht spießig. Sexualität war für mich nie ein Tabu.«
Stolpersteine
Sprung in die Gegenwart. Auftritt Denice Bourbon. Als Veranstalterin des Politically Correct Comedy Club, kurz PCCC*, ist sie bestrebt, die österreichische Comedyszene zu verändern. Als sie den Club im Jahr 2017 gemeinsam mit Josef Jöchl gründete, gab es nur wenig Repräsentation von Minderheiten in der Szene. Erwartungen an den Erfolg ihrer neuen, diversen Bühne hatte sie keine: »Ich habe nicht darüber nachgedacht, wie die Szene auf meine Arbeit reagieren würde, besonders nicht der heteronormative Teil. Seitdem hat sich in der globalen Comedyszene sehr viel verändert.« Bourbon ist es zu verdanken, dass zahlreiche neue Gesichter die Bühnen betraten – und mit ihnen ein Humor, der sich deutlich vom Mainstream abhebt. Trotzdem kämpfen FLINTA*-Personen weiterhin gegen Vorbehalte einer heteronormativen Denkweise.
Davon weiß auch Stefanie Sargnagel, weithin bekannte Autorin und Humoristin, zu berichten: »Ich habe vor Kurzem erfahren, dass ein Literaturkritiker herumtelefoniert hat und meinte, man müsste mich ausladen, weil ich zu sehr spalte. Ein Bekannter hat mir auch erzählt, dass in Redaktionen gesagt würde, ich sei optisch nicht fernsehtauglich. Als Frau wird man viel stärker abgewertet.«
Kabarettist*in Elena Wolff verspürt Druck, Frauen auf der Bühne zu repräsentieren: »Ich weiß, wenn ich als einzige weiblich gelesene Person auf der Bühne scheitere, dann wird das als repräsentativ für alle Frauen gesehen. Es ist irrational, aber ich habe das Gefühl, damit verrate ich das gesamte weibliche Geschlecht. Es muss als kunstschaffende Person aber möglich sein dürfen, zu scheitern. Diesen Luxus hatte ich von Anfang an nicht.«
Antonia Stabinger, die seit 2009 im Duo Flüsterzweieck gemeinsam mit Ulrike Haidacher Kabarett macht, erzählt: »Als wir im Duo angefangen haben, gab es kaum Frauen in unserem Alter. 95 Prozent waren männlich. Wenn man als Frau auf die Bühne gegangen ist, hatte man also noch eine Zusatzherausforderung. Ich musste beweisen, dass man auch als Frau Kabarett machen kann.« Seitdem habe sich einiges geändert. »Man wird sich einfach bewusst, auf welche Bühnen man passt und auf welche nicht. Man sucht sich die Bubble, in der man funktioniert.«
Denice Bourbon hat sich und ihren Mitstreiter*innen eine solche Bubble geschaffen. Einen Raum, in dem Diskriminierung und fehlende Sensibilität keinen Zutritt haben sollen. Ausverkaufte Shows geben ihr recht, dennoch kämpft das Format PCCC* laut Bourbon mit fehlender Aufmerksamkeit. Obwohl die Nachfrage von Seiten des Publikums groß sei, finde es in den Medien im Vergleich zu länger Etabliertem kaum Platz. Das ärgert Bourbon, dennoch ist sie optimistisch: »Langsam finden einige meiner Performer*innen den Weg in den Mainstream. Dabei reden die meisten von uns gar nicht über Feminismus oder Queersein. Wir reden über alles Mögliche.«
Politisch korrekt
Dieses Alles-Mögliche hat den Anspruch, politisch korrekt zu sein. Man einigt sich auf einen Humor, der nach oben tritt, nicht aber nach unten. Der marginalisierte Gruppen nicht als Spielball für einen Witz nutzt, sondern klug und sensibel auf Missstände aufmerksam macht. Unterschiedliche Auslegungen des Begriffs »politisch korrekt« finden sich aber dennoch. Elena Wolff setzt dabei voraus, auch weiterhin kompromisslos Realitäten wiederzugeben: »Wenn der Begriff bedeutet, dass ich nichts mehr mache, was potenziell triggert, dann bin ich nicht politisch korrekt. Ich spreche über viele Dinge, die triggern können. Nicht, um zu triggern, sondern um meinen eigenen Schmerz zu verarbeiten. Ich sage beispielsweise gewisse Worte, um auf die verbale Gewalt queeren Personen gegenüber in meiner Heimat aufmerksam zu machen. Ich muss wiedergeben, was stattgefunden hat. Wichtig ist aber, dass man immer meine persönliche Haltung dazu begreift.«
Irina aka Toxische Pommes, die auf Tiktok eine große Fangemeinde um sich schart, wurde das Label »politisch korrekt« von Medien auch schon zugeschrieben. Damit habe sie kein Problem, sie kritisiert jedoch: »Dieser Begriff wird meiner Ansicht nach mittlerweile in den Medien – primär von weißen, autochthon österreichischen Redakteuren – ausgeschlachtet und fast schon missbräuchlich verwendet, um Debatten zu führen, die mit dem eigentlichen Bestreben von weniger repräsentierten, marginalisierten und diskriminierten Menschen nichts zu tun haben – beziehungsweise davon ablenken. Stattdessen scheint der mediale Diskurs um Political Correctness meiner Wahrnehmung nach, vielmehr dem Ziel zu dienen, die verletzten Egos jener wiederherzustellen, die es gewohnt sind, Meinungsmonopol und Deutungshoheit zu besitzen.«
Der Mainstream
Für Antonia Stabinger ist politische Korrektheit eine Sache der Verantwortung. Grundsätzlich finde sie, Humor dürfe alles. »Aber wenn ich auf eine Bühne gehe, habe ich die Verantwortung, diese kleine Öffentlichkeit sinnvoll zu nutzen. Wenn man zur Gruppe gehört, über die man Witze macht, kann man sich einiges leisten, aber man muss sensibel sein. Lustig sein ist leicht, nur gut lustig sein, ist schwer.«
Um Künstler*innen bei ihrer Arbeit zu unterstützen, helfen – etwa im Rahmen von PCCC* – Sensitivity Readings dabei, eventuelle Trigger oder diskutable Begrifflichkeiten zu vermeiden. Ein Beispiel dafür ist das unscheinbare Wörtchen »normal«, dem gegenüber alles, was ihm nicht entspricht, automatisch als »anormal« gilt.
All diese Bemühungen stehen einem humoristischen Status quo gegenüber, der in Österreich noch immer auf Klischees, Akzenten und Marginalisierung baut. Im von weißen cis Männern bestimmten Comedy-Mainstream erkennt man die patriarchalen Machtstrukturen unserer Gesellschaft. Ihre Missstände sind mitunter Grundlage für problematische Witze. Um den progressiven Humor der FLINTA*-Szene zum neuen Standard zu machen, dürfe sich diese nicht an den heutigen (männlichen) Mainstream anpassen, findet Denice Bourbon. »Man darf sich nicht verunsichern lassen. Es gibt schon einen Grund, warum man so weit gekommen ist. Die Leute werden immer wollen, dass du weniger frech, lesbisch, laut bist. Im Gegenteil, man muss immer weitermachen. Die Zeiten ändern sich, und der Mainstream muss mitgehen.«
Auf Bühnen wie im Kabarett Niedermair oder im Stadtsaal, beide programmiert von Andreas Fuderer, tummeln sich seit geraumer Zeit einige der neuen Gesichter. Toxische Pommes, die im digitalen Raum bekannt wurde, wagte zunächst im Rahmen von PCCC* den Sprung auf die Bühne und trat jüngst im Niedermair auf. Auf die Frage nach vermeintlichen Hürden, die den Sprung progressiver Comedy in den Mainstream verhindern, sagt sie: »Ich glaube, man muss die Frage anders bzw. eher jenen stellen, die Diversität verhindern – also Veranstalter*innen oder Kollegen in der Branche, die ihre Reichweite etwa auch nutzen könnten, um andere Menschen als weiße cis Männer zu fördern.«
Laut Antonia Stabinger habe die Pandemie viel verändert und für eine Zäsur gesorgt. Nun, da die Bühnen nach langer Pause wieder spielen, fehle ein Teil des Publikums. »Es hat sich abgewöhnt, ins Kabarett zu gehen. Stattdessen hat man sich neue Unterhaltungen gesucht und konsumiert vermehrt online.« Dieser Umstand kommt ursprünglich digitalen Comedians wie Toxische Pommes zugute. Sie sorgt mit der Integration ihrer Fangemeinde in alteingesessene Kabarettsäle für eine Durchmischung des Publikums. Das ist wichtig, um die Popularisierung progressiven Humors voranzutreiben. »Warum sollte das klassische Kabarettpublikum ausgeklammert werden?«, fragt Malarina und schlägt vor: »Geben wir diesen Menschen doch die Chance, etwas Neues kennenzulernen – wenn sie dann trotzdem weiter über Penisjokes lachen wollen, dann sollen sie.«
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